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Editorial

Editorial | | von Stefan Stiletto

Juli 2021

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„Titane‟ heißt der überraschende Gewinner der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes, eine offenbar krude Mischung aus Body Horror, Serienmördergeschichte, Identitätswechseln und vielem mehr. Nein, sicher kein Jugendfilm – aber ein guter Anlass, um noch einmal auf den Debütfilm der Regisseurin Julia Ducournau hinzuweisen: „Raw‟. Ja, auch der ist wild, anstößig und eben roh, aber eben auf seine eigene Art im Genre des Horrorfilms auch ein spannender Coming-of-Age-Film, der mit den Mitteln des Genrefilms über das Erwachsenwerden, die Veränderungen des Körpers, die Auseinandersetzung mit der Identität erzählt. Eine kurze Kritik, die anlässlich der Veröffentlichung fürs Heimkino entstand, finden Sie in der Kinofilmwelt.

Bleiben wir kurz beim Mut, Erwartungen zu unterlaufen. Oft viel zu harmonisch und in Watte gepackt wirken viele Kinderfilme, wenn sie auf Biegen und Brechen alles ausblenden, womit man irgendwie anecken könnte. Wie schön ist es, wenn dann die Kinderjury beim Goldenen Spatz mit „Mission Ulja Funk‟ einen Film auszeichnet, der wild und ungewöhnlich ist! Barbara Felsmann plädiert für mehr solcher Kinderfilme, die Frechheit wagen. Und bei den Projektvorstellungen, die ebenfalls im Rahmen des diesjährigen Kinder Medien Festivals stattgefunden haben, hat sie ein paar weitere, in dieser Hinsicht vielversprechende Stoffe gefunden.

 

Editorial | | von Stefan Stiletto

Juli 2021

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Nach sieben Monaten öffnen die Kinos wieder. An einem Angebot für Kinder und Jugendliche wird es in den kommenden Monaten nicht mangeln: Mit „Die Olchis‟ und „Ostwind – Der große Orkan‟ stehen noch im Juli kommerziell vielversprechende Titel in den Startlöchern. Aber auch Festivalperlen wie „Erdmännchen und Mondrakete‟ (Schlingel 2018) und „Die Adern der Welt‟ (Berlinale Generation 2020) sollen ins Kino kommen. Ist also alles bald wieder so wie früher?

Sicher nicht. Zum ersten Mal hat man bei Disney etwa beschlossen, einen Pixar-Film – also eine Produktion aus einem der derzeit renommiertesten Animationsstudios – ausschließlich auf dem hauseigenen Streamingdienst zu starten, obwohl eine Kinoauswertung möglich wäre. „Luca‟ gibt es, trotz passender sommerlicher Atmosphäre und „großer‟ Bilder, nur für den kleinen Schirm zu Hause. Nun gut, könnte man sagen, so bleiben mehr Leinwände frei für viele andere Filme. Aber ein mulmiges Gefühl bleibt trotzdem, wenn hochwertige Kinder- und Jugendfilmproduktionen keinen Platz im öffentlichen Raum erhalten.

Andererseits haben die vergangenen eineinhalb Jahre viele Filmjournalist*innen gelehrt, dass sich auch ein genauer Blick in das Angebot der Streamingdienste und DVD- oder Blu-ray-Veröffentlichungen lohnt. Es ist sicher nicht so, dass es in dieser Zeit nichts zu entdecken gegeben hätte. Und mit der teils langen Verfügbarkeit ausgewählter Titel in den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender waren es nicht nur Bezahldienste, die hier mit vielfältigen sehenswerten Filmen für Kinder und Jugendliche aufgewartet haben.

Schlicht beeindruckend ist auch, wie viel Kinder- und Jugendfilmkultur auf einmal in Klick-Nähe war durch alle Festivals (jüngst wieder die Kurzfilmtage Oberhausen, das Trickfilm-Festival Stuttgart, das DOK.fest München, der Goldene Spatz), die sich Online-Formaten geöffnet haben. Es bleibt zu hoffen, dass diese Mehrgleisigkeit der Filmpräsentation und Zugänglichkeit zu außergewöhnlichen Filmen für Kinder und Jugendliche in Zukunft bestehen bleibt und kein Tabu mehr ist.

Apropos Tabu: Die Frage, was man Kindern in Filmen zumuten kann und darf, ist beileibe nicht neu – aber ein spannendes Thema, das es in regelmäßigen zeitlichen Abständen immer wieder neu zu verhandeln gilt. Barbara Felsmann und Bernd Sahling haben das für das Kinder- und Jugendfilmportal gewagt. In einem 40-minütigen Gespräch, das Sie ausnahmsweise nicht nachlesen, wohl aber nachhören können, haben sie über Tabus im Kinderfilm nachgedacht.

 

Editorial | | von Stefan Stiletto

April 2021

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Ein Festival ohne Publikum und Gemeinschaftserlebnis ist eine traurige Sache, das gilt für die kleinen Kinder- und Jugendfilmfestivals ebenso wie die große Berlinale. Letztere fand nun zum ersten Mal nur digital statt. Trotz merklich reduziertem Programm gab es aber einiges zu entdecken. Vorfreude auf das zeitversetzte Berlinale-Publikumsevent im Sommer wecken die Berichte über die Reihen Kplus (von Katrin Hoffmann) und 14plus (von Reinhard Kleber), die inhaltlichen oder ästhetischen Verbindungen nachgehen, sowie mehrere Einzelbesprechungen, die Sie in der Rubrik Festivalentdeckungen finden. Anlässlich der Aufführung von „Petite Maman‟ im Wettbewerb wirft Holger Twele zudem in einem Hintergrundtext einen Blick auf das bemerkenswerte Werk von Céline Sciamma, der es gelungen ist, sich sowohl im Arthouse-Kino für Erwachsene als auch im Kinder- und Jugendfilmbereich einen Namen zu machen.

Jubeln kann man im Augenblick auch über das tolle Spielfilm-Programm des KiKA, das im Free-TV mit einigen Perlen aufwartet – und diese oft sogar noch über mehrere Wochen in seiner Mediathek zugänglich macht. Dort ist etwa noch „Mein Bruder, der Superheld‟ zu finden, der letztes Jahr unter dem Titel „My Brother Chases Dinosaurs‟ mit dem EFA Young Audience Award ausgezeichnet wurde. Sollten Sie den letztjährigen Kplus-Eröffnungsfilm „Das Blubbern von Glück‟ („H is for Happiness‟) verpasst haben, müssen Sie sich jedoch bis zur bald anstehenden DVD-Veröffentlichung gedulden.

Moment! Eine Veröffentlichung nur auf DVD im Jahr 2021? Das bringt uns jetzt leider auch mal zum Schimpfen. Manch ein toller Kinderfilm, der zuvor auf Festivals weltweit zu sehen war, wird heute ausschließlich auf DVD veröffentlicht. Eine Blu-ray-Ausgabe mit einer ordentlichen zeitgemäßen Bildqualität sucht man auf dem deutschen Markt vergebens. Bei jedem einzelnen Kinderfilm mag es nachvollziehbare Verkaufsargumente für dieses Downgrading geben. In der Summe ist es aber nicht schön zu sehen, dass der Hang zum Billigen typischerweise die Sparte Kinderfilm trifft und dann obendrein besonders diejenigen Filme technisch verramscht werden, die eigentlich inhaltlich hervorstechen.

Das Schicksal des schmerzhaften DVD-Downgradings hat neben „Das Blubbern von Glück‟ und „Mein Bruder, der Superheld‟ auch den sehenswerten französischen Animationsfilm „Königreich der Bären‟ ereilt, der nach seiner Aufführung in Annecy und beim Schlingel als Heimkinopremiere erscheint. Volle Qualitätsansprüche erfüllt hingegen der Arthaus-Bezahldienst MUBI, wo Sie derzeit noch den absolut sehenswerten „Une Colonie‟, preisgekrönt bei Generation Kplus 2019, nachholen können. Und jenseits von Kinderfilmen finden Sie auf Starzplay die von Luca Guadagnino inszenierte Serie „We are who we are‟.

 

Editorial | | von Stefan Stiletto

Februar 2021

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Wie generiert man online schnell viele Klicks? Ganz einfach: Man schreibt über Sex. Das machen wir jetzt auch mal. Denn um Sex geht es in „Yes, God, Yes‟. Oder genauer: Es geht um das Verbot von Sex, denn Körperlichkeit und Lust sind in der konservativen religiösen Welt, in der die jugendliche Protagonistin aufwächst, tabu. Ein Drama ist der kurzweilige Debütfilm von Karen Maine zum Glück nicht geworden, sondern eine sympathische Komödie. Weil der Kinostart gestrichen wurde, lässt sie sich nun via Streaming oder klassisch auf DVD und Blu-ray zu Hause entdecken und ist schon aufgrund des komischen Talents der Hauptdarstellerin einen Blick wert.

Ein echtes Highlight hat unterdessen Netflix neu im Programm. Knapp drei Jahre nach der Uraufführung beim Sundance Filmfestival ist dort „Eighth Grade‟ zu sehen. Authentisch und humorvoll erzählt der Coming-of-Age-Film über eine Jugendliche, die als Vloggerin weitaus selbstbewusster ist als im doch recht steinigen Alltag. Grund genug, noch einmal auf unsere Kritik zu verweisen, die Holger Twele schon anlässlich der deutschen Premiere beim Filmfest München 2019 geschrieben hat.

Auch MUBI, der Streamingdienst für Filmbegeisterte, wartet in diesem Monat (zeitlich begrenzt) noch mit zwei absolut sehenswerten Produktionen auf, die nach ihren Festivalpremieren wieder vom Radar verschwunden sind: die Langzeitdokumentation „Jugend‟ von Sébastien Lifshitz sowie „Kuessipan‟ von Myriam Verreault über zwei Freundinnen in einer kanadischen First-Nations-Community.

Eine Ahnung von Kino bringt Ihnen der Festivalbericht von Reinhard Kleber über Jugendfilme auf dem kürzlich zu Ende gegangenen Festival Max Ophüls Preis. Sicher, das Festival fand nur digital statt. Aber vielleicht sind die gezeigten Filme ja in baldiger Zukunft doch noch im Kino zu sehen.

Den Sprung ins Kino hat Tobias Krell alias Checker Tobi schon hinter sich. Die Kinodoku „Checker Tobi und das Geheimnis unseres Planeten‟, die erste Adaption der beliebten KiKA-Wissenssendung, hat uns schon vor zwei Jahren mit ihrer schönen Mischung aus Leichtigkeit, Unterhaltung und Tiefgang außerordentlich gut gefallen. Nun taucht Tobias Krell in die Kinderfilmfestivalszene ein – und zwar nicht nur als Moderator, sondern als neuer Leiter des Kinderfilmfests München. Wir können uns gut vorstellen, dass in Zukunft allein Krells Bekanntheit einige Kinder mehr zum Filmfest locken wird. Und wir sind gespannt, welche Ausrichtung Krell dem Programm geben wird. Zweifellos ist es eine frohe Botschaft für eine Kinokultur, die sich mit der Power eines bekannten und inhaltlich allseits geschätzten Kinderfilm- und TV-Spezialisten für den hoffentlich baldigen Neustart präpariert.

 

Editorial | | von Stefan Stiletto

Dezember 2020

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Manche Filme fühlen sich unglaublich aktuell an, auch ohne konkret auf die Gegenwart zu sprechen zu kommen. „Soul‟ ist so ein Fall, der neue Film aus dem Pixar-Studio, der zu Beginn der Pandemie zu Hause fertiggestellt wurde. Man kann „Soul‟ als Film lesen, der vor allem das krampfhafte „Streben nach Glück‟ und Leistungsdenken kritisiert – ein Thema, das vielleicht weniger Kinder, wahrscheinlich aber schon Jugendliche gut kennen. Und man kann in ihm sehen, wie schön und wichtig es doch ist, nicht nur in seiner eigenen geschlossenen Welt zu leben, sondern sich der Welt „da draußen‟ mit allen Sinnen öffnen zu können. Nun startet „Soul‟, der zur offiziellen Auswahl des abgesagten 2020er-Cannes-Festivals zählt, am Weihnachtstag auf Disney+. Eine Premiere, die durchaus glücklich machen kann, weil dieser Film einfach ein Meisterwerk ist, die aber auch schmerzlich erahnen lässt, was für eine Kraft dieser auf einer großen Leinwand entfalten könnte.

Ganz ähnlich verhält es sich mit „Wolfwalkers‟, dem neuen Zeichentrickfilm von Tomm Moore und Ross Stewart aus dem irischen Animationsstudio Cartoon Saloon, der seine Premiere auf dem Filmfestival in Toronto feierte und nun bei Apple TV+ zu entdecken ist. Wie „Das Geheimnis von Kells‟ und „Das Lied des Meeres‟ verknüpft dieser Film kongenial irische Geschichte und Folklore mit gegenwärtigen Themen – und besticht dabei durch seine außergewöhnliche Ästhetik. Moore und Ross verstehen es meisterlich, einem jungen Publikum etwas über Kunst und Geschichte zu erzählen, ohne dabei aufdringlich zu sein. Während sich die Kinos im Dornröschenschlaf befinden und irgendwann im nächsten Jahr hoffentlich wieder mit einem spannenden Filmprogramm wachgeküsst werden – Holger Tweles Bericht über neue deutsche Jugendfilme, die kürzlich bei den Hofer Filmtagen zu sehen waren, schüren die Vorfreude – bieten die Streamingdienste tolle Filmerlebnisse zum Jahresende.

Mit dem Jahr 2020 geht auch das Jubiläum des Bundesverbands Jugend und Film (BJF) zu Ende, der auf eine 50-jährige Geschichte zurückblickt. Reinhard Kleber hat aus diesem Anlass mit dem langjährigen BJF-Geschäftsführer Reinhold T. Schöffel ein Interview geführt, Holger Twele wirft einen Blick auf die filmischen Entdeckungen, die der BJF zugänglich gemacht hat. Und wir freuen uns, wenn im kommenden Jahr dann „Youth Unstoppable‟ startet – der erste Film, den der BJF als Verleih selbst ins Kino bringt. Eine Premiere für den Verband, dessen Domäne die nicht-gewerbliche Filmarbeit ist.

Zuletzt hat uns die Frage interessiert, wo Jugendliche sich im Netz eigentlich über Film informieren können. Unmotivierte Bestenlisten sorgen für Klicks. Aber wie steht es um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Filmen, die sich nicht an ein Fachpublikum richtet, sondern an Jugendliche? Marius Hanke hat recherchiert und seine Ergebnisse und Gedanken für uns zusammengefasst. Zugespitzt in der Frage, welche Chancen Kurator*innen in der Welt der Algorithmen bleiben.

Editorial | | von Stefan Stiletto

November 2020

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Ende Oktober sind an einem einzigen Donnerstag so viele Filme mit Kindern und Jugendlichen in den Hauptrollen im Kino angelaufen wie nie zuvor in diesem Jahr, darunter Julia von Heinz’ „Und morgen die ganze Welt‟, der thematisch auf der Höhe der Zeit ist und über den Willen nach Veränderung und Gewalt als legitimes Lösungsmittel erzählt, der auch visuell ungemein starke Dokumentarfilm „Glitzer & Staub‟ von Anna Koch und Julia Lemke über Mädchen in der männerdominierten US-Rodeo-Szene, oder die Comic-Adaption „Yakari‟ von Xavier Giacometti und Toby Genkel, die mit viel Liebe zum Detail die Ästhetik der Vorlage übernommen hat und sich schon für jüngste Kinobesucher*innen eignet. All diese sehenswerten Filme hat der zweite Lockdown kalt erwischt. Es ist zu hoffen, dass die Verleiher*innen und die Kinobetreiber*innen den Mut und die Mittel haben, alle diese noch einmal zu starten, wenn die Kinos wieder geöffnet werden.

Noch sieht es auch gut aus, was neue Kinder- und Jugendfilme aus aller Welt angeht. Die Berichterstattungen über die Herbst-Festivals „Lucas‟ und „Schlingel‟ wirft den Blick auf sehenswerte neue Produktionen. Im Zuge von „Lucas‟ ist Holger Twele dabei vor allem der besondere Umgang mit Körperlichkeit ins Auge gefallen, beim „Schlingel‟ waren es die unterschiedlichen, mal konventionellen, mal experimentellen Erzählweisen. Katrin Hoffmann hat sich unterdessen drei Animationsfilme beim „Schlingel‟ genauer angesehen und in ihrem Text die vielfältigen gesellschaftspolitischen Bezüge herausgestellt, die darin verhandelt werden.

Und sonst? Finden Sie bei uns auch ein Interview mit Julia von Heinz zu „Und morgen die ganze Welt‟, fürs Binge-Watching zu Hause Serienempfehlungen zu „Grand Army‟ und „Noch nie in meinem Leben...‟ und Kritiken zu lohnenden Heimkino-Veröffentlichungen wie „Mein etwas anderer Florida Sommer‟ oder „Lovecut‟.

Die Rubrik „Quergedacht‟ – das Wort wurde ja leider in den letzten Monaten politisch gekapert – hat bei uns übrigens nichts mit schrägen Vorstellungen von Demokratie zu tun, sondern mit einem Erzählen über Kinder- und Jugendfilme aus ungewöhnlichen Perspektiven. Dazu zählt auch eine Beschäftigung mit bemerkenswerten Figuren im Kinder- und Jugendfilm. Christiane Radeke hat sich in ihrem Beitrag mit der Titelheldin von „Enola Holmes‟ auseinandergesetzt, die sich als starke Protagonistin in einer patriarchalischen Gesellschaft behauptet. Mut und Witz – vielleicht ist es gerade das, was wir in diesem seltsamen Jahr dringend benötigen.

 

Editorial | | von Stefan Stiletto

September 2020

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Die Krise als Chance – diese beschönigende Sichtweise ist manchmal ziemlich arrogant. Denn schließlich ist die Krise zunächst einmal eine Belastung und eine Zumutung, die mit erheblichen Einschnitten verbunden ist. Erst in einem zweiten Schritt kann sie auch eine Chance sein, weil sie eben radikal aus dem üblichen Trott reißt und zum Umdenken zwingt. Dieser Herausforderung, neue Wege einzuschlagen, mussten (und müssen) sich auch die Kinder- und Jugendfilmfestivals in diesem Jahr stellen. Nun ist mit dem „Goldenen Spatz‟ am 20. September das erste Herbstfestival an den Start gegangen, am 24. September folgt bereits „Lucas‟, am 10. Oktober dann der „Schlingel‟. Aber wie sehen Festivals zu Corona-Zeiten eigentlich aus?

Barbara Felsmann hat sich mit den Organisator*innen unterhalten und erzählt in ihrem Artikel „Die große Ungewissheit‟ unter anderem über den Spagat zwischen Online und Offline, Juryarbeit via Videokonferenz und die Versuche, ein wenig Festivalatmosphäre ins Netz zu tragen. Zudem wirft sie auch einen Blick zurück auf DOK.education, das filmpädagogische Angebot des DOK.fest München, das schon im Frühjahr ein bemerkenswertes digitales Alternativprogramm für Schüler*innen geboten hat.

Der Tenor beider Recherchen ist dabei klar: Das Kino und das Festivalerlebnis vor Ort sind nicht zu ersetzen. Aber die Öffnungen, die nun erprobt werden, können vielleicht dazu beitragen, die großartigen Filme, von denen Fachbesucher*innen schwärmen, auch einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Es wird sich zeigen, inwieweit die besonderen Umstände der Planung, der Organisation und der Durchführung von Festivals in diesem Jahr auch ein Innovationsmotor sind.

 

Editorial | | von Stefan Stiletto

Juli 2020

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Es ist nachvollziehbar, dass sich das Interesse, sich mit vielen Menschen in engen Räumen zu befinden, im Moment noch in Grenzen hält. Aber ein Ausflug ins Kino kann schon wieder lohnenswert sein. Gerade im Kinder- und Jugendfilmbereich bewegt sich gerade viel. Und das mit dem Bewegen kann man durchaus wörtlich nehmen. Ab dem 16. Juli lädt „Into the Beat‟ zum schwungvollen Mitgrooven ein, wenn eine Jugendliche nach ihrem Platz zwischen Ballett und Streetdance, zwischen familiärer Verbundenheit und individueller Lebensplanung sucht. Ein bisweilen sehr mitreißender Coming-of-Age-Film, der auf den Spuren der britischen „Streetdance‟-Reihe wandelt, diese aber um klassische Jugendfilmthemen anreichert. Vom Label „Der besondere Kinderfilm‟ sollte man sich dabei nicht irritieren lassen – die Förderung geht noch zurück auf die Idee, die Geschichte mit Protagonist*innen im Kindesalter zu erzählen. Dass man sich davon verabschiedet hat, wirkt angesichts des fertigen Films nur konsequent und kann vielleicht für die Produktion echter Jugendfilme in Deutschland auch ein paar Impulse bieten.

Einen Neustart wagt auch „Zu weit weg‟, den die Kinoschließungen aufgrund der Corona-Pandemie in der Startwoche eiskalt erwischt hatten. Ein lohnender Kinderfilm, der weltweit schon auf einigen Festivals lief und thematisch ähnlich wie „Into the Beat‟ die Frage nach Zugehörigkeit verhandelt. Aber auch sonst gibt es im Kino einiges zu entdecken: Den gegen den Strich gebürsteten Sommerfilm „Sunburned‟ etwa, der von der Begegnung einer Jugendlichen mit einem Flüchtlingsjungen erzählt und zuvor beim Filmfestival Max Ophüls Preis zu sehen war.

Wer zu Hause bleiben will, findet nach wie vor bei den Streamingdiensten genug hochwertige Filmunterhaltung: Einen besonderen Blick lohnt „Nur die halbe Geschichte‟ (Netflix), den man auch gerne auf der großen Leinwand gesehen hätte. Auch Apple TV+ wagt sich vor in Geschichten für ein junges Publikum. Im Mittelpunkt der Serie „Home Before Dark‟ steht etwa eine neun Jahre alte Ermittlerin (auch wenn die Serie erst für Jugendliche geeignet ist). Und mit dem Kurzfilm „Hier sind wir‟ wurde ein großer Bilderbucherfolg von Oliver Jeffers adaptiert; wir nehmen dies zum Anlass, den Stil und die Erzählhaltung der beiden bisherigen Jeffers-Verfilmungen „Hier sind wir‟ und „Pinguin gefunden!‟ unter die Lupe zu nehmen.

Der Corona-Autokino-Hype mag nun schon wieder vorbei sein. Aber interessant ist es, dass die Veranstalter*innen sich dabei bisweilen auch um ein junges Publikum bemüht haben. Reinhard Kleber hat sich während der Hochphase der Krise das Autokino für Kino als besonderes Event genauer angeschaut, bei dem auch das Kinderfilmfestival „Schlingel‟ mitgemischt hat.

Editorial | | von Stefan Stiletto

Mai 2020

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In den letzten Wochen war immer die Rede davon, dass wir „in besonderen Zeiten‟ leben. Und wenn man etwas Positives darüber sagen kann, dann ganz sicher, dass die außergewöhnlichen Umstände keineswegs zu einem Stillstand an Kreativität und Engagement geführt haben. Im Gegenteil: In Windeseile haben etwa Filmfestivals wie das Internationale Trickfilmfestival Stuttgart, das DOK.fest München oder die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen ihre Programme zu Online-Angeboten umgestaltet – und es dabei keineswegs dabei belassen, nur die Filme zu streamen. So findet etwa das Schulprogramm des DOK.fest zum ersten Mal virtuell statt und enthält trotzdem ein medienpädagogisches Begleitvideo und beim Trickfilmfestival gab es eine mehrteilige Trickfilmschule für die jungen Zuschauer*innen zuhause. So sehr bei diesen Online-Festivals auch das „Kinofeeling‟ fehlt, so sehr rückt doch ein anderer Aspekt ins Auge: Wird so nicht vielleicht sogar ein größeres Publikum erreicht? Können solche ergänzenden Angebote in Zukunft vielleicht eine Chance sein, den räumlich begrenzten Festivalort zu öffnen und neue Vertriebswege für tolle Kinder- und Jugendfilme zu schaffen? Oder sollten diese Aktionen eher eine Ausnahme bleiben, weil sie den Vertrieb – im Gegenteil – sogar schwächen könnten? Zu unseren Festivalentdeckungen aus dem Online-Programm des DOK.fest München jedenfalls zählen die Beiträge "Copper Notes of a Dream", „Scheme Birds‟, „Sommerkrieg‟ oder „Acasa, My Home‟ – und Sie müssen nicht in München sein, um sie (noch bis zum 24. Mai) sehen zu können.

Aber auch die öffentlich-rechtlichen Sender haben in den letzten Wochen auf die Krise reagiert. Die Mediatheken sind prall gefüllt mit einer Vielzahl an kostenfrei abrufbaren hochwertigen Spielfilmen für Kinder – vor allem dem KiKA gebührt hier Lob, macht er doch, zum Teil über lange Zeiträume, jüngere Festivalhits wie „Binti‟, „Sune vs. Sune‟ oder „Ich bin William‟ zugänglich, denen sowohl eine Kino- als auch eine Heimkinoauswertung bislang verwehrt geblieben ist.

Eine hochwertige Auswahl an Kinder- und Jugendfilmen bietet auch das Streaming-Portal Filmfriend an, das für Nutzer*innen teilnehmender Bibliotheken verfügbar ist. Reinhard Kleber stellt es vor. Wer physische Medien bevorzugt, findet derweil gute Unterhaltung mit dem bildgewaltigen Anime „Children of the Sea‟ sowie dem preisgekrönten Jugenddrama „Giant Little Ones‟, die beide als Heimkino-Premieren erschienen sind.

In der nächsten Zeit werden wir verstärkt auch das Programm von Streaming-Diensten durchforsten, die zum Teil mit ambitionierten und sehenswerten Eigenproduktionen eigene Duftmarken im Film- und Serienangebot für Kinder und Jugendliche setzen. Die von Detlev Buck (mit)inszenierte Serie „Bibi & Tina‟ (Amazon Prime) zählt leider nicht zu den Highlights, die Netflix-Produktionen „Der Brief für den König‟ und „I Am Not Okay With This‟ hingegen sind sehr sehenswert. Wer sich in diesem Zusammenhang schon gefragt hat, weshalb Jugendliche in Serien der jüngsten Zeit so oft Superkräfte oder magische Fähigkeiten besitzen, findet ein paar Analyseansätze in dem Hintergrundtext von Christopher Diekhaus.

Aber keine Sorge, liebe Kinder- und Jugendfilmverleiher*innen: Wir driften nicht in die Online-Welt ab, sondern freuen uns auf die hoffentlich baldige Wiederöffnung der Kinos, auf „Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess‟, auf „Madison‟ und „Into the Beat‟ (die nächsten beiden Filme der Initiative „Der besondere Kinderfilm‟), auf „Mina und die Traumzauberer‟, auf „Sunburned‟ und „Kokon‟.

 

Editorial | | von Stefan Stiletto

März 2020

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Im Februar waren wir noch optimistisch. „Gute Zeiten für den Kinderfilm?‟ lautete die Überschrift unseres Editorials. Zwar mit einem Fragezeichen versehen – aber dennoch mit Vorfreude auf die vielen tollen Kinderfilme blickend, die bald im Kino starten würden. Das ist jetzt vorbei. „Zu weit weg‟, die eindrucksvolle und vielschichtige Geschichte über den Verlust des Zuhauses, hat es besonders hart erwischt. Wenige Tage nach dem Start wurden sämtliche Kinos aufgrund der Corona-Krise geschlossen. Der grandiose „Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess‟ wurde erstmal vorsichtig auf Juni verschoben. Der Goldene Spatz wird in diesem Jahr nicht im Frühjahr stattfinden. Und das Trickfilmfestival Stuttgart, bei dem es für ein junges Publikum immer einiges zu entdecken gibt, ist abgesagt.

Was das Blockbuster-Kino vielleicht noch halbwegs abfedern kann, ist für die kleinen Verleiher ebenso wie für die engagierten Kinos und die Festivals, die Kinder- und Jugendfilme auch abseits der einschlägigen Großproduktionen spielen, eine Katastrophe. Die Gewinner der Krise werden die Streaming-Anbieter sein, im Moment der direkte Draht in die isolierten Wohnzimmer. Und ja, so schön das Kino ist, so spannend ist auch deren Angebot (normalerweise ergänzend zum Kino), wenn man sich von der schieren Masse und Unübersichtlichkeit nicht erschlagen lässt.

Weil Kinder und Jugendliche derzeit vermutlich mehr fernsehen werden als sonst, möchten wir zunächst allgemein auf die kostenfreien Online-Angebote des KiKA hinweisen. Nicht selten sind dort einige Fernsehpremieren von Kinderfilmfestivalerfolgen zu finden, die es in Deutschland weder ins reguläre Kino noch auf DVD oder Blu-ray geschafft haben (und die unter normalen Umständen, auch das muss selbstkritisch gesagt werden, von der Berichterstattung kläglich vernachlässigt werden). Für Jugendliche lohnt sich unterdessen immer wieder ein Blick in die Mediathek von Arte, wo es in schöner Regelmäßigkeit auch etwa schroffere Coming-of-Age-Geschichten, auch hier meist Festivalfilme, zu sehen gibt. Das kommerzielle Netflix wartet unterdessen vor allem mit einigen interessanten Serien-Eigenproduktionen für Kinder und Jugendliche auf und auch das neue Disney+ hat bereits erste exklusive Inhalte präsentiert. Ausgewählte Filme und Serien der Mediatheken und Streaming-Dienste werden wir in der nächsten Zeit ausführlich hier im Kinder- und Jugendfilmportal vorstellen. „Der Brief für den König‟ macht den Anfang und richtet sich an Zuschauer*innen ab 12 Jahren, Jugendliche ab 16 Jahren finden mit „I am not okay with this‟ eine schräge Comic-Adaption. Darüber hinaus möchten wir auch auf Filmfriend.de hinweisen, das Nutzer*innen teilnehmender Bibliotheken kostenfrei Zugriff auf handverlesene Kinderfilme bietet.