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Hintergrund | | von Stefan Stiletto

Von Mäusen und Monstern, Monsterkindern und Hexen, lebenden Ästen und diebischen Ratten

Filme für jüngste Zuschauer*innen

Auf dem Buchmarkt haben sich die von Julia Donaldson geschriebenen und Axel Scheffler illustrierten Bilderbücher längst etabliert und sind zu einer Marke geworden. Aber auch die Adaptionen – jüngst wurde „Räuber Ratte“ fürs Heimkino veröffentlicht – lohnen sich: Feinstes Filmvergnügen für Filmanfänger*innen mit Herz, Verstand und Qualitätsbewusstsein.

Das Prinzip ist einfach: Klare Reime in überschaubarer Zahl, so dass auch jüngere Kinder sie schnell auswendig mitsprechen können, großflächige farbenfrohe Illustrationen und Geschichten, die mit Wiederholungen spielen und episodisch aufgebaut sind. Mit Bilderbüchern wie „Der Grüffelo“ oder „Für Hund und Katz ist auch noch Platz“ haben sich die britische Autorin Julia Donaldson und der deutsche Illustrator Axel Scheffler – die Übersetzungsleistungen müsste man dabei gesondert würdigen – einen festen Platz in der Kinderliteratur erobert. Mehr noch: Ihre Bücher sind aufgrund ihrer Wiedererkennbarkeit, die schon bei der Umschlaggestaltung beginnt, geradezu eine Marke geworden. Ein Erfolg mit Folgen. Irgendwann stand der Wunsch im Raum, die beliebtesten Werke zu verfilmen.

"Der Grüffelo" (c) Concorde

Vertrautheit schaffen

Eigentlich sollte man skeptisch werden, wenn aus etwa 24-seitigen Büchern 30-minütige Filme werden. Aufgeblasene Begleitprodukte, um den Verkauf der Bücher anzukurbeln und einen anderen Marketingkanal zu bedienen? Keineswegs. Die sechs CGI-Animationen, die im Auftrag der BBC bislang vom britischen Studio Magic Lights Pictures produziert wurden – „Der Grüffelo“ (2009, Jakob Schuh, Max Lang), „Das Grüffelokind“ (2011, Uwe Heidschötter, Johannes Weiland), „Für Hund und Katz ist auch noch Platz“ (2012, Max Lang, Jan Lachauer), „Stockmann“ (2015, Jeroen Jaspaert, Daniel Snaddon), „Räuber Ratte“ (2017, Jeroen Jaspaert) und „Zogg“ (2018, Max Lang, Daniel Snaddon) – sind keine Schnellschüsse. Und man kann auch diese Filme nicht genug loben, gelingt es ihnen doch, den Buchvorlagen treu zu bleiben, diese dennoch durch filmische Mittel und sanfte Abweichungen zu bereichern und dabei die Kernzielgruppe der Bücher nicht aus den Augen zu verlieren. Es sind Filme geworden, die sich auch wirklich für Kindergarten- und Vorschulkinder eignen, an deren Rezeptionsgewohnheiten ansetzen, sie aber auch fordern.

Schon die Eröffnungsszene des „Grüffelo“, der ersten Adaption der Donaldson/Scheffler-Bücher aus dem Jahr 2009, bereitet auf den Übergang vom Vorlesen zum Sehen, vom Buch zum Film vor. Eine neue Rahmenhandlung wurde der Geschichte hinzugefügt. „Erzähl uns von einem Monster“, bittet ein Eichhörnchenkind, das gerade einer Eule entkommen ist, seine Mutter. „Oder von einer Maus“ ergänzt etwas vorsichtig das ängstliche andere Eichhörnchen. Augenzwinkernd wird hier die Kindern vertraute Vorlesesituation gespiegelt und als Einstieg benutzt.

Während das Figurendesign der Filme sich eng an den Illustrationen von Scheffler orientiert und deren Flächigkeit auch in der Computeranimation beibehält, laden die bekannten Texte der Vorlage, die wortgetreu über einen Voice-Over-Kommentar von einer Erzählerin oder einem Erzähler vorgetragen werden, das junge Publikum zum Mitsprechen ein. Dass dabei das gesprochene Wort oft doppelt, was im Bild zu sehen ist, schadet den Filmen in diesem Fall ausnahmsweise nicht. Es erleichtert Filmanfänger*innen vielmehr die Orientierung. In manchen Passagen erinnern die Filme dadurch an ein Bilderbuchkino.

Über die Vorlagen hinaus

"Für Hund und Katz ist auch noch Platz" (c) Concorde

 

Zugleich aber weisen die Verfilmungen auch immer über die Bücher hinaus, reichern sie doch die vorwiegend aus episodischen Begegnungen bestehenden Geschichten um Motive an und füllen damit Leerstellen der Vorlagen. Streift die Maus in „Der Grüffelo“ im Buch etwa ziellos durch den Wald, so treibt sie im Film der Hunger an. Ihr Ziel ist ein Nussbaum – auf einem Hügel am anderen Ende des Waldes. Durch eine scheinbar nebensächliche Handlung wird die Maus sogar noch prägnant charakterisiert. Mit einem Handgriff leitet sie eine Ameisenstraße um und rettet die Insekten damit vor einem hungrigen Specht. Fünf Minuten dauert es, bis die Filmhandlung an dem Punkt angelangt ist, an dem die Geschichte im Buch beginnt. In „Für Hund und Katz ist auch noch Platz“ wiederum erweckt die Hexe durch einen missglückten Zauberspruch und die folgende Explosion erst den Drachen, der sich ihr danach an die Fersen heftet. Und ein außergewöhnlich grüner Vogel erhält in dieser Geschichte sogar im Schnelldurchlauf eine eigene berührende back story, die über das Anderssein erzählt und dabei ganz ohne Worte auskommt.

Auch visuell spinnen die Bilder die reichhaltigen Illustrationen von Scheffler weiter. Ein alter Baumstamm sieht so aus wie der Grüffelo, dicke Wurzeln ähneln den Grüffelo-Tatzen. Der fiese Räuber Ratte wiederum wird durch Schattenbilder eingeführt und wirkt zunächst wie ein Mensch – bis ein Rattenschwanz unter seinem Umhang zum Vorschein kommt und ihn als tierischen (Anti-)Helden entlarvt. Insgesamt laden die filmischen Räume zum Entdecken ein. Kann der Blick im Buch frei wandern und auch Details im Hintergrund entdecken, so übernimmt im Film die Kameraführung diese Aufgabe und lenkt den Blick mal hierhin, mal dorthin. Das Staunen aber bleibt.

Fordernde Spannungsmomente

Trotzdem sind keineswegs alle Adaptionen so brav und niedlich wie andere Filme für diese Altersgruppe. Immerhin erzählt „Der Grüffelo“ über allerlei hungrige Waldtiere sowie ein Monster, in „Für Hund und Katz ist auch noch Platz“ droht die Heldin von einem Drachen gefressen zu werden und in „Räuber Ratte“ verläuft sich ein – wenngleich unsympathischer – Protagonist in einer dunklen Höhle. Durch ihre spannende Inszenierung können sich diese Szenen durchaus als Herausforderung für ein noch unerfahrenes junges Filmpublikum erweisen. Es ist etwas anderes, ob der Grüffelo oder der Drache auf der nächsten Buchseite auftaucht oder dessen Erscheinen langsam und schrittweise aufgebaut und dadurch zunehmend bedrohlicher wirkt. Vor allem in „Der Grüffelo“ wird das Publikum durch die ungemein dichte Geräuschkulisse im Surround-Sound regelrecht akustisch umhüllt. Eindrucksvoll führt dieser Film vor, wie durch die Tonebene nicht zu unterschätzende Spannung geschaffen wird.

Die (zumeist) starken und sympathischen Protagonist*innen aber sind es, die Sicherheit geben. Mit Witz und Fröhlichkeit stellen sie sich den Widrigkeiten. Oder sie haben Freund*innen, die ihnen zur Seite stehen. Nur in „Räuber Ratte“ wird die Perspektive vertauscht. Hier steht der Protagonist für das Brechen von Regeln und funktioniert gerade deshalb als rebellische Identifikationsfigur. Egoistisch verfolgt er nur seine Ziele und macht auf der Suche nach Süßigkeiten den anderen Waldtieren das Leben schwer. Bis er an eine einfallsreiche mutige Ente gerät.

"Der Grüffelo" (c) Concorde

Lernen, wie Filme erzählen

Leben die Bilderbücher vom geradlinigen Aufbau der Geschichten und von den Wiederholungen, so sind die Handlungen der Filme komplexer geworden. Die Stärke der Magic Lights-Produktionen besteht zum einen darin, eine detaillierte Welt um die wenigen Bildtableaus der Vorlagen entstehen zu lassen. Zum anderen bestechen sie durch ihre ausgefeilte Inszenierung. Ohne die Filme zu überladen und unübersichtlich werden zu lassen, bedienen sie sich der gesamten Palette filmischer Gestaltungsmittel. Da wird mit Soundeffekten, Schattenspielen, Unschärfen, Perspektiven und Bildausschnitten gespielt wie im Realfilm– und doch so, dass man der Geschichte gut folgen kann.

Am schwierigsten zu verstehen dürften für noch filmunerfahrene Kinder die ständigen Wechsel der Realitäts- und Zeitebenen sein. Oft zeigen die Filme, wovon die Figuren träumen, streuen fragmentarische Rückblicke in die Handlung ein oder wechseln die Erzählperspektive. Auch in dieser Hinsicht sind die Filme manchmal fordernd und können Erklärungen notwendig machen. Letztlich aber erweisen sie sich damit auch als besondere Form der Filmschule, lässt sich hier doch viel darüber lernen, wie mit Bildern Geschichten erzählt werden.

Das Beste aber ist, dass der Filmnachwuchs durch die knapp halbstündigen Abenteuer nicht überrumpelt wird wie von manch einem hektischen Langfilm, der sich vermeintlich schon für Vorschulkinder eignet. Das Verhältnis von Spannung und Entspannung, von Bewegung und Ruhe, von Drama und Humor stimmt. Und die Filme machen große Lust, immer wieder in die Welten von Julia Donaldson und Axel Scheffler zurückzukehren, egal in welchem Medium.

"Räuber Ratte" (c) Concorde

 

 

Die bisherigen Donaldson/Scheffler-Verfilmungen

Mit Ausnahme von „Zog“, der sich bei der Veröffentlichung dieses Textes noch in der Festivalauswertung befindet, sind alle Filme auf DVD (zum Teil auch Blu-ray) bei Concorde erschienen. Die beiden „Grüffelo“-Filme sind für die nicht-gewerbliche Aufführung auch beim BJF erhältlich. In Planung sind Verfilmungen von „Die Schnecke und der Buckelwal“ und „Zog und die Retter der Lüfte“.

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