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Festivals | | von Barbara Felsmann

Mehr Mut zur Frechheit!

Gedanken nach einer Fachveranstaltung im Rahmen des Festivals "Goldener Spatz" 2021

Warum bleiben viele Kinderfilme aus Deutschland so brav, packen alles in Watte und wagen so wenig? Frech, witzig und ungewöhnlich sind sie viel zu selten! Umso erfreulicher, dass beim diesjährigen Goldenen Spatz der frechste Beitrag ausgezeichnet wurde: „Mission Ulja Funk‟. Und auch eine Reihe neuer Projekte, die im Rahmen des Kinder Medien Festivals vorgestellt wurden, versprechen ein wenig Abwechslung.

"Mission Ulja Funk" (c) Ricardo Vaz Palma

Ende Mai musste sich die Kinderjury des Deutschen Kinder Medien Festivals Goldener Spatz in der Kategorie Langfilm durch ein anspruchsvolles, abwechslungsreiches Programm „arbeiten“. Doch nur ein Film konnte von den insgesamt acht nominierten Produktionen mit dem Hauptpreis des Festivals ausgezeichnet werden. Die Jury, in der 28 Mädchen und Jungen aus Deutschland sowie aus der Schweiz, Südtirol, Österreich, dem Fürstentum Liechtenstein, aus Luxemburg, der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens und der deutschen Minderheit Dänemarks vertreten sind, entschied sich für den witzigsten und frechsten Beitrag: „Mission Ulja Funk“. Und das Langfilmdebüt von Regisseurin und Drehbuchautorin Barbara Kronenberg vereint alles, was man in der deutschen Kinderfilmproduktion eher selten findet.

Die seltsamen Widersprüchlichkeiten unseres Lebens im Blick

„Mission Ulja Funk“ ist eine witzige, etwas absurde Story, hat knackige Dialoge, eine warmherzig-komische Zeichnung seiner Figuren, eine sperrige Hauptfigur und vor allem einen realistisch-ironischen Blick auf unsere Welt. Da gibt es nicht nur die kuriose russlanddeutsche Großmutter mit ihrem wunderbaren Akzent, da verlässt auch eine liebenswerte pummelige Prostituierte ihren Wohnwagen, um der freikirchlichen Gemeinde und damit „ihrer neuen Errungenschaft“ zu folgen, da kommen der Pfarrer und die seltsamen Gemeindemitglieder in Konflikt mit ihren Glaubensgrundsätzen. Kurzum: die Widersprüchlichkeiten unseres Lebens spiegeln sich dort auf eine Weise, die Kinder und Erwachsene gleichermaßen amüsiert. Übrigens ist dieser doch recht unkonventionelle Film im Rahmen der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ gefördert worden, was mit Blick auf die bisherigen Förderentscheidungen nicht selbstverständlich zu erwarten war.

2013 gegründet, begann die Initiative zunächst etwas holprig und ließ bei ihren ersten, originär entwickelten Drehbüchern immer mal auch den Rotstift von verantwortlichen Bedenkenträger*innen durchschimmern. Politische Korrektheit schien im Vordergrund zu stehen, keine rauchenden oder gar Alkohol trinkenden Erwachsenen, Kinder mit Problemen ja, aber alle Konflikte müssen sich wohlgefällig auflösen, es darf nichts offen bleiben, nichts anecken, nichts aufregen, nichts ganz besonders, ganz ungewöhnlich sein. Die Widerhaken des Lebens sollen „kindgemäß“ geglättet werden, mit dem Ergebnis, dass letztendlich wieder alles seine Ordnung hat und recht brav erscheint.

Tanzkreis oder Freiheit?

"Quatsch und die Nasenbärbande" (c) Veit Helmer Filmproduktion

„Quatsch und die Nasenbärbande“ jedenfalls, das anarchisch-freche Projekt von Veit Helmer, musste damals seine Förderer und Sender ohne Unterstützung der Initiative finden. 2014 eröffnete der Kinderfilm dann den Goldenen Spatz, eine unvergessliche Premiere! Während auf der Leinwand Vierjährige den Aufstand gegen ihre Eltern probten und sich deren Streben nach Durchschnittlichkeit widersetzten, die verrücktesten Erfindungen bastelten und dabei Müll- oder Feuerwehrautos und sogar eine Lok lautstark zu Bruch gehen ließen, tobte die Stimmung im Geraer UCI-Kino. Tosender Applaus im Kino, gespaltene Meinung bei den Erwachsenen. „Tanzkreis oder Freiheit“ hieß es im Film, für „Tanzkreis oder Freiheit“ entschied sich auch die Filmkritik. Die einen waren voller Begeisterung, selbst die FBW vergab das Prädikat „besonders wertvoll“, die anderen hatten Bedenken, dass Kinder all das Chaos im Film nachmachen und sich damit in Gefahr begeben würden. Ohnehin hatten die Fernsehsender durchgesetzt, dass im Abspann des Films gezeigt wird, wer wirklich die schweren Maschinen bewegt. In der Tat ist kein Nachahmungsfall bekannt. Dafür wurde der Film zu vielen internationalen Festivals eingeladen und ausgezeichnet.

Der Traum von einer behüteten Kindheit

Kinderfilme, die gegen den Strich bürsten, sich etwas trauen, provozieren und Grenzen ausloten, haben es in der deutschen Film- und Fernsehlandschaft nicht leicht. Sicher hängt das mit einem Bild von Kindheit zusammen, die unbeschwert und behütet sein soll. Zumindest auf der Leinwand oder am Bildschirm, wenn sie es schon nicht in der Wirklichkeit ist. Dass sich Kinder aber einen genauen Blick für die Widersprüchlichkeiten des Alltags erarbeiten, mit denen sie ja tagtäglich konfrontiert werden, wird gerne ausgeblendet. Ebenso bleibt es bei der althergebrachten Meinung, dass Kinder erst sehr spät Ironie verstehen, obwohl andererseits alles dafür getan wird, um deren Medienkompetenz zu fördern. Nur dass dieses Bemühen einige Erfolge zu verzeichnen hat, will man scheinbar dann doch nicht wahrhaben.

Gern werden wichtige und interessante Themen für Kinder in Watte gepackt, fantasymäßig „aufgeschickt“ oder in Abenteuer- und Detektivgeschichten eingebunden. Da werden „Flauschmonster“ zu Hilfe geholt, müssen „Wunderkröten“ im Titel herhalten, um eine vielversprechende Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm vermeintlich kindgerecht zu bewerben, oder werden Ortsnamen wie „Bullerbü“, Entschuldigung: wie „Böllersum“, erfunden, um eine durchaus interessante Geschichte zu erzählen, in der nicht Kleinkinder, sondern Elf- und Zwölfjährige die Schließung ihrer Dorfschule verhindern wollen. Auch diese Beispiele wurden aufgeschnappt beim diesjährigen Goldenen Spatz, der immer auch einen „Blick in die Werkstatt“ gewährt und außerdem die Präsentation der neuen Projekte der Akademie für Kindermedien sowie der Initiative „Formate aus Thüringen“ im Programm hat. Veranstaltungen, die immer großen Zuspruch erfahren.

Neue schräge und mutige Stoffe

"Zoros Solo" (c) Felix Meinhart

Interessanterweise wurden aber auch gleich mehrere Projekte vorgestellt, die sich dem Mystery- beziehungsweise Science Fiction-Genre zuwenden. Eines davon, nämlich das Serienkonzept mit dem neugierig machenden Titel „Blasmusik des Todes“ für „Mutige ab zehn Jahren“, erhielt den Förderpreis der Mitteldeutschen Medienförderung in Höhe von 15.000 Euro sowie den mit 2.500 Euro dotierten Magellan-Preis. In acht mal 30 Minuten will hier Comiczeichnerin, Autorin und Drehbuchautorin Olivia Vieweg eine – wie es scheint – schräg-gruselige Geschichte über ein paar Grufti-Kids aus Himmelsheim erzählen, die ihren Lieblingslehrer aus der Hölle befreien wollen und dafür zwangsweise eine Blasmusikkapelle gründen müssen. Die Zoom-Präsentation versprach viel Witz, viel Klamauk und ungewöhnliche Einfälle, wir können also gespannt sein.

Zu den mit jeweils 20.000 Euro geförderten Projekten der Initiative „Formate aus Thüringen“ gehört auch das Serien-Konzept „MINTs“ von Fabian Hebestreit und Martin Busker. 2019 hatten die beiden für ihr außergewöhnliches Drehbuch von „Zoros Solo“ den Bayerischen Filmpreis erhalten. Regisseur und Drehbuchautor Martin Busker ist ja bekannt für seine Arbeiten, die eine sehr berührende Geschichte mit komisch-verrückten Momenten spicken und so einen ganz besonderen Blick auf das Leben ermöglichen. Seine Kurzfilme „Höllenritt“ und „Halbe Portionen“ sprechen Kinder ab acht Jahren und erfreulicherweise auch Erwachsene an. Sein Langfilmdebüt „Zoros Solo“ bekam eine FSK 12, vermutlich wegen seiner politisch unkorrekten Dialoge. Sicher verstehen auch schon medienkompetente Zehnjährige den beißenden Humor, der sich kritisch mit Denkweisen und Vorurteilen auseinandersetzt.

Wie in allen bisherigen Arbeiten stehen auch in „MINTs“ Außenseiter*innen im Mittelpunkt. Da hat der 15-jährige Pietro durch einen Unfall sein Bein verloren und kann seine Karriere als Profifußballer vergessen. Zu allem Unglück soll er nun die Schul-AG MINT besuchen, ein Mischmasch aus Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik und dazu ein Sammelbecken der merkwürdigsten Schüler*innen. Diese wollen den Eindringling so schnell wie möglich wieder loswerden und auch Pietro setzt alles daran, aus dieser langweiligen AG wieder auszutreten. Nur muss er dafür eine besondere Begabung bei sich entdecken, die ihm den Zugang zu einer spannenderen, ungewöhnlichen AG ermöglicht. Auch diese „Multi-Kamera-Studio-Sitcom“, die wieder eine ganz eigene Komik verspricht, wendet sich an eine eher ältere Zielgruppe ab zehn Jahren. Diese allerdings wird dann in naher Zukunft einiges zum Lachen haben!

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