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Hintergrund | | von Rochus Wolff

Geschenke, Geschenke, Geschenke! Oder ist da noch mehr?

Weihnachtsfilme

Weihnachten steht vor der Tür. Und damit auch eine ganze Menge an Weihnachtsfilmen. Die gibt es, wie Geschenkpakete und Plätzchen, in allen Größen, Längen und Formen. Die Geschenkverteilung jedoch bestimmt nur einen Teil der Geschichten, die zumeist als Familienfilme eingeordnet werden und in denen oft Kinder eine bedeutende Rolle spielen. Zum Lebkuchengeruch also die Frage: Was macht einen Weihnachtsfilm aus? Und was eint all diese Filme?

"Elise und das vergessene Weihnachtsfest" (c) Capelight

Es gibt einen Comicstrip von Garfield, da sinnt er auf dem Weg zum Weihnachtsbaum darüber nach, was er an diesem Fest mag. „I love Christmas,“ sinniert er. „The parties and the presents, the caroling, the presents, the food, the presents, the decorations, the presents, the fun and the presents. Merry Christmas!“ Der so sympathisch-egozentrische Kater gibt sich also ganz seinem gewohnten kindhaften Lustprinzip hin – und trifft mit seinen Vorlieben doch ganz gut die zwei entscheidenden Punkte, zwischen denen das Weihnachtsfest in seiner populärmedialen Repräsentation in der Regel oszilliert: Rituale oder Feiern der Gemeinschaft und, natürlich, Geschenke.

Das ist gewiss eine im Kern unzulässige Reduktion der Vielfalt weihnachtlicher Cineastik, trifft dann aber doch den Kern der allermeisten Filme, die gemeinhin unter dem Begriff „Weihnachtsfilm“ subsumiert werden. Diesen präzise zu fassen, erweist sich als ähnlich schwierig wie der Umgang mit acht frierenden Rentieren, selbst wenn ganz vorne ein paar herausragende Beispiele mit leuchtenden Nasen den Weg weisen. Wie die Beschreibung eines Genres verändert und verschiebt sich der Begriff, sobald man beginnt, ihn mit konkreten Beispielen zu füllen.

Von religiösen Bezügen bis hin zu ritualisierten Feiertagsfilmen

„Das Wunder von Manhattan“ (George Seaton, 1947) und „Der Grinch“ (Scott Mosier, Yarrow Cheney 2018), „Arthur Weihnachtsmann“ (Sarah Smith, Barry Cook, 2011), „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ (Václav Vorlíček, 1973) und „Der kleine Lord“ (Jack Gold, 1980), „Die Muppets-Weihnachtsgeschichte“ (Brian Henson, 1992) und der 2021 frisch in den Kinos gestartete „Elise und das vergessene Weihnachtsfest“ (Andrea Eckerbom, 2019) – sie alle gehören zu den naheliegenden Beispielen für Weihnachtsfilme. Dabei verbindet sie streng genommen ästhetisch allenfalls Schnee, der Umstand, dass sie vorhandene Sehgewohnheiten eher bedienen als sprengen und dass sie eigentlich alle familien- oder kindertauglich sind. Inhaltlich allerdings eint diese Filme nicht einmal das Weihnachtsfest.

"Klaus" (c) Netflix 2019

Möchte man dennoch den Inhalt der Filme nutzen, um sehr grob zu begreifen, was alles Weihnachtsfilm sein will oder soll, gäbe es zum Beispiel diese mit Sicherheit unvollständige Liste sich überlappender Kategorien: Einmal Filme, die die biblische Weihnachtsgeschichte nacherzählen – das sind erstaunlich wenige, aber sie reichen von „Die Weihnachtsgeschichte‟ der Augsburger Puppenkiste (Klaus Marschall, 2016) bis zu „Bo und der Weihnachtsstern“ (Timothy Reckhart, 2017). Dann Filme, die sich um den Weihnachtsmann oder regional andere weihnachtsausführende Gestalten drehen, etwa „Klaus“ (Sergio Pablos, Carlos Martínez López, 2019) und „Ein Junge namens Weihnacht“ (Gil Kenan, 2021), beides sehr eigene „Origin Stories“ für den Weihnachtsmann, oder die bezaubernde französische Komödie „Santa & Co.“ (Alain Chabat, 2017). Desweiteren die vielen Verfilmungen von Charles Dickens‘ „A Christmas Carol“, deren schiere Anzahl und Vielfalt eine eigene Kategorie rechtfertigt, sowie Filme, die an oder rund um Weihnachten spielen und bei denen das Fest selbst eine größere oder kleinere Rolle für die Handlung spielt wie etwa „Kevin – Allein zu Haus“ (Chris Columbus, 1990). Und schließlich Filme, die „traditionell“ an Weihnachten geschaut werden und/oder im Fernsehen zu sehen sind, auch wenn sie keinen direkten Bezug zu Weihnachten haben wie „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“.

Weihnachten wird durch den Weihnachtsfilm mitgeschaffen

Wenn das „traditionell“ hier in Gänsefüßchen steht, dann soll das darauf verweisen, dass diese Tradition noch nicht wirklich lange existiert und all das, was unser heutiges Verständnis von Weihnachten (und vom Weihnachtsfilm) ausmacht, noch gar nicht alt ist. Das Weihnachten, wie wir es heute im kulturell stark durch die USA geprägten Westen archetypisch feiern – als brav im Familienkreis gebändigtes bürgerliches Fest, bei dem man sich gegenseitig beschenkt –, bildete sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts heraus. Wie und ob Weihnachten davor, in der frühen Neuzeit und im Mittelalter gefeiert wurde, ist zwischen Historiker*innen durchaus umstritten; mit Sicherheit gab es zu jeder Zeit auch regional sehr große Unterschiede.

Santa Claus taucht im Stummfilm schon vor 1910 auf – also deutlich bevor eine amerikanische Brausefirma ihn zur Werbefigur erkor –, wo er den Kindern entweder als fantastische Figur oder als verkleideter Verwandter die Geschenke bringt. Das Kino kannte, da ist es Kind seiner eigenen Entstehungszeit, nie andere Weihnachtstraditionen als diese. Durch die stetige Wiederholung dieser Bilder verstärkt er sie zugleich: Der Weihnachtsfilm im 20. Jahrhundert etabliert die hegemoniale Vorstellung des Festes mit. Dass spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg das amerikanische Kino mit seiner popkulturellen Wirkmacht dabei einen großen Effekt hatte, verwundert nicht.

Weihnachtsfilme wollen eine geheilte Welt

Aber wir schauen Weihnachtsfilme ja nicht, um bestimmte Traditionen eingehämmert zu bekommen, sondern vor allem wegen des wohligen Gefühls, das sie hinterlassen. Mehr als inhaltliche Aspekte eint die landläufige Vorstellung vom Weihnachtsfilm ja doch, dass es ein gutes Ende gibt: In der Regel wird eine Person, die zu Beginn nicht an das Gute im Menschen, ans Weihnachtsfest allgemein oder den Weihnachtsmann im Speziellen glaubte, durch die Ereignisse des Films geläutert und womöglich bekehrt. Unmittelbar mit dieser Läuterung ist oft auch die Heilung einer familiären oder familienähnlichen sozialen Einheit verbunden: ein Liebespaar, eine Großfamilie, eine Dorfgemeinschaft, sie alle finden (wieder) zusammen.

„Buddy – Der Weihnachtself“ (Jon Favreau, 2003) ist ein gutes Beispiel dafür, wie das funktioniert: Buddy ist als kleines Baby im Waisenhaus in den Sack des Weihnachtsmanns gekrochen und wurde von Papa Elf am Nordpol adoptiert. Als Erwachsener muss er nun endlich erfahren, dass er eigentlich ein Mensch ist – und sein Vater noch lebt. Also bricht der von der menschlichen Welt völlig ahnungslose Kerl nach New York auf – und bekehrt nach allerlei Durcheinander mitten in der Weihnachtszeit diesen zynischen Geschäftsmann zum kindlichen Glauben an den Weihnachtsmann und an das Gute im Menschen. Ganz nebenbei rettet Buddy so auch noch das Weihnachtsfest und bekommt seine Familie zurück.

"Der Grinch" (c) Universal

In „Der Grinch“ ist die von Dr. Seuss kreierte Titelfigur ein eingefleischter Weihnachtshasser, der die fröhlichen Bewohner*innen von Whoville mit ihrer allumfassenden Weihnachtsfreude nicht ausstehen kann. Also will er ihnen das Fest verderben, klaut alle Geschenke und Dekorationen als eine Art inverser Weihnachtsmann – bis er feststellt, dass sie trotzdem feiern und singen. Weil es eben die Gemeinschaft ist, die das Fest im Kern ausmacht, nicht die Geschenke.

In vielen Weihnachtsfilmen werden die Konflikte durchaus noch dramatischer zugespitzt: Das verlorene Schaf wird erst kräftig geschoren, schwebt womöglich in Lebensgefahr und wird dann wieder in die Herde aufgenommen, damit sich am Ende alle mit gutem Gefühl in den Armen liegen können.

So gehört nicht nur Läuterung, sondern auch Versöhnung konstitutiv zum Weihnachtsfilm dazu – am Ende steht ein magischer Moment, in dem Griesgrame und Bösewichte vom Grinch bis zu Ebenezer Scrooge sich der Gemeinschaft öffnen, die sie mit offenen Armen aufnimmt.

Gebändigter Raubtierkapitalismus

Viele „klassische“ amerikanische Weihnachtsfilme wie „Ist das Leben nicht schön?“ (Frank Capra, 1946) und „Das Wunder von Manhattan“ (1947) thematisieren, nicht zuletzt im Rahmen ihrer jeweiligen historischen Perspektiven, den inneren Widerspruch von Weihnachten und kapitalistischem Gewinnstreben. Auch in Charles Dickens‘ „Eine Weihnachtsgeschichte“ aus dem Jahr 1843 ist das ein zentrales Element: Der Kapitalismus ist darin, prämarxistisch ungehemmt, in der Person von Ebenezer Scrooge personifiziert – und am Ende wird dieser nicht nur durch die Blicke in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft überzeugend geläutert und zu einem besseren Menschen, er findet auch in seine eigene Familie zurück.

Mehr oder weniger abgemildert lässt sich dies zudem in den unterschiedlichen Verfilmungen des Stoffs finden. Während man trefflich darüber streiten kann, welche die beste sei, so hat zum Beispiel „Die Muppets Weihnachtsgeschichte“ den Vorteil, dass die Geschichte von bitterer Grausamkeit und Armut durch die Muppets extrem familientauglich gemacht wird, zugleich alles muppets-typisch durch einen stetigen Meta-Kommentar in der Gegenwart verankert und Michael Caine als Scrooge eine spürbare Wandlung durchlaufen lässt. Und keine Läuterung ist überzeugender, als wenn sogar Miss Piggy aufhört, sich aufzuregen.

Erinnerung und Gemeinschaft

Welche Bedeutung schließlich die Gemeinschaft für Weihnachten hat, beleuchtet zum Beispiel ein Film wie „Elise und das vergessene Weihnachtsfest“ auf sehr elegante Weise: Hier wird in Elises Dorf, irgendwo im verschneiten Norwegen, seit Jahren kein Weihnachten mehr gefeiert. Weil so den Menschen aber die gemeinsamen Rituale, das gemeinsame Feiern verlorengegangen ist, vergessen sie auch alles andere: Wo das Bett steht, morgens eine Hose anzuziehen, warum sie in den Laden gekommen sind.

"Elise und das vergessene Weihnachtsfest" (c) Capelight

Weihnachten, das die Titelheldin dann nur durch den Einsatz des Weihnachtsmanns wieder herstellen kann, wird so zum pars pro toto für die ganze Dorfgemeinschaft. Die Rituale, die Geschenke, der Weihnachtsbaum werden in diesem Film, ohne jeden Bezug auf Glaubensfragen, als konstitutive Elemente einer Gemeinschaft beschrieben, ohne deren Zusammenhalt wir auch als Einzelne hilflos, vergesslich und haltlos sind.

„Elise und das vergessene Weihnachtsfest“ rückt so ohne große Konflikte, ohne großes Trara und sehr nah an der kindlichen Zielgruppe den Blick wieder zurecht: Auf Weihnachten als Fest der Gemeinschaft, des Zusammenhalts und der Freude. Das wollen die meisten Weihnachtsfilme erreichen. Aber nicht allen gelingt es so gut.

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