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Hintergrund | | von Barbara Felsmann

Tabus in Kindermedien

Bernd Sahling und Barbara Felsmann im Gespräch

Was kann, was darf, was soll man Kindern als Publikum zumuten? Das ist eine Frage, mit der sich Kinderfilmmacher*innen – von Redakteur*innen und Produzent*innen bis zu Autor*innen und Regisseur*innen – immer wieder auseinandersetzen. Und eine Frage, deren Beantwortung immer wieder neu verhandelt werden muss. Im Anschluss an eine Branchenveranstaltung zum Thema haben sich die Filmjournalistin Barbara Felsmann und der Regisseur Bernd Sahling zum Gespräch getroffen.

"@Kalinka08 - Melde dich bitte" Quelle: ZDF / Studio Zentral

Wie kann man im Kinderfilm auch über schwierige Themen erzählen? Was gilt heute überhaupt als schwierig und was ist gar ein Tabu? Fragen wie diese sind stets spannend und müssen immer wieder neu diskutiert werden. Zuletzt nahm sich Anfang 2021 eine öffentliche Branchenveranstaltung der Akademie für Kindermedien sowie der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf zu des Themas an, natürlich online. Unter dem Titel „Bilder und Worte für das Unaussprechliche finden: Tabus in Kindermedien“ lockte diese mehr als 200 Teilnehmer*innen in den virtuellen Tagungsraum. Die meisten von ihnen, davon bin ich überzeugt, verließen ihn angeregt und nachdenklich.

Die Veranstaltung drehte sich nicht – wie ich erwartet hatte – allgemein um den Umgang mit Tabus und schwierigen Themen im deutschen Kinderfilm sowie in den Kindermedien, sondern beschäftigte sich mit diesem Thema anhand von „Fallbeispielen“. So stellte die Autorin, Theaterpädagogin und Lehrerin Stefanie Höfler ihr Kinderbuch „Der große schwarze Vogel“ vor, in dem ein Junge vom unerwarteten Tod seiner Mutter und von der schwierigen Phase des Abschiednehmens erzählt. Die berührende Geschichte war 2019 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert und erhielt hervorragende Kritiken. Doch für Lesungen, so berichtete Stefanie Höfler, würde sie spürbar seltener gebucht als für Veranstaltungen mit ihren anderen Büchern, die gefälligere Themen haben.

Dass Erwachsene, seien es Eltern, Pädagog*innen oder auch Verantwortliche in den Medien, große Berührungsängste haben, wenn die Themen Tod, Sterben oder gar Suizid für junge Menschen behandelt werden, davon kann auch Golli Marboe, der österreichische Journalist, Film- und TV-Produzent sowie Speaker zu Medienfragen und Gründer des Vereins zur Förderung eines selbstbestimmten Umgangs mit Medien (VsUM), ein Lied singen. Als betroffener Vater setzt er sich damit auseinander, mit welcher Scheu die mediale Öffentlichkeit immer noch dem Thema „suizidales Verhalten bei Jugendlichen“ begegnet. Und das, obwohl Suizid die zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen in Österreich ist. Deshalb meint Marboe, dass psychische Krankheiten wie Depression stärker in den Medien diskutiert werden müssten, aber auch das Schicksal der Hinterbliebenen. Suizidgefährdete Jugendliche müssen sich mit ihren Problemen in den Medien wiederfinden und dort – bauend auf den „Papageno-Effekt“ – Hilfe und Ermutigung zum Weiterleben erhalten.

Der Leiter der Content-Koordination vom KiKA, Carsten Schulte, wiederum stellte dar, wie der Erfurter Sender Fernsehbeiträge mit schwierigen Themen medial begleitet. Als Beispiel diente der Kurzspielfilm „@Kalinka 08 – Melde dich bitte“ von Axel Ranisch, in dem es um Gewalt in der Familie in Corona-Zeiten geht. Parallel zur Ausstrahlung des Films wurde ein Chat eingerichtet, in dem sich Kinder über ihre persönlichen Erfahrungen austauschen konnten, außerdem beschäftigten sich die Sendungen „pur+“ und „Kummerkasten“ mit diesem Thema. Insgesamt waren dies alles anregende Impulse, um danach in einzelnen Gruppen zu diskutieren. Beim nun folgenden „virtuellen Mixing & Mingling“ allerdings konnte solch eine Arbeits- und Debattieratmosphäre wie bei physischen Treffen und Beratungen nicht geschaffen werden.

Ich weiß nicht, wie viele Teilnehmer*innen nach der Online-Veranstaltung noch miteinander telefonierten, um sich über das Gehörte auszutauschen. Ich jedenfalls habe mehrere Leute angerufen. So auch den Regisseur, Drehbuchautor und Medienpädagogen Bernd Sahling, den ich unter den Teilnehmer*innen entdeckt hatte. Wir haben selbst gestaunt, welch großen Redebedarf wir hatten, ein Zeichen dafür, dass die Veranstalter*innen mit diesem Thema wirklich einen Nerv getroffen haben. Uns bewegte vor allem die Frage, wie in der deutschen Kinderfilmszene mit Tabus und schwierigen Themen umgegangen wird und ob wir hier in Deutschland realitätsängstlicher oder -ferner sind als in anderen europäischen Kinderfilmländern. Kurzerhand verabredeten wir uns zu einem längeren Gespräch – natürlich in einem gut durchlüfteten Raum und mit Mikros auf dem Tisch für das Kinder- und Jugend-Filmportal.

Fachgespräch zwischen Barbara Felsmann und Bernd Sahling:

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