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Editorial | | von Stefan Stiletto

Streaming-Zauber

Dezember 2020

 

Manche Filme fühlen sich unglaublich aktuell an, auch ohne konkret auf die Gegenwart zu sprechen zu kommen. „Soul‟ ist so ein Fall, der neue Film aus dem Pixar-Studio, der zu Beginn der Pandemie zu Hause fertiggestellt wurde. Man kann „Soul‟ als Film lesen, der vor allem das krampfhafte „Streben nach Glück‟ und Leistungsdenken kritisiert – ein Thema, das vielleicht weniger Kinder, wahrscheinlich aber schon Jugendliche gut kennen. Und man kann in ihm sehen, wie schön und wichtig es doch ist, nicht nur in seiner eigenen geschlossenen Welt zu leben, sondern sich der Welt „da draußen‟ mit allen Sinnen öffnen zu können. Nun startet „Soul‟, der zur offiziellen Auswahl des abgesagten 2020er-Cannes-Festivals zählt, am Weihnachtstag auf Disney+. Eine Premiere, die durchaus glücklich machen kann, weil dieser Film einfach ein Meisterwerk ist, die aber auch schmerzlich erahnen lässt, was für eine Kraft dieser auf einer großen Leinwand entfalten könnte.

Ganz ähnlich verhält es sich mit „Wolfwalkers‟, dem neuen Zeichentrickfilm von Tomm Moore und Ross Stewart aus dem irischen Animationsstudio Cartoon Saloon, der seine Premiere auf dem Filmfestival in Toronto feierte und nun bei Apple TV+ zu entdecken ist. Wie „Das Geheimnis von Kells‟ und „Das Lied des Meeres‟ verknüpft dieser Film kongenial irische Geschichte und Folklore mit gegenwärtigen Themen – und besticht dabei durch seine außergewöhnliche Ästhetik. Moore und Ross verstehen es meisterlich, einem jungen Publikum etwas über Kunst und Geschichte zu erzählen, ohne dabei aufdringlich zu sein. Während sich die Kinos im Dornröschenschlaf befinden und irgendwann im nächsten Jahr hoffentlich wieder mit einem spannenden Filmprogramm wachgeküsst werden – Holger Tweles Bericht über neue deutsche Jugendfilme, die kürzlich bei den Hofer Filmtagen zu sehen waren, schüren die Vorfreude – bieten die Streamingdienste tolle Filmerlebnisse zum Jahresende.

Mit dem Jahr 2020 geht auch das Jubiläum des Bundesverbands Jugend und Film (BJF) zu Ende, der auf eine 50-jährige Geschichte zurückblickt. Reinhard Kleber hat aus diesem Anlass mit dem langjährigen BJF-Geschäftsführer Reinhold T. Schöffel ein Interview geführt, Holger Twele wirft einen Blick auf die filmischen Entdeckungen, die der BJF zugänglich gemacht hat. Und wir freuen uns, wenn im kommenden Jahr dann „Youth Unstoppable‟ startet – der erste Film, den der BJF als Verleih selbst ins Kino bringt. Eine Premiere für den Verband, dessen Domäne die nicht-gewerbliche Filmarbeit ist.

Zuletzt hat uns die Frage interessiert, wo Jugendliche sich im Netz eigentlich über Film informieren können. Unmotivierte Bestenlisten sorgen für Klicks. Aber wie steht es um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Filmen, die sich nicht an ein Fachpublikum richtet, sondern an Jugendliche? Marius Hanke hat recherchiert und seine Ergebnisse und Gedanken für uns zusammengefasst. Zugespitzt in der Frage, welche Chancen Kurator*innen in der Welt der Algorithmen bleiben.

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