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Hintergrund | | von Holger Twele

Andere Filme gemeinsam sehen

Der Bundesverband Jugend und Film wird 50

Seit einem halben Jahrhundert engagiert sich der BJF für eine vielfältige nichtgewerbliche Kinder- und Jugendfilmlandschaft. Er ist einer der Wegbereiter des Kinder- und Jugendkinos, wie wir es heute kennen. Manche Filme, die zuvor nur auf Festivals zu sehen waren, sind sogar erst durch die Arbeit des BJF verfügbar geworden. Eine Würdigung der filmbildnerischen Arbeit des BJF – und ein Glückwunsch zum Jubiläum!

Bundesverband Jugend und Film

Wohl einzigartig in der filmkulturellen Landschaft von Deutschland steht der Bundesverband Jugend und Film e.V. (BJF) seit 1970 für die Filminteressen von Kindern und Jugendlichen. Er erfüllt damit einen unverzichtbaren kultur- und bildungspolitischen Auftrag, der von Kontinuität zeugt, aber auch steten Wandel und Erneuerung einschließt und aus den Filmclub-Bewegungen der 1950er- und 1960er-Jahre hervorgegangen ist. 2020 hat der BJF sein 50-jähriges Jubiläum im Rahmen der großen Kinder- und Jugendfilmfestivals in Deutschland gefeiert, selbst wenn einige der geplanten Aktivitäten der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen sind.

Neue Filmerlebnisse erschließen

Ohne den BJF mit seiner nichtgewerblichen Filmarbeit und inzwischen rund 500 ständig verfügbaren Filmen für Kinder und Jugendliche in der BJF-Clubfilmothek, die allesamt Qualität und Unterhaltung garantieren, wäre wohl das moderne Kinderkino der Gegenwart nicht möglich gewesen. Vor allem dank der zu Beginn noch als Bundesarbeitsgemeinschaft für Jugendfilmarbeit und Medienerziehung (BAG) fungierenden Organisation wurde eine neue Generation von Kinderfilmen vor allem aus Skandinavien, der DDR und der ČSSR über nichtgewerbliche Kanäle in der BRD überhaupt erst verfügbar gemacht. Im Laufe der Jahrzehnte kamen viele neue Filme und Filmklassiker hinzu, vom Blockbuster, der zuvor in kommerziellen Kinos ausgewertet wurde, bis zum kleinen Independent-Streifen, vom Dokumentarfilm bis zum Kinderprogramm für ein ganz junges Publikum. Alle diese Filme sind Bausteine für eine umfassende Schule des Sehens, eine Aneignung von Kultur und Begegnung mit Kulturen sowie eines fantasievollen Umgangs mit der Wirklichkeit, wozu auch die unabdingbare Fähigkeit gehört, die Welt mit ihren Codes und Symbolen entschlüsseln und deuten zu können.

Vielfalt der Themen und künstlerischen Umsetzung

Über die Jahrzehnte hinweg wurde nicht zuletzt durch die Arbeit der kulturellen Filmbildung des BJF eine Diskussion am Laufen gehalten, in der es immer wieder neu zu bestimmen gilt, was einen qualitätsvollen Kinderfilm auszeichnet, sowohl in Bezug auf seine künstlerische Qualität als auch seine thematische Eignung für Kinder beziehungsweise für bestimmte Altersstufen. In einem Festvortrag zum 50-jährigen Bestehen des BJF in Chemnitz brachte Prof. em. Dr. Wolfgang Schneider es auf den Punkt: „Es gibt eigentlich überhaupt nur eine verbindliche Forderung an Inszenierungen für den Kinder- und Jugendfilm, und das ist die nach abgründigen Geschichten, also nach Geschichten, die bis an den Abgrund gehen, die Konflikte nicht bagatellisieren, beschwichtigen, wegkuscheln, sondern in ihrer existenziellen Tragweite den Kindern und Jugendlichen zumuten. Das Leben der jungen Menschen ist kein Spaziergang durch ein Paradiesgärtlein. (…) Kinder und Jugendliche wollen im Kino nicht geschont werden. Sie fühlen sich erst dann wirklich ernst genommen, wenn im Film ihre eigenen Grenzerfahrungen sichtbar und erlebbar werden.“

Das Träger- und Verbreitungsmedium spielt hingegen eine untergeordnete Rolle. Waren die meisten Filme bis über die Jahrtausendwende hinweg als 16mm-Kopien verfügbar, kamen DVD, Blu-ray Disc und/oder MP4-Download und ab 2019 der Online-Verleih hinzu und lösten ältere Formate ab. Demnächst wagt der BJF erstmals den Sprung direkt ins Kino mit dem Dokumentarfilm „Youth Unstoppable – Der Aufstieg der globalen Jugend-Klimabewegung‟ (2020) von Slater Jewell-Kemker.

„Durchblick“- und „Weitblick“-Filme

"Binti" (c) Farbfilm

Schon viele Jahre zuvor entstand mit den beiden Filmeditionen „Durchblick“ und „Weitblick“ ein wichtiges Bindeglied zwischen der außerschulischen Filmbildungsarbeit und der schulischen Bildung. Die Edition „Weitblick“ stellt hochwertige Filme vor, die der BJF exklusiv für nichtgewerbliche Filmveranstaltungen in Deutschland anbietet, oft auch als Originalfassung mit deutschen Untertiteln. Neuere Beispiele dafür sind „Gelbe Blumen auf grünem Gras“ aus Vietnam (Victor Vu, 2015), „Pahuna – Zuhause im Wald‟ aus Indien und Nepal (Paakhi A. Tyrewala, 2017), „Die kleinen Hexenjäger“ aus Serbien und Nordmazedonien (Rasko Miljkovic, 2018) und „Die Falken – Alle für einen“ aus Island und Schweden (Bragi Þór Hinriksson, 2018).

Seit 2006 wurden in der Reihe „Durchblick“ über 50 thematisch wichtige oder filmisch herausragende Filme für Kinder und Jugendliche sowie Kompilationen wie „Kurzfilme für Kinder – Mit Prädikat!“ (schon in der 4. Auflage) herausgebracht, oft mit Partnern wie Filmfestivals, dem KiKa, Verleihern und VOD-Portalen. Alle diese Filme sind mit umfangreichen Begleitmaterialien ausgestattet, Informationen und Anregungen für kreative und kommunikative Vorführungen in Jugendarbeit und Schule sowie methodischen Vorschlägen. Die vom BJF und einem festen Autor*innenstamm produzierten Materialien sind dafür gedacht, über eine einmalige Vorführung hinaus kontinuierliche Arbeit mit dem Film zu ermöglichen und jeweils unterschiedlichen Aspekten Rechnung zu tragen. Genannt seien wichtige Beispiele aus den vergangenen zehn Jahren wie „Das Mädchen Wadjda“ (Haifaa Al Masour, 2012), einer der ersten von einer Frau inszenierten Filme in Saudi-Arabien, oder „Deine Schönheit ist nichts wert“ (Hüseyin Tabak, 2012) über einen kurdischstämmigen Jungen in Österreich auf der Suche nach der eigenen Identität. Der dänische Film „The Contest – In geheimer Mission“ (Martin Miehe-Renard, 2013) erzählt vor dem Hintergrund eines Musikwettbewerbs von Vorurteilen zwischen den Kulturen, „Blanka (Kokhi Hasel, 2015) von der Freundschaft zwischen einem auf der Straße lebenden Mädchen aus Manila und einem blinden Straßenmusiker. Um gelebte Inklusion und Verantwortung für eine frisch aus dem Ei geschlüpfte Ente geht es in „Zugvögel – Wenn Freundschaft Flügel verleiht“ (Olivier Ringer, 2015), während in „Supa Modo“ (Likarion Wainaina, 2018) ein filmbegeistertes neunjähriges Mädchen aus Kenia im Mittelpunkt steht, das unheilbar an Krebs erkrankt ist und unbedingt noch einen Actionfilm drehen möchte. Neu aufgenommen in die Edition wurde exklusiv der Dokumentarfilm „Reconstructing Utøya“ (Carl Javér, 2018), in dem vier Überlebende des Terroranschlags von 2011 gemeinsam mit anderen Jugendlichen in einem Studio rekonstruieren, was damals passiert ist, nicht nur für sich selbst zur Trauma-Bewältigung, sondern auch für das Publikum als Erinnerung und als Mahnung für die Zukunft.

Rezeptive und produktive Filmarbeit

„Binti – Es gibt mich!“ (Frederike Migom, 2019), ebenfalls in der Reihe „Durchblick“ erschienen, handelt von einem medienaffinen zwölfjährigen Mädchen aus dem Kongo, das mit seinem Vater illegal in Belgien und in ständiger Angst vor der Abschiebung lebt. Bei nahezu jeder Gelegenheit postet Binti Videos auf ihrem Channel – nebenbei ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass gerade bei jungen Menschen nicht mehr allein die rezeptive Filmarbeit von Bedeutung ist, nachdem dank technischer Entwicklungen heute jede*r ihren/seinen eigenen Film drehen kann. Der BJF trägt dieser Entwicklung schon seit vielen Jahren Rechnung mit der „Werkstatt der Jungen Filmszene“ und dem Informationsnetzwerk „Junge Filmszene“, das allen Interessierten zentral und umfassend Informationen über Aktivitäten und Angebote der deutschen Filmkulturszene zur Verfügung stellt und auch Weiter- und Fortbildungsangebote präsentiert. Und seit 2013 beteiligt sich der BJF auch am Programm „Kultur macht stark! – Bündnisse für Bildung“, mit dem bundesweit Filmprojekte mit Kindern und Jugendlichen gefördert werden.

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