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Editorial | | von Stefan Stiletto

Im Warteraum

November 2020

Ende Oktober sind an einem einzigen Donnerstag so viele Filme mit Kindern und Jugendlichen in den Hauptrollen im Kino angelaufen wie nie zuvor in diesem Jahr, darunter Julia von Heinz’ „Und morgen die ganze Welt‟, der thematisch auf der Höhe der Zeit ist und über den Willen nach Veränderung und Gewalt als legitimes Lösungsmittel erzählt, der auch visuell ungemein starke Dokumentarfilm „Glitzer & Staub‟ von Anna Koch und Julia Lemke über Mädchen in der männerdominierten US-Rodeo-Szene, oder die Comic-Adaption „Yakari‟ von Xavier Giacometti und Toby Genkel, die mit viel Liebe zum Detail die Ästhetik der Vorlage übernommen hat und sich schon für jüngste Kinobesucher*innen eignet. All diese sehenswerten Filme hat der zweite Lockdown kalt erwischt. Es ist zu hoffen, dass die Verleiher*innen und die Kinobetreiber*innen den Mut und die Mittel haben, alle diese noch einmal zu starten, wenn die Kinos wieder geöffnet werden.

Noch sieht es auch gut aus, was neue Kinder- und Jugendfilme aus aller Welt angeht. Die Berichterstattungen über die Herbst-Festivals „Lucas‟ und „Schlingel‟ wirft den Blick auf sehenswerte neue Produktionen. Im Zuge von „Lucas‟ ist Holger Twele dabei vor allem der besondere Umgang mit Körperlichkeit ins Auge gefallen, beim „Schlingel‟ waren es die unterschiedlichen, mal konventionellen, mal experimentellen Erzählweisen. Katrin Hoffmann hat sich unterdessen drei Animationsfilme beim „Schlingel‟ genauer angesehen und in ihrem Text die vielfältigen gesellschaftspolitischen Bezüge herausgestellt, die darin verhandelt werden.

Und sonst? Finden Sie bei uns auch ein Interview mit Julia von Heinz zu „Und morgen die ganze Welt‟, fürs Binge-Watching zu Hause Serienempfehlungen zu „Grand Army‟ und „Noch nie in meinem Leben...‟ und Kritiken zu lohnenden Heimkino-Veröffentlichungen wie „Mein etwas anderer Florida Sommer‟ oder „Lovecut‟.

Die Rubrik „Quergedacht‟ – das Wort wurde ja leider in den letzten Monaten politisch gekapert – hat bei uns übrigens nichts mit schrägen Vorstellungen von Demokratie zu tun, sondern mit einem Erzählen über Kinder- und Jugendfilme aus ungewöhnlichen Perspektiven. Dazu zählt auch eine Beschäftigung mit bemerkenswerten Figuren im Kinder- und Jugendfilm. Christiane Radeke hat sich in ihrem Beitrag mit der Titelheldin von „Enola Holmes‟ auseinandergesetzt, die sich als starke Protagonistin in einer patriarchalischen Gesellschaft behauptet. Mut und Witz – vielleicht ist es gerade das, was wir in diesem seltsamen Jahr dringend benötigen.

 

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