Unheimlich perfekte Freunde
Ein perfekter Doppelgänger - wäre das nicht toll? Für Frido wird sein Spiegelbild aber bald zum Alptraum.
„Perfekt gibt es nicht!“ Das ist die Erkenntnis des Viertklässlers Frido, nachdem er seinen Doppelgänger verabschiedet hat. Der war ihm eine Zeit lang als zum Leben erwachtes Spiegelbild sowohl nützlich als auch gefährlich. Aber will man auf Dauer wirklich „zwei“ sein? Die Geschichte um die „unheimlich perfekten Freunde“ aus dem Spiegelkabinett ist nach dem Drehbuch von Simone Höft und Nora Lämmermann für die Initiative „Der besondere Kinderfilm“ entstanden, ein originärer Stoff, der sich an den „Lebenswelten der Kinder“ orientiert, wie es in den Anforderungen der Initiative formuliert ist. Die Lebenswelt Fridolins heißt Stress in der letzten Grundschulklasse.
Alle Kinder sollen oder wollen aufs Gymnasium, aber er ist der Einzige, der den Schritt wohl nicht schaffen wird – zu verspielt, zu unkonzentriert, obendrein noch wenig strukturiert. Nach einem desaströsen Gespräch der Lehrerin mit seinen getrennt lebenden Eltern läuft er weg und geradewegs hinein in das Spiegelkabinett, das ihm sein perfektes Ich verspricht. Als Fridos Ebenbild aus dem Spiegel tritt und zusichert, für ihn in die Schule zu gehen, ist Frido zunächst hellauf begeistert. Aber damit verkauft er auch ein Stück seiner Seele für die Verheißungen des Glücks. In Fridos Fall heißt es, dass er von nun an mitansehen muss, wie sein Doppelgänger sich in der Schule von seinen Freund*innen abwendet und zuhause immer mehr in die Rolle des perfekten Sohnes schlüpft. Wenn der Klon sich die Gutenacht-Küsschen von Mama abholt, kauert der echte Sohn traurig unter dem Bett.
Marcus H. Rosenmüller hat die Regie bei diesem fantasievollen Kinderfilm übernommen, der sich des Motivs der schwarzen Magie bedient. Um des Erfolges oder Geldes Willen wurden schon das Lachen oder der eigene Schatten verkauft, ganz zu schweigen von der Seele, die der Teufel mitnimmt. In dieser Geschichte wissen wir nicht, welche Macht hinter dem Spiegelkabinett steckt, das von einem kauzigen alten Mann geführt wird, der sich immer mit einer ihm wie aus dem Gesicht geschnittenen Handpuppe unterhält, aber in keinster Weise der Nutznießer des Doppelgänger-Deals ist.
Es bleibt natürlich nicht bei einer einzigen Spiegelkopie. Ein Kind nach dem anderen aus Fridos Klasse kommt hinter den Trick, bis schließlich nur noch „perfekte“ superschlaue Doppelgänger*innen vor der überforderten Lehrerin sitzen, während die echten Kinder in einem stillgelegten Spaßbad herumtoben. Und das ist schade. Denn eigentlich sollte es doch um etwas ganz anderes gehen.
Frido hat Probleme beim Lernen, ihm fehlt die fleißige intellektuelle Seite, ansonsten aber ist er ein fröhliches Kind mit vielen kreativen Ideen und einer Menge Freund*innen. Sein bester Freund Emil, der als Einser-Schüler stets gehänselt wird, schlecht in Sport ist und selbstverständlich eine Brille trägt, möchte cool und stark sein. Auch er ist zunächst begeistert von seinem zweiten Ego, denn dieses ist frech, spielt prima Basketball, benötigt keine Brille mehr und gibt der Mama Widerworte. Es sind jeweils sehr individuelle Charaktereigenschaften, die Fridos und Emils Persönlichkeiten mit ihren gefühlten „Defiziten“ ausmachen. Bei den weiteren Doubles geht es leider ausschließlich um das Erreichen guter Noten. Alle Kinder wollen die Besten in der Schule sein, was aber nichts mehr mit den individuell empfundenen Schwächen der jeweiligen Kinder zu tun hat.
Die zweite Hälfte des Films ist denn auch mehr actionorientiert und nicht mehr so genau erzählt, wie zunächst die Geschichte um Fridolin und Emil mit ihren inneren Konflikten. Andererseits kann man die Gleichschaltung der Klasse zu einer hochbegabten Eliteauswahl natürlich als Kritik an einem Schulsystem lesen, das nur die Besten fördert und zum Gymnasium zulässt. Wer einmal als Elternteil auf der Präsentation eines altsprachlichen Gymnasiums war, weiß, dass der Schnuppertag, den Rosenmüller hier persifliert, nur um Nuancen übertrieben ist. Die Tortenschlacht, mit der diesem Nachmittag ein Ende bereitet wird, setzt einen ironischen Schlusspunkt hinter Eitelkeiten und Ausleseverfahren. Eine typische Rosenmüller-Szene, denn aus einem kleinen Missgeschick entfaltet sich ein großartiges Chaos, das mit offensichtlicher Spielfreude und guten Timing inszeniert ist.
So schwungvoll wie diese Szene gedreht wurde, ist auch der gesamte Film in flottem Tempo arrangiert. Ein Plädoyer für mehr Spiel, Spaß und Spannung, denn Spielen ist das wahre Glück und Fantasie ist wichtiger als jede Bestnote. Ein Statement, das uns sehr glaubhaft von den jungen Darsteller*innen präsentiert wird, allen voran von Luis Vorbach als Frido. In der Schwimmbadruine kreieren die Freund*innen jede Menge Aktivitäten, um sich die Zeit zu vertreiben, während ihre Klone in der Schule sitzen.
Dass das den Kindern auf Dauer nicht ausreicht, um glücklich zu sein, wird ihnen schnell klar. Spätestens ab diesem Zeitpunkt stellt sich die Frage, wie sie ihre Spiegelvarianten wieder loswerden können, die es sich in ihren Kinderzimmern gemütlich gemacht haben. Aber auch hier wird die Kreativität siegen und beweisen, dass auswendig gelerntes Wissen bei Weitem nicht alles ist, was ein Mensch zum Leben braucht.
Katrin Hoffmann
Unheimlich perfekte Freunde - Deutschland 2018, Regie: Marcus H. Rosenmüller, Kinostart: 04.04.2019, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 8 Jahren, Laufzeit: 91 Min., Buch: Nora Lämmermann, Simone Höft, Kamera: Stefan Biebl, Schnitt: Barbara Toennieshen, Musik: Andrej Melita, Florian Paul Meredi, Produktion: Benedikt Böllhoff, Max Frauenknecht, Verleih: SquareOne Entertainment, Besetzung: Luis Vorbach (Frido), Jona Gaensslen (Emil), Marie Leuenberger (Fridos Mutter Gesa), Margarita Broich (Frau Klawitter), Colin Badura (Sebi), Serkan Kaya (Fridos Vater Michael) u.a.
Altersempfehlung 6-9 Jahre
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