Magische Momente | | von Stefan Stiletto

Lasst die Tortenschlacht beginnen!

Eine kurze Szene aus „Unheimlich perfekte Freunde“ brennt sich ins Gedächtnis ein.

Eigentlich ist die Zeit der Tortenschlachten im Kino schon lange vorbei. Marcus H. Rosenmüller allerdings belebt sie in seinem neuen Kinderfilm "Unheimlich perfekte Freunde". Und ja: er darf das. Weil die Freude an der Anarchie authentisch wirkt und mehr als nur Selbstzweck ist.

Nein, bitte nicht. Bitte die Torte nicht werfen. Bitte keine Tortenschlacht. Tortenschlachten sind etwas, was man früher mal im Kino machen durfte. Ein Feld, das die großen Slapstick-Komiker bestellt haben. Aber ganz sicher nichts, was man heute noch einmal sehen müsste. Aber die Szene in „Unheimlich perfekte Freunde“, dem neuen Kinderfilm von Marcus H. Rosenmüller, schreitet gnadenlos voran: Der biedere Empfang in einem altsprachlichen elitären Gymnasium entgleist zunehmend. Erst keimt die alte Abneigung zwischen zwei Vätern, die früher in dieselbe Klasse gingen, beim Kuchenessen wieder auf, dann sorgt ein brennendes Handy dafür, dass das teure Kleid einer Mutter in Flammen aufgeht und einer der Väter in der Kuchenauslage landet. Der einstige Rivale lacht, die erste Torte fliegt, verfehlt ihr Ziel – und danach gibt es keine Hemmungen mehr. Ein Feuerlöscher kommt zum Einsatz, Kuchen landen in Gesichtern von von Unbeteiligten, von Freunden, von getrennt lebenden Eltern. Und irgendwann überlassen auch die Kinder nicht länger nur den Erwachsenen das Tortenschlachtfeld und greifen auch zur Kuchenplatte.

Aus der gediegenen Streichermusik des kleinen Schulorchesters schälen sich auf der Tonebene zunehmend rockigere Cello-Klänge heraus, die schließlich in einen Popsong von Florian Paul und Jonny Bix Bongers übergehen, der mit seinem Refrain das wilde Geschehen kommentiert. „Wer braucht schon Gesetze? Die kann man nicht fressen. All die guten Regeln kann man nicht küssen. Deine Freiheit, die kannst du nicht kaufen. Und schau mal: Die Sandburg ist nur noch ein Haufen.“ Mal in Zeitlupe, mal in Zeitraffer bewegt sich die Kamera durch das Geschehen und blickt schließlich auf eine Gesellschaft außer Kontrolle, außer Rand und Band.

Schreiend komisch ist diese Szene, weil Rosenmüller sie so perfekt ad absurdum führt. Aus den verbalen Anfeindungen werden Taten. Und das ganze Gerede von der Bildung, der Disziplin und der Struktur wird als inhaltsleer entlarvt. Vor dem Kuchenbuffet zeigt jeder sein wahres Gesicht. Oft sind derartige Szenen reiner Selbstzweck und nur ein kurzer Schenkelklopfer. Doch bei Rosenmüller wirkt sie auf höchst unterhaltsame Art sehr glaubwürdig. Man spürt die anarchische Freude an der Grenzüberschreitung und an der Ausgelassenheit. Hier gelingt sogar das Kunststück, dass man sich für das Overacting der erwachsenen Darsteller*innen nicht fremdschämen muss. Mehr noch: Sowohl in den Gesichtern der Erwachsenen als auch in denen der Kinder ist der Spaß erkennbar. Es ist ein Moment, in dem ganz bewusst alle Regeln des Anstands außer Kraft gesetzt werden – und der mit kindlicher Freude gerade deshalb genossen wird.

Hier bringt sie auch die Familie, die im Mittelpunkt des charmanten Kinderfilms steht, wieder etwas näher zueinander. Die sonst so strenge Mutter, der als Loser verschriene Vater, der in der Schule scheiternde Sohn: die Tortenschlacht hat sie zu Verbündeten gemacht. Zumindest für einen kurzen Augenblick.

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