Binti - es gibt mich!
Prämiertes Festivalhighlight über ein Mädchen, das illegal mit seinem Vater in Belgien lebt.
Die 12-jährige Binti ist als Vloggerin ein wahres Naturtalent. Mit unbändiger Spielfreude und überbordender Fantasie zaubert sie aus dem Stand heraus mit ihrem Smartphone bei nahezu jeder Gelegenheit einen Videoclip hervor und hat im Netz schon 1000 Follower*innen. Ihr großes Vorbild ist Tatyana Beloy, doch bisher ist es ihr nicht gelungen, an den belgischen Showstar direkt heranzukommen. Binti gehört allerdings zu den Menschen, die ihr Ziel nie aus den Augen verlieren. Nur in einer Sache fühlt sich das quirlige Mädchen völlig hilflos. Im Kongo geboren und bereits als Baby nach Belgien gekommen, lebt sie nach dem Tod der Mutter mit ihrem Vater Jovial illegal im Land. Beide haben weder Ausweispapiere noch eine Aufenthaltsbewilligung, so wie es das Gesetz vorschreibt. Bei einer überraschenden Kontrolle der Polizei gelingt ihnen in letzter Sekunde die Flucht in ein Waldgebiet.
Genau dort hat der elfjährige Elias sein Baumhaus errichtet, in das er sich immer zurückzieht, wenn er im Streit mit seiner alleinerziehenden Mutter Christine liegt oder mit seinem Vater skyped, der in Brasilien eine neue Familie gegründet hat. Elias ist vom Temperament her das genaue Gegenteil von Binti: schüchtern, introvertiert und leicht verletzbar. Seine ganze Energie verwendet er darauf, die vom Aussterben bedrohten Okapis, eine Waldgiraffe, die nur im Ituri-Regenwald in der Demokratischen Republik Kongo lebt, mit einer Spendensammlung zu retten – und den aufdringlichen Nachbar Floris nach Möglichkeit von seiner Mutter fernzuhalten, der er heftige Avancen macht. Die Situation verändert sich schlagartig durch die unerwartete Begegnung mit Binti und ihrem Vater. Denn Binti erkennt schnell ihre große Chance, ihr existenzielles Problem mit den fehlenden Ausweispapieren lösen zu können, wenn sie ihren Vater und die Mutter von Elias zusammenbringt und diese dann heiraten würden.
Zunächst einmal unterstützt sie Elias mit einem gelungenen Videoblog und der Vorbereitung auf eine große Benefizveranstaltung in der Nachbarschaft für die Rettung der Okapis. Wie aber kann sie es bewerkstelligen, dass sich Jovial und Christine tatsächlich ineinander verlieben? Und was wird Elias dazu sagen, wenn er erkennt, dass Binti bei ihrer Unterstützung für sein Vorhaben auch eigennützige Interessen verfolgt hat? Die ohnehin verzwickte Lage spitzt sich noch zu, als der eifersüchtige Nachbar Floris zu intrigieren beginnt und die bereits außer Haus lebende erwachsene Schwester von Elias ausgerechnet mit einem Polizisten liiert ist, der mit seinen Kollegen auftaucht.
Dem ganz auf Augenhöhe der beiden Kinder erzählten Film gelingt es, trotz des bitterernsten Hintergrunds eine spannende, lustige und kurzweilige Komödie mit einer stimmigen Dramaturgie zu entwickeln, wobei es viel zu lachen und etwas zu weinen gibt, aber auch nachdenklich stimmt. Die beiden Kinderdarsteller*innen wirken echt und authentisch und das Gleiche gilt für die erwachsenen Darsteller*innen, die ihnen zur Seite stehen und sich wie authentische Erwachsene benehmen, statt bloße Zerrbilder ihrer selbst zu sein. Für diese Gesamtleistung wurde der Film mit dem ECFA-Award 2020 als Bester europäischer Kinderfilm ausgezeichnet.
Positiv zu vermerken ist schließlich noch die bemerkenswerte Leichtigkeit, mit der es dem belgischen Film gelingt, komplizierte gesellschaftspolitische Sachverhalte zum Thema Migration und Asylpolitik gerade für Kinder leicht verständlich zu vermitteln und selbst die historische Dimension nicht ganz außer Acht zu lassen. So wurde das Okapi tatsächlich erst 1890 von europäischen Forschungsreisenden in Afrika entdeckt. Später wurden diese äußerst scheuen Tiere aus ihrem vertrauten Lebensraum gerissen und in europäische Zoos verbracht, wo sie sich an die artfremde Umgebung anpassen mussten. Zu jener Zeit war der Kongo eine belgische Kolonie. Bintis Vater Jovial stammt ebenfalls aus dem Kongo und kam nach Belgien, um dort aus freien Stücken eine neue Heimat zu finden. Auf die Frage von Elias hin, warum er von dort weggegangen sei, antwortet Jovial ganz lapidar und ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen: „Manchmal ist es das einzige, was man tun kann.“ Die Probleme, die dennoch daraus entstehen, bringt Binti später auf den Punkt: „Wenn man keine Papiere hat, lebt man zwar, aber es gibt einen nicht.“ Und am Ende wendet sie sich direkt an die Zuschauer*innen ihres Vlogs mit der Zuversicht, die sich schon im deutschen Titelzusatu „Es gibt mich!“ widerspiegelt: „Es gibt viele Menschen, die uns hier haben wollen. Ich hoffe, ihr gehört auch dazu.“
Holger Twele
Binti - Belgien/Niederlande 2019, Regie: Frederike Migom, Kinostart: 17.09.2020, Homevideostart: 09.05.2020, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 9 Jahren, Laufzeit: 90 Min. Buch: Frederike Migom. Kamera: Joachim Philippe. Musik: Le Motel. Schnitt: Clémence Samson. Produktion: Katleen Goossens. Verleih: barnsteiner. Darsteller*innen: Bebel Tshiani Baloji (Binti), Mo Bakker (Elias), Joke Devynck (Christine), Baloji (Jovial), Frank Dierens (Floris) u. a.
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