Tito, der Professor und die Aliens
Nach dem Tod ihrer Eltern müssen zwei Geschwister zu ihrem seltsamen Onkel in die Wüste Nevadas ziehen.
Man nennt ihn schlicht den „Professore“, sein richtiger Name bleibt ungesagt. Der Professor liegt in der glühenden Sonne auf einem türkisfarbenen, ausgeblichenen Sofa, lethargisch, eine Pilotenbrille im Gesicht, mit Kopfhörern auf den Ohren, abgeschottet von der Umwelt. Eigentlich sollte er arbeiten und danach forschen, ob es irgendwo da draußen im All Wesen gibt, mit denen wir Kontakt aufnehmen können. Er liegt aber immer noch dort, als Stella kommt, eine seiner wenigen Kontakte zur Außenwelt, um ihm ein Päckchen mit einer sehr persönlichen Nachricht zu überreichen: Eine Videokassette seines Bruders, die von dessen Ableben berichtet und den Professor darauf vorbereitet, dass sein siebenjähriger Neffe Tito und seine 16-jährige Nichte Anita nun zu ihm ziehen werden. Aber wie soll das gehen?
Das Chaos im Haus des Professors spiegelt das Chaos in seinem Herzen, denn er leidet seit dem Tod seiner geliebten Frau an Antriebslosigkeit und sieht sich nicht in der Lage, sich um zwei Bälger zu kümmern. Die beiden sehen dem Umzug zum Onkel allerdings recht optimistisch entgegen. Immerhin geht es nach Las Vegas, in das Land von Lady Gaga sowie der berühmten Spielhöllen. Außerdem ist es das Land, wo jeder einen Pool besitzt. Aber weit gefehlt, denn vom Flughafen aus geht es zwar durch die glitzernde Megacity, aber dann noch ein ganzes Stück weiter hinaus, immer weiter, bis keine Zivilisation mehr erkennbar ist. Hier ist nur noch Wüste, Hitze, kein Netz, kein Pool. Der Onkel hat den Willkommensgruß geübt. Aber wie sagt man Kindern „Hallo, ich bin euer Onkel“? Mit zwischenmenschlichen Beziehungen kennt er sich nicht mehr aus und was Kinder brauchen, weiß er sowieso nicht. Er hat ihnen aber immerhin ein futuristisch anmutendes Wohnzelt besorgt, schon aus Eigennutz, denn sonst säßen Anita und Tito ja bei ihm im Haus.
Die flirrende Wüstenkulisse ähnelt eher einer Westernidylle als einer Forscherstation. Die beiden Kinder sind hier vollkommen verloren und Anita will gleich wieder weg. Tito dagegen hat ein ganz anderes Gespür für die Situation. Er fühlt den Schmerz seines Onkels, denn es ist auch sein Schmerz, den er seit dem Tod seiner Eltern nur zu gut kennt. Die Gegend steht exemplarisch für die Seelenlandschaft ihrer Bewohner*innen – ausweglos, langweilig, statisch.
Die Kamera von Roberto Forza hat eine dezidierte Sprache gefunden, um die psychischen Turbulenzen der Protagonisten zu verdeutlichen. Immer wieder kippt die Bildinszenierung die Szenerien in eine Schräglage, mal steht das Bild auf dem Kopf, mal ist die Kamera so weit weg, dass es eine Zeit dauert, bis wir uns herangezoomt haben an das weiße Zelt der Kinder, das in der Landschaft wie eine Raumstation im Orbit zu schweben scheint. Der nächste reale Ort ist eine typisch amerikanische Wohnwagensiedlung, mit verlorenen Seelen, die hier gestrandet sind und hoffen, ein wenig von der sagenhaften Weltraumstation Area 51 zu profitieren. Ein großes militärisches Sperrgebiet, woran fernab die Behausung des Professors wie ein kleiner Satellit angedockt ist.
Trotz der offensichtlichen Tristesse hat die Regisseurin Paola Randi diese Science Fiction-Geschichte mit viel Liebe zu den Figuren in Szene gesetzt. Schon allein die Retrokulissen verströmen anmutigen Charme. Nichts sieht hier stylisch neu aus, der Fernseher ist ein altes kleines rotes Röhrengerät, die Zugangstür zum Labor wirkt wie die magische Pforte zum Wunderland.
Könnte auch Tito mit seinen Eltern Kontakt aufnehmen, so wie es sich der Onkel mit seiner Liebsten erhofft? Da die beiden Seelenverwandte sind, kommen sie sich ganz allmählich näher. Vor allem, weil Tito wie sein Onkel eine wahre Forschernatur ist und das ins Bergmassiv eingerammte Laboratorium ihn magisch anzieht. Hier herrscht der Roboter Linda, der alles beantworten kann, mit dem der Onkel zum Beispiel berät, wie man mit Kindern umgeht und von dem er sich alte Kassetten mit Nachrichten seiner Frau vorspielen lässt. Eine der anrührendsten Szenen ist, wenn der einsame Professor mit Linda zu Chet Baker „tanzt“. Die Umarmung des starren, quadratischen Roboters lässt uns seine große Verlorenheit beinah physisch spüren, gleichzeitig wird sein Bedürfnis nach Nähe deutlich. „I get along without you very well“ – der Titel des Songs spricht Bände. Seitdem Tito zum Assistent seines Onkels geworden ist, holt er ihn beharrlich aus seiner Trauer heraus, sodass beiden schließlich ein unerwarteter Durchbruch beim Versuch der Kontaktaufnahme ins Universum gelingt. Ob sie dann mit ihren Liebsten sprechen können, bleibt abzuwarten.
Katrin Hoffmann
Tito e gli alieni - Italien 2017, Regie: Paola Randi, Kinostart: 28.02.2019, FSK: ab 0, Empfehlung: ab 8 Jahren, Laufzeit: 92 Min., Buch: Paola Randi, Kamera: Roberto Forza, Schnitt: Desideria Rayner, Musik: Fausto Mesolella, Giordano Corapi, Produktion: Angelo Barbagallo, Matilde Barbagallo, Verleih: eksystent, Darsteller*innen: Valerio Mastanderea (Professor), Clémence Poésy (Stella) Luca Esposito (Tito), Chiara Stelle Riccio (Anita) u. a.
Altersempfehlung 6-9 Jahre
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