Hilda
Auf Netflix: Mal unbeschwert, mal melancholisch, mal märchenhaft: Die Serien-Adaption der beliebten Comics überzeugt auf ganzer Linie.
Hilda – man möchte am liebsten ein Ausrufezeichen hinter ihren Namen setzen, einfach weil ihr eines gebührt! – ist die Netflix-Kinderserie, die junge Eltern wahrscheinlich heimlich alleine weiterschauen, wenn die Kleinen im Bett sind. Dann aber in der Originalsprache – nicht nur, weil die Dialoge darin pointierter und gewitzter sind als in der deutschen Synchronfassung, sondern auch wegen des hervorragenden Sprechercasts, der im wahrsten Sinne des Wortes immer wieder tolle Akzente zu setzen weiß. Das „Holzmännchen“ aus Hildas Nachbarschaft wäre nicht halb so skurril, wenn der britisch-amerikanische Schauspieler Ako Mitchell dessen Sätze nicht mit knochentrockenem Humor intonierte, und die britische Kinderdarstellerin Bella Ramsey (erwachsene Zuschauer*innen könnten sie als die eher wortkarge und ernst blickende Lyanna Mormont aus der Serie „Game of Thrones“ kennen) ist als Stimme der Titelheldin zum Niederknien gut. „Well, that was pretty traumatic“, stellt Hilda recht nüchtern nach einem etwas furchteinflößenden Abenteuer mit einem Troll fest, das die erste Episode der Serie einleitet, und schließt in unbekümmertem Tonfall: „But such is the life of an adventurer.“
In der deutschen Fassung wird aus der Selbstbeschreibung als Abenteuerin eine eher allgemeine Aussage: „Tja, das war ein bisschen unheimlich. Aber was wäre das Leben ohne ein Abenteuer?“ Tja, das ist ein bisschen schade, aber in Übersetzungen gibt es nunmal zwangsläufig Bedeutungsverschiebungen und -verluste, und eines geht zum Glück trotz allem ganz und gar nicht verloren: Dass die blauhaarige Grundschülerin Hilda eine großartige Figur ist, unerschrocken und voller Tatendrang, hilfsbereit und gewillt, mit allen möglichen Kreaturen in ihrer Umgebung Freundschaft zu schließen – nach gewissem Zögern sogar mit anderen Kindern.
Ihr bisheriges Leben hat Hilda abgeschieden von anderen Menschen verbracht; mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Hirschfuchs lebt sie in der Wildnis, umgeben von Wald und Bergen und fantastischen Wesen. Von ihrem Fenster aus kann sie beobachten, wie die runden, plüschigen „Woffel“ gen Süden wandern und ein Riese zwischen den Bergen hervorlugt, hin und wieder kommt der Holzmann ungefragt ins Haus, legt Feuerholz ab und liest ein bisschen vor dem Kamin, und von einem ihrer Abenteuer bringt sie keine Nissen im Haar mit nach Hause, sondern niedliche „nittens“ (mit „Läusekätzchen“ übersetzt). Als sie mit ihrer Mutter in die Stadt Trolberg umziehen muss, ist sie davon zunächst alles andere als begeistert, hält sie die Städter doch für furchtbar langweilig. Aber wer so aufgeweckt ist wie Hilda, findet überall ein Abenteuer – und schon bald hat sie mit David und Frida zwei Freunde an ihrer Seite, die sie bei ihren Erlebnissen begleiten.
Schöpfer dieses blauhaarigen Energiebündels ist der britische Autor und Zeichner Luke Pearson, dessen Comicserie über Hildas Abenteuer mittlerweile sechs Bände umfasst und von den Kritiker*innen so hoch gelobt wird wie von jungen und älteren Fans heiß geliebt. In der Adaption haben sich das Figurendesign und auch die Farbpalette geändert. Die Farbtöne sind weicher, weniger erdig, und die Figuren haben ihren kantigen Stil verloren, sind alle in der Formgebung etwas runder und gefälliger geworden, insbesondere Hilda, die in den Comics visuell an die spitznasige „Kleine My“ der Mumins erinnert. Erhalten hat sich aber der hintergründige Witz, das eigenwillige Figurenarsenal und die Magie von Pearsons Welt, in der man sofort leben und mitstaunen möchte und in der das Fantastische mit dem Banalen immer wieder urkomische Verbindungen eingeht. Die mal unbeschwerte, mal sanft-melancholische oder märchenhafte Stimmung wird durch einige wenige, aber großartig ausgewählte Indie-Songs unterstützt, bei denen dank der Serie gerade die Abrufzahlen auf YouTube in die Höhe schnellen.
Die Geschichten der ersten Staffel (13 Episoden à 24 Minuten) basieren entweder direkt auf den Comicvorlagen oder entstanden in Zusammenarbeit mit Pearson, und bei allem Zauber geht es in ihnen natürlich auch um ganz alltagsnahe Themen, etwa um die Notwendigkeit, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen, um den Umgang mit Ängsten oder die Schwierigkeit, sich mit und in einer neuen Umgebung anzufreunden. Aufgrund ihrer Entdeckungslust manövriert sich Hilda immer wieder in Situationen, die auf jüngere Kinder durchaus etwas unheimlich wirken können, aber da Spannungsmomente schnell aufgelöst oder komisch gebrochen werden und Hilda so unerschrocken durch die Welt schreitet, dürften zumindest Grundschüler*innen auch die wohldosierten Gruselelemente aushalten und als Teil der Abenteuer genießen können. Und wer wollte nicht an ihrer Stelle sein, wenn Hilda mutig auf einem Woffel durch die Luft fliegt oder mit ihrem niedlichen Hirschfuchs neue, unbekannte Orte aufsucht? Ob man nun sieben Jahre alt ist oder sieben mal so alt: „Hilda“ ist ‘ne Wucht.
Natália Wiedmann
Hilda - Großbritannien, Kanada 2018, Regie: Andy Coyle, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 7 Jahren, Buch: Kenny Byerly, Ben Joseph, nach den „Hilda“- Comics von Luke Pearson. Musik: Grimes. Schnitt: John McKinnon. Produktion: Adam Idelson. Stimmen der Originalfassung: Bella Ramsey (Hilda), Ameerah Falzon-Ojo (Frida), Oliver Nelson (David), Ako Mitchell (Holzmännchen) u. a.
Altersempfehlung 6-9 Jahre
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