Wonka
Einmal Schokolade bitte mit Musik! Paul King erzählt die Origin Story einer schillernden Figur aus dem Dahl-Universum.
Willy Wonka ist ein junger Mann voller Träume und fantastischer Ideen. Nach langen Jahren des Reisens und Lernens kommt er eines schönen Tages in eine große Stadt, um auf eine besonders süße Art die Menschen zu retten. Denn Willy Wonka ist Zauberer, Erfinder und Schokoladenhersteller und träumt von einem Laden mit der besten Schokolade der Welt.
Zunächst die schlechte Nachricht: Das Fantasy-Musical „Wonka“ erzählt zwar die Vorgeschichte des genialen Süßigkeiten-Fabrikanten Willy Wonka aus Roald Dahls Buch „Charlie und die Schokoladenfabrik“. Allerdings bezieht sich der Film nicht ansatzweise auf Geist und Stil von Tim Burtons berühmter Verfilmung aus dem Jahr 2005. Bei Burton traf Roald Dahl auf Charles Dickens und Lewis Carroll – und, vor allem, auf Tim Burton. Eine Zauberland-Kulisse à la Oz verschmolz mit futuristischem Industrie-Kitsch, Rockoper-Bombast und greller Mediensatire, und über allem schwebte Johnny Depp als Wonka: ein clownesker Exzentriker zwischen kindlicher Verspieltheit, manischem Größenwahn und abgründiger Melancholie, ein verängstigter Soziopath auf der Suche nach der verlorenen Kindheit.
Nun die gute Nachricht: Denn „Wonka“ findet durchaus zu selbstständiger Erzählkraft und schafft quasi seine eigene filmische Schokoladenfabrik voller überbordend visualisierter Kreationen, die aus Willy Wonkas großem Traum emporsprießen. Auch erscheint Willys Kindheit hier gar nicht so verloren. Zwar stammt er aus ärmlichsten Verhältnissen, dennoch befolgt er gewissenhaft den Rat seiner verstorbenen Mutter: Alles Gute auf der Welt, so erklärte sie ihm, habe mit einem Traum angefangen, „also halte deinen gut fest!“ Mit seinem sehr persönlichen Traum will Wonka nach langer Wanderschaft und etlichen Lehrjahren nunmehr die Welt erobern – selbstbewusst, durch und durch optimistisch, dabei auch ein wenig naiv und arglos, womöglich zu gut für die Welt. Mit nichts weniger als der besten Schokolade der Welt will Wonka die Menschheit beglücken, denn er weiß: „Es ist an der Zeit, die Welt zu retten…“ Dass er dabei aneckt, ist vorprogrammiert, denn selbst in einem Märchen wie „Wonka“ gibt es turbokapitalistische Ausbeuter*innen beziehungsweise Platzhirsche, die ihr Terrain nicht teilen wollen. Mögen sie auch singen und sich mitunter sogar zu einigen Tanzschritten herablassen: Sie bleiben eine handfeste Bedrohung für Träumende, Wünschende und alle, die nach individueller Entfaltung streben.
So gerät der gutmütige Willy an eine hässliche Zimmervermieterin und ihren derben Handlanger, die ihn als Wäschereiarbeiter versklaven (und sich später als skurriles Liebespaar mit bajuwarischem Aphrodisiakum herrlich selbst karikieren). Vor allem aber sind es die habgierigen, herzlosen und standesstolz arroganten Schokoladenfabrikanten Slugworth, Prodnose & Fickelgruber, die erkennen, wie grandios Willys Süßigkeiten schmecken, ihn als gefährlichen Mitbewerber mit gemeinsten Tricks und Intrigen bekämpfen und ihn am Ende in flüssiger Schokolade ertränken wollen. Was angemessen sadistisch ist, aber im Rahmen der betont freundlichen Bilderwelt von „Wonka“ nicht sonderlich aufregend ausfällt. Denn Wonka hat in der „Sklavenwäscherei“ längst beste Freund*innen und Verbündete gefunden. Unter ihnen auch das Waisenmädchen Noodle, das als Erste an Willys Traum glaubt, nachdem sie seine Schokolade probiert – fabriziert in Willys reisekoffergroßer Werkstatt, die zu den vielen großartigen Einfällen des Films gehört: Nahezu alles bewahrt Willy darin, die Zutaten für seine Rezepte ebenso wie die Erinnerungen an seine Mutter. Was er zunächst nicht weiß: Im Koffer wohnt ein gewisser Oompa-Loompa, ein kleiner, eingebildeter Geselle mit orangener Haut und grünen Haaren, dem schon bald eine wichtige Rolle zukommt.
Gespielt wird Oompa-Loompa mit eitler, britisch versnobter Überheblichkeit von Hugh Grant, der dem Film damit ein wahres Highlight beschert. Zwar gibt es Oompa-Loompa auch in Tim Burtons „Charlie“-Verfilmung, nur hier aber führen seine Wurzeln passgenau in die frühere Adaption des Stoffes zurück: Bereits in der Version aus dem Jahr 1970 sehen die kleinwüchsigen „Hilfsarbeiter“ genau so aus wie nun Hugh Grant – und singen auch hier schon das ikonische „Oompa-Loompa“-Lied, das ebenso zitiert wird wie Willys finaler Song „Pure Imagination“. Dies intonierte seinerzeit Gene Wilder, vielleicht eine Spur weniger idealistisch als nun Timothée Chalamet, der gleichwohl spielend, singend und auch (moderat) tanzend keine schlechte Figur als kindlich verträumter Willy Wonka macht. Chalamet ist wie auch Hugh Grant allerdings am besten im Original zu genießen: Die sorgfältige, aber eher hüftsteife Synchronfassung raubt dem Film doch einiges an Charme.
Alles in allem bietet „Wonka“ grundsolide, sympathische Unterhaltung, visuell attraktiv, detailfreudig ausgeschmückt im Stil einer romantisch-tristen Charles-Dickens-Welt, schillernd wie eine bunte Seifenblase, von der man sich wünscht, dass sie möglichst spät oder besser erst gar nicht platzen mag. In seinem schwungvollen Flow knüpft der Film vorrangig an die „guten, alten“ Hollywood-Musicals aus der Hochblüte dieses Genres an. Ohnehin ist der „neue“ Willy Wonka eher ein Wesensverwandter des freundlichen London-reisenden Bären Paddington (dessen zwei Kinoabenteuer ebenfalls Regisseur Paul King inszenierte), darüber hinaus aber agiert er im Geiste von Cornelius Hackl, der in „Hello, Dolly!“ (Gene Kelly, 1969) das hymnische Lied „Put On Your Sunday Clothes“ vorträgt. Das wiederum wird gewürzt mit einem „spoonful of sugar“ aus „Mary Poppins“ (Robert Stevenson, 1964), wo Schornsteinfeger Bert ähnlich über die Dächer Londons tanzt wie nun Willy Wonka über glanzvoll beleuchtete Glasdächer. Gewiss: Die Musical-Hochzeit vermag „Wonka“ nicht wiederzubeleben, aber für eine (schokoladen-)süße Erinnerung reicht es allemal.
Horst Peter Koll
Wonka - USA 2023, Regie: Paul King, Kinostart: 07.12.2023, FSK: ab 0, Empfehlung: ab 8 Jahren, Laufzeit: 117 Min. Buch: Simon Franaby, Paul King, nach Charakteren des Romans „Charlie und die Schokoladenfarbrik“ von Roald Dahl. Kamera: Chung-hoon Chung. Musik: Joby Talbot, Neil Hannon. Schnitt: Marc Everson. Produktion: Warner Bros., Heyday, Village Road Pictures. Verleih: Warner. Darsteller*innen: Timothée Chalamet (Willy Wonka), Calah Lane (Noodle), Keegan-Michael Key (Polizeichef), Paterson Joseph (Slugworth), Matt Lucas (Prodnose), Mathew Baynton (Fickelgruber), Olivia Colman (Mrs. Scrubbit), Hugh Grant (Oompa-Loompa), Sally Hawkins (Willy Wonkas Mutter), Rowan Atkinson (Pater Julius) u. a.
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