Zeiten des Umbruchs
Im Kino: Mit viel Fingerspitzengefühl inszeniertes Drama über Freundschaft und Rassismus vor dem Hintergrund der 1980er-Jahre.
Die Geschichte einer Freundschaft zweier Jungs im Amerika der frühen 1980er-Jahre, sehr berührend, in dunklen Farben und mit vielen Zwischentönen erzählt. Zwei kindliche Träumer und einer von beiden bleibt auf der Strecke. Es ist ein Klima der sozialen Kälte in dieser Zeit, als Ronald Reagan mit dem Slogan „Let’s make America great again“ vorführt, wie man Wahlen durch das Schüren von Angst gewinnt. Und damit sind die Bezüge zu heute auch mehr als klar.
Paul ist zehn Jahre alt, er möchte Künstler werden. Zeichnen ist seine große Leidenschaft. Seine jüdische Einwandererfamilie hält davon wenig. Vater Irving ist Klempner und erzieht Paul und dessen älteren Bruder mit strenger Hand. Die exzentrische und warmherzige Mutter hat auch wenig Verständnis für Pauls Flausen. Nur Großvater Aaron, der die Schrecken von Flucht und Vernichtung am eigenen Leib erfahren hat, zeigt Verständnis und versucht, ihm Lektionen der Menschlichkeit im Leben mitzugeben.
Paul ist verträumt und sensibel und liebt es, kleine Streiche zu spielen. So freundet er sich schnell mit dem anderen Außenseiter der Klasse einer öffentlichen Schule an: mit Sitzenbleiber Johnny. Johnny ist der einzige dunkelhäutige Junge in der Klasse, und er hat längst begriffen, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Er ist immer der Sündenbock, die Lehrer*innen haben ihn längst in die Schublade des Querulanten gesteckt. Johnny lebt in ärmlichen Verhältnissen bei der kranken Großmutter, Rassismus erlebt er jeden Tag am eigenen Leib, für ihn gibt es im Amerika Anfang der 1980er nicht den Ansatz einer realistischen Chance. Trotzdem lässt er sich seinen Traum nicht verbieten: Er möchte Astronaut bei der NASA werden. Später landet Johnny auf der Straße, in Pauls Gartenhaus findet er heimlich Zuflucht.
Der Film packt so große Themen wie Klassenunterschiede, gesellschaftliche Ungerechtigkeit, Rassismus und Antisemitismus an, schildert diese aber subtil in den Zwischenzeilen. Jeder noch so kleine Streich der Jungen wird irgendwann zum Politikum, die Ungerechtigkeit hat eine erschreckend banale Normalität. Nach einem verbotenen Joint auf der Schultoilette, geraucht in aller Naivität, kommt es zum Eklat. Paul wird auf die überteuerte Privatschule gesteckt, die unter dem maßgeblichen Einfluss der Trump-Familie zukünftige Eliten der Gesellschaft stellen will. Paul ist unglücklich und vermisst den Freund, gleichzeitig sehnt er sich danach, dazuzugehören, und verleugnet ihn. Als die Jungen aus den Zwängen ausbrechen wollen und dafür eine Straftat begehen, muss Paul eine bittere Lektion lernen. Als weißes Mittelschichtskind einer Einwandererfamilie hat er zwar eine Chance davonzukommen, aber dafür muss er seinen Freund verraten.
Regisseur und Drehbuchautor James Gray verarbeitet hier mit viel Fingerspitzengefühl seine eigenen Kindheitserfahrungen, er lässt Ambivalenzen und Widersprüche zu und bringt das Schauspielensemble zu Höchstleistungen. Allen voran die beiden jungen Darsteller. Dabei ist immer das, was nicht gesagt, was nicht getan wird, die eigentliche Geschichte. Hinter jedem Familienessen von Pauls Familie mit Tanten, Onkeln und dem von Paul geliebten Großvater lauern die Traumata des Holocaust. Aber das wird nie angesprochen, es liegt in einer unteren Schicht. Gesellschaftlicher Aufstieg, der amerikanische Traum, das ist das erklärte Ziel der Familie. Der aus einfachen Verhältnissen stammende Vater hat in die intellektuelle Familie seiner Frau eingeheiratet. Er leidet unter dem Minderwertigkeitskomplex des einfachen Arbeiters, und doch hält er den Wert von harter Arbeit hoch. In einer besonders erschreckenden Szene, die völlig aus dem Zusammenhang gerissen erscheint, bricht jähe Gewalt gegen den Sohn aus ihm heraus. Die entfesselte Szene ist schwer zu ertragen. Pauls Angst und Verzweiflung stehen gegen Vater Irvings blinde Wut, aber auch seine Verzweiflung über das eigene Tun schwingt mit. Der Song „Armagideon Time“, gecovert von „The Clash‟, der britischen Punkband dieser Ära, spielt eine nicht unwesentliche Rolle. Sinngemäß heißt es in diesem: Viele Menschen bekommen heute kein Abendbrot, viele Menschen bekommen keine Gerechtigkeit, die Schlacht spitzt sich zu. Paul muss lernen, dass er seine Schlacht nicht ohne einen hohen Preis gewinnen kann.
Christiane Radeke
Armageddon Time - USA 2022, Regie: James Gray, Kinostart: 24.11.2022, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 12 Jahren, Laufzeit: 115 Min. Buch: James Gray. Kamera: Darius Khondji. Musik: Christopher Spelman. Schnitt: Scott Morris. Produktion: Focus Features. Verleih: Universal Pictures. Darsteller*innen: Michael Banks Repeta (Paul Graff), Jaylin Webb (Johnny), Anne Hathaway (Esther Graff), Anthony Hopkins (Aaron Rabinowitz), Jeremy Strong (Irving Graff) u. a.
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