Mein Vater, die Wurst
Im Kino: Eine kleine, feine Familiengeschichte, in der eine Tochter ihrem Vater beisteht.
Der Filmtitel weckt zunächst leichte Zweifel: Handelt es sich bei diesem belgisch-niederländisch-deutschen Spielfilm etwa um eine garstige Familienkomödie, die einen überforderten Vater als Hanswurst bloßstellt oder ihn gar als armseliges Würstchen vorführt? Die erste Szene gibt dann noch keine eindeutige Antwort, weckt aber die Neugier: Da radelt im Großstadtverkehr ein Mann auf einem Fahrrad – und steckt tatsächlich im Kostüm einer riesigen Bockwurst, aus dem seine Arme, Beine und sein Gesicht herausschauen. Das sieht schon etwas lächerlich aus, vielleicht auch würdelos. Hinter dem radelnden „Würstchen“ sitzt ein Mädchen: Zoë ist zwölf Jahre alt, erzählt weite Teile der Geschichte selbst und spult dafür auf deren Anfang zurück. Und zwar dahin, als etwas passierte etwas, was laut Zoë kosmologisch unmöglich ist: ein zweiter Urknall.
Schritt für Schritt enthüllt der Film nun die Geschichte einer wunderbaren Vater-Tochter-Beziehung, und er tut dies skurril, liebenswürdig, heiter oder mitunter dramatisch, stets aber aufmerksam und sehr behutsam. Natürlich ist Zoës Vater Paul alles andere als eine Wurst, und doch empfinden es die meisten in der Familie als Zeichen von Schwäche, als er von jetzt auf gleich aus seinem einträglichen, aber inhaltsleeren Bank-Job aussteigt, um Schauspieler zu werden. Zoës ältere selbstverliebte Schwester Fien und ihr weltfremder Bruder Kas, der sich im heimischen Keller mit skurrilen Erfindungen auf den Weltuntergang einstellt, halten ihren Vater für schlicht verrückt. Als ihre vielbeschäftigte Mutter Véronique von einer ihrer vielen Geschäftsreisen zurückkommt, sorgt sie sich zunächst weniger um den Verstand ihres Mannes als vielmehr darum, wie jetzt das schicke frischbezogene Haus finanziert werden soll.
Und noch etwas quält Véronique: Was nur werden ihre Eltern dazu sagen, vor allem ihr selbstgefälliger, despotischer Vater, ein reicher Pralinenhersteller? Schnell wird klar, dass auch Zoës Mutter heftige Vater-Probleme hat, vor denen sie sich aber nur zu gerne wegduckt. Ganz anders als Zoë, die mehr als genug Probleme in der neuen Schule hat, gemobbt wird und kein Bein auf die Erde bekommt. Intuitiv bewundert sie den Ausstieg ihres Vaters und ahnt sogar eine Chance für sich, ihr eigenes Leben zu verändern. Zoë hält zu ihm, unterstützt seine Hoffnungen und Träume, Ängste und Zweifel, tröstet ihn nach einem gescheiterten Vorsprechen und bejubelt seinen ersten Job in einem Werbespot für fleischfreie Lebensmittel. Nein, ruft Zoë, nicht als Wurst, sondern als vollwertiger Fleischersatz!
Hinter der kleinen, aber feinen Familiengeschichte geht es also um etwas ganz Großes, nämlich um Lebensentwürfe und Lebensängste, sogar um so etwas wie das Urvertrauen in die Welt. Dass sich dabei der spät aus dem abgesicherten Leben aussteigende Vater und seine seelisch angeschlagene Tochter voller Schulprobleme gegenseitig stützen, sich Mut zusprechen und sich Halt geben, verändert auf erfrischende Weise die üblichen Rollenmuster in einer Familie. Zoë erkämpft sich ihren Vater als Vorbild zurück, nicht zuletzt auch, um sich in ihrer eigenen Welt besser zu behaupten. Klug spiegelt sich dies in den oft mehrdeutigen Bildern und Dialogen: in Zoës handgemachten Trickfilmszenen, im gemeinsamen Einüben von Vater und Tochter fürs Vorsprechen bei Theatern, ja sogar in den Pralinen, von denen die Mutter am Ende erkennt, dass sie weit mehr sind als nur eine Handelsware – nämlich ein Genussmittel im wahren Wortsinn, eine Geschmacksexplosion und das Versprechen auf ein wahres Abenteuer. Manchmal, so erkennt Zoë schließlich, muss man halt einen zweiten Urknall haben, um seinen Weg zwischen den Sternen und Planeten zu finden.
Horst Peter Koll
Mijn Vader is een Saucisse - Belgien, Niederlande, Deutschland 2021, Regie: Anouk Fortunier, Kinostart: 20.03.2022, FSK: ab 0, Empfehlung: ab 10 Jahren, Laufzeit: 83 Min. Buch: Jean-Claude Van Rijckeghem, nach einem Roman von Agnès de Lestrade. Kamera: Melle van Essen. Musik: Harry de Wit. Schnitt: Gert van Berckelaer, Joppe Van Den Brande. Produktion: A Private View/The Film Kitchen/Leitwolf Filmprod./NDR. Verleih: Farbfilm. Darsteller*innen: Savannah Vandendriessche (Zoë Schutijzer), Johan Heldenbergh (Vater Paul Schutijzer), Hilde De Baerdemaeker (Mutter Véronique Schutijzer), Jade De Ridder (Fien Schutijzer), Ferre Vuye (Kas Schutijzer), Chokri Ben Chikha (Mo), Frank Focketyn (Marx) u. a.
Kino
» Tony, Shelly und das magische Licht
» Dìdi
» Animalia
» Wonka
» Elaha
» Die unlangweiligste Schule der Welt
» L‘amour du monde – Sehnsucht nach der Welt
» Deep Sea
» Ernest & Célestine: Die Reise ins Land der Musik
» Besties
» Spider-Man: Across the Spider-Verse
» Oink
» Suzume
» Sara Mardini – Gegen den Strom
» Wann wird es endlich wieder so wie es nie war
» Im Himmel ist auch Platz für Mäuse
» Ein Weihnachtsfest für Teddy
» Die Mucklas … und wie sie zu Pettersson und Findus kamen
» Die Schule der magischen Tiere 2
» Mein Lotta-Leben – Alles Tschaka mit Alpaka
» Alcarràs
» Alfons Zitterbacke – Endlich Klassenfahrt!
» Belle
» Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann
» Die Häschenschule – Der große Eierklau
» Petite Maman - Als wir Kinder waren
» Belfast
» Der Pfad
» Sing – Die Show deines Lebens
» Das große Abenteuer des kleinen Vampir
» Weihnachten im Zaubereulenwald
» Lene und die Geister des Waldes
» Encanto
» Platzspitzbaby – Meine Mutter, ihre Drogen und ich
» Elise und das vergessene Weihnachtsfest
» Die Schule der magischen Tiere
» Youth Unstoppable – Der Aufstieg der globalen Jugend-Klimabewegung
» Die fabelhafte Reise der Marona
» Die Pfefferkörner und der Schatz der Tiefsee
» Lionhearted – Aus der Deckung
» Herr Bachmann und seine Klasse
» Madison – Ungebremste Girlpower
» Bori
» Ein bisschen bleiben wir noch
» Hilfe, ich hab meine Freunde geschrumpft
» Niemals Selten Manchmal Immer
» Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess
» Yalda
» Kokon
» Into the Beat – Dein Herz tanzt
» Meine Freundin Conni – Geheimnis um Kater Mau
» Weathering With You – Das Mädchen, das die Sonne berührte
» Monos – Zwischen Himmel und Hölle
» Lassie - Eine abenteuerliche Reise
» Die Heinzels – Rückkehr der Heinzelmännchen
» Die fantastische Reise des Dr. Dolittle
» Latte Igel und der magische Wasserstein
» Als Hitler das rosa Kaninchen stahl
» Auerhaus
» Die Götter von Molenbeek – Aatos und die Welt
» Fünf Dinge, die ich nicht verstehe
» Invisible Sue – Plötzlich unsichtbar
» Nevrland
» Maleficent: Mächte der Finsternis
» Fritzi – Eine Wendewundergeschichte
» Mein Lotta-Leben – Alles Bingo mit Flamingo!
» Paranza: Der Clan der Kinder
» A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando!
» TKKG – Jede Legende hat ihren Anfang
» Roads
» Tito, der Professor und die Aliens
» Club der roten Bänder – Wie alles begann
» Drachenzähmen leicht gemacht 3: Die geheime Welt
» Checker Tobi und das Geheimnis unseres Planeten
» Capernaum – Stadt der Hoffnung
» Raus
» Yuli
» Feuerwehrmann Sam – Plötzlich Filmheld!
» Der kleine Drache Kokosnuss – Auf in den Dschungel!
» Der Junge muss an die frische Luft
» Astrid
» Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot
» Der Nussknacker und die vier Reiche
» Wildhexe
» Girl
» Ava
» Thilda & die beste Band der Welt
» Power to the Children – Kinder an die Macht
» Das Haus der geheimnisvollen Uhren
» Mary und die Blume der Hexen
» Pettersson und Findus – Findus zieht um
» 303
» Hotel Transsilvanien 3 – Ein Monsterurlaub