Hexen hexen (2020)
Fiese Hexen, heldenhafte Mäuse: Eine tricktechnisch virtuose, oft ziemlich schaurige und makaber-überdrehte Verfilmung des Romans von Roald Dahl.
Ursprünglich kam die lebenskluge Großmutter, die alles über Hexen weiß, in Roald Dahls Märchenroman „Hexen hexen‟ (1983) aus Norwegen. Dahl war ein weltberühmter englischer Schriftsteller, ein bissiger Satiriker mit Vorliebe für schwarzen Humor. Selbst seine erfolgreichen Kinderbücher (unter anderem „Jack und der Riesenpfirsich“, „Charlie und die Schokoladenfabrik“, „Der fantastische Mr. Fox“ und „Matilda“) schmückte er nicht nur mit viel skurriler Fantasie, sondern auch mit vielen unheimlichen, oft sogar erschreckend makabren Gruseleffekten. Die Großmutter in „Hexen hexen“ diente ihm als eine ebenso freundliche wie sachkundige Führerin, die ihren Enkelsohn vom Verlust seiner bei einem Autounfall gestorbenen Eltern ablenkt, indem sie ihm alles über die fiesen Zauberwesen erzählt, ihre Kräfte, ihren Schadenzauber und ihre gehässigen Pläne. Hexen, sagt sie, gibt es wirklich, sie sind hier, und jede Frau im Alltag kann eine Hexe sein!
Es gibt noch eine weitere Grundregel, und auf die bezieht sich Regisseur Robert Zemeckis in seiner neuen Verfilmung: Hexen gibt es überall auf der Welt, warum also nicht auch im US-amerikanischen Bundesstaat Alabama, wo die Großmutter und ihr Enkel jetzt in der Black Community, der afroamerikanischen Gemeinde, der ländlichen Stadt Demopolis leben. Auch verlegt der Film die Ereignisse ins Jahr 1967, wo für den trauernden Waisenjungen Trost aus dem Radio in Gestalt souliger Pop-Songs kommt. Eine der damals berühmten Bands waren die Four Tops, die den Hit „Reach Out“ sangen. Die Großmutter tanzt dazu und singt mit: „I’ll be there, to give you all the love you need“, ich werde da sein, um dir all die Liebe zu geben, die du brauchst. Das ist eine wunderschöne Liebeserklärung, und man sollte sich später immer mal wieder daran erinnern, wenn der Film schaurig wie ein Albtraum wird und man selbst ein wenig Trost braucht, bevor am Ende dann alles gut wird.
Auch könnte man darüber nachdenken, warum die Hauptpersonen jetzt eine dunkle Hautfarbe haben. Der Film selbst aber macht daraus kein besonderes Thema, ebenso wenig daraus, dass die meisten Hexen, die sich so wütend, hasserfüllt und erbarmungslos auf die Kinder stürzen, weiße Frauen sind. Spätestens wenn die lungenkranke Großmutter und ihr Enkel zur Erholung in ein schickes Seebad-Hotel fahren, geht es ohnehin nur noch um die spannenden, unheimlichen und gefahrvollen Erlebnisse des etwa siebenjährigen Jungen (der keinen eigenen Namen hat). Ausgerechnet in dem Hotel nämlich tagen die Hexen, getarnt als Königliche Gesellschaft zur Verhinderung von Kindesmisshandlungen, während sie in Wahrheit planen, alle Kinder auf der Welt zu töten. Dafür hat die Hoch- und Großmeisterhexe einen Trank gebraut, der ihre Opfer in Mäuse verwandelt. Zunächst trifft es den dicklichen Bruno, dessen Gier nach Süßigkeiten sich rächt, doch schon bald wird auch der Junge verwandelt. Was ihn aber kein bisschen entmutigt: Sorglos und wagemutig entwickelt er auch noch als Maus gute Ideen und durchkreuzt die Pläne der Hexen, indem er ihnen mit Hilfe einer Suppe ihren eigenen Verwandlungstrank einflößt.
Recht detailgenau folgt der Film der verrückten und oft auch komisch überdrehten Fabel von Roald Dahl und macht aus ihr ein knalliges, immer schneller und lauter werdendes Albtraum-Märchen, das man gewiss nicht allen Kindern zeigen kann, vor allem nicht jenen, die von solchen Schauergeschichten schnell verängstigt sind und keinen Spaß an schrumpfenden Körpern, hässlichen Hexen mit Glatze, verunstalteten Händen und Füßen mit nur einem einzigen krummen Zeh haben. Schon 1989 wurde der Roman unter der Regie von Nicolas Roeg verfilmt, der Trickspezialist Jim Henson („Die Muppets“) animierte damals die putzigen Mäuse und schuf herrlich hässliche Hexenmasken. Damals brillierte die Schauspielerin Angelica Huston als Oberhexe, nun wird sie von Anne Hathaway nicht weniger gemein und exaltiert gespielt. Ihr sind einige der gruseligsten Effekte des Films vorbehalten, etwa ihr breites Grinsen, das an den Joker aus den Batman-Comics und -Filmen erinnert, oder ihre unendlich verlängerbaren Arme. Da kann man dann schon froh sein, dass die sehr putzigen computeranimierten Mäuse-Freund*innen so tapfer und selbstlos handeln. Wer sich mit den Geschichten von Roald Dahl auskennt und sie wohlig und angstfrei genießen kann, der dürfte an der tricktechnisch brillant aufbereiteten Geschichte seine Freude haben. Für andere aber wird wohl etwas zu viel an Verrücktheiten und Schrecken aufgetürmt.
Horst Peter Koll
The Witches (2020) - USA 2020, Regie: Robert Zemeckis, Kinostart: 29.10.2020, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 12 Jahren, Laufzeit: 104 Min. Buch: Robert Zemeckis, Kenya Barris, Guillermo del Toro, nach dem Roman „Hexen hexen“ von Roald Dahl. Kamera: Don Burgess. Musik: Alan Silvestri. Schnitt: Jeremiah O’Driscoll, Ryan Chan. Produktion: Warner Bros./ImageMovers/Double Dare You/Esperanto Filmoj/Necropia /The Jim Henson Company. Verleih: Warner Bros. Darsteller*innen: Ann Hathaway (Oberhexe), Octavia Spencer (Großmutter), Stanley Tucci (Mr. Stringer), Jahzir Bruno (der Junge), Codie Lei Eastick (Bruno), Charles Edwards (Mr. Jenkins) u. a.
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