Into the Beat – Dein Herz tanzt
Eine junge, begabte Balletttänzerin entdeckt im Streetdance ihre wahre Bestimmung. Ein mitreißender, toll gespielter Tanzfilm.
Es dürfte die in dem Film am meisten gestellte Frage sein: „Alles okay?“ Fast immer richtet sie sich an Katya, Ballettschülerin in Hamburg, die gerade schwer unter Stress steht. Es sind noch drei Wochen, bis sie für ein Stipendium an der New York Ballet Academy vortanzen soll, und bis dahin heißt es trainieren, trainieren und wieder trainieren. „Enttäuscht euch nicht!“, mahnt die strenge Tanzlehrerin Frau Rosebloom, und als sei dies noch nicht Druck genug, richtet sich Katyas Blick immer wieder auf ihren geliebten Vater, der selbst ein gefeierter Ballettstar ist. Als er während einer Aufführung einen folgenschweren Unfall erleidet, liegt es allein an Katya, die standesstolze Familientradition des Balletttanzes fortzuführen. Alles okay? Nein, eigentlich ist ganz und gar nichts okay.
In wenigen, intensiven Szenen vermittelt Regisseur Stefan Westerwelle ein Gespür dafür, was alles in der jungen Tanzelevin vor sich geht. Katya tanzt seit 15 Jahren Ballett, fast ihr ganzes junges Leben lang, und schon immer, spätestens aber seit dem Tod ihrer Mutter fühlt sie sich dazu verpflichtet. Was aber ist nur Verpflichtung, und was ein existenzieller, tief aus einem selbst heraus erfühlter und ersehnter (Lebens-)Traum? Schon in „Matti und Sami und die drei größten Fehler des Universums“ (2017) hatte Westerwelle über die Wünsche und Träume junger Menschen nachgedacht, mit „Into the Beat – Dein Herz tanzt“ tut er das ähnlich einfühlsam, jetzt aber packt er eine geballte Portion Gefühl dazu, das mitunter regelrecht explodiert.
Gleich zum Anfang zeigt der Film (nicht nur) Katya eine verführerische Alternative auf: Er beginnt mit spektakulären Hip-Hop-Tanzszenen, rasanten, akrobatischen Moves junger Tänzer*innen während einer Dance-Performance, unterlegt mit donnernder Musik und aufpeitschenden Rhythmen. Es sind akustisch und visuell wuchtige Eindrücke wie aus einem Paralleluniversum, in das Katya hineingerät wie Alice im Wunderland, als sie dem weißen Kaninchen folgte. In ihrem Fall sind es einige aufgedrehte Jugendliche, denen sie ins Hamburger Tanzhaus „Battle Land“ folgt und dort ungläubig staunend ihre erste Streetdance-Party erlebt. Gleich am nächsten Tag zieht es sie dorthin zurück. Sie tanzt bei einer Probe mit, anfangs noch zögerlich, leicht amüsiert über ihre Ungeschicklichkeit, bis plötzlich urgewaltig der Knoten platzt: Es bricht förmlich aus ihr heraus, sie tobt los und überlässt sich ganz ihrer Ausdrucksfreude. „Die feiert das, Alter!“, kommentiert ein junger Tänzer und lobt sie: „Hättest Du sagen können, dass du eine Performerin bist…“
Bereits dieser für die Hip-Hop-Kultur spezifische Jargon deutet Katyas Standortwechsel an, der sich von nun an unaufhaltsam vollzieht. Nichts kann die Tochter aus großbürgerlichen Lebensverhältnissen mehr stoppen, nachdem sie intuitiv erspürt hat, was sich ihr an Möglichkeiten offenbart. Mit der neuen Sprache, der neuen Musik und dem intensiven Bewegungsausdruck verbinden sich Freundschaft, Miteinander und Respekt, aber auch eine Lebensenergie, die sie in ihrer abgeschlossenen, kunstsinnigen Welt nicht erfahren hat. Jetzt erlebt sie, was es im guten wie im schlechten Sinn bedeutet, die Beherrschung zu verlieren. Sich durchzusetzen gegenüber dem geliebten Vater, den sie nicht verlieren will und doch tief enttäuschen muss, ist ein schmerzhafter Prozess, der sie an sich selbst zweifeln lässt. „Warum fühlt sich das so scheiße an? Das ist unfair“, schreit sie. „Wer bin ich denn eigentlich?“ Zugleich aber ist ihr bewusst, was sie wirklich will: Tanzen. Tanzen mit Marlon, dem jungen, einsamen Mann mit dem Spitznamen „Alien“, der sie in jeder Hinsicht verzaubert und der ihr erklärt: „Es geht um dein Ding. Du musst deinen Style durchziehen, nichts kopieren.“
So lebt der Film von der mitreißend inszenierten Konfrontation zweier „Styles“, zweier Tanzstile und zweier Lebensentwürfe. Mehrfach betont Katya, dass sie das Ballett grundsätzlich liebe, doch wenn sie Hip-Hop mache, sei alles anders: „Dann glüht alles, das bin ich.“ Womit es um weit mehr geht als nur ums Tanzen: Wenn sie als „Star Girl“ und Marlon als „Alien“ ihren eigenen Act kreieren, geht es um ihren Platz im Leben, sei dieser zunächst auch noch so abenteuerlich und unwägbar. Die Choreografien der renommierten Flying Steps Academy, die hierzulande einen hohen Standard in der Streetdance-Szene gesetzt hat, geben dem Film zweifellos sein authentisches Flair, etwas wirklich Besonderes aber wird er erst durch das „magische“ Zusammenspiel der jungen Darsteller*innen Alexandra Pfeifer (Katya) und Yalany Marschner (Marlon). Beide leben förmlich ihre Figuren und verwandeln sie eindrucksvoll in glaubwürdige, höchst vitale Charaktere. Der Film entstand im Rahmen der Initiative „Der besondere Kinderfilm“, die hier wohl zum ersten Mal ihr Ziel erreicht hat, Geschichten anzustoßen, die „larger than life“ sind, größer als das Leben: „Into the Beat“ bietet pralles Genrekino, bei dem es fühlbar ums „Erleben“ geht, um das Erspüren und das Austesten von Grenzen.
Horst Peter Koll
Into the Beat – Dein Herz tanzt - Deutschland 2020, Regie: Stefan Westerwelle, Kinostart: 16.07.2020, FSK: ab 0, Empfehlung: ab 13 Jahren, Laufzeit: 98 Min. Buch: Hannah Schweier, Stefan Westerwelle. Kamera: Martin Schlecht. Musik: Andrej Melita. Schnitt: Valesca Peters. Produktion: Lieblingsfilm/Senator Film/SK Film- und Fernsehproduktion/ZDF/Kinderkanal. Verleih: Wild Bunch. Darsteller*innen: Alexandra Pfeifer (Katya), Yalany Marschner (Marlon), Ina Geraldine Guy (Feli), Trystan Pütter (Victor), Katrin Pollitt (Frau Nemec), Helen Schneider (Frau Rosebloom) u. a.
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