Romys Salon
Irgendetwas stimmt nicht mit Oma Gedächtnis. Ein Kinderfilm über Demenz, mit Leichtigkeit erzählt und inszeniert von Mischa Kamp.
„Schuhe aus und ab nach oben!“ So harsch begrüßt Oma Stine ihre 10-jährige Enkelin, wenn sie nach der Schule zu ihr in den Frisiersalon kommt. Oben, das ist die Wohnung von Oma, die über dem Geschäft liegt und wo nur die Katze auf Romy wartet. Weder Romy noch Stine sind von dem Arrangement begeistert, dass Romy neuerdings ihre Nachmittage bei Oma verbringen muss, weil ihre Mutter nach der Trennung von ihrem Mann länger arbeiten muss.
Kinder stehen im Weg herum, stören und belästigen die Kundinnen, glaubt Oma. Weil sich Romy in der Wohnung langweilt, steht sie dann tatsächlich ab und an im Friseursalon und sieht, dass die Großmutter unkonzentriert und nervös wirkt, sich bei einfachsten Aufgaben verrechnet oder mit der neuen Kasse nicht zurechtkommt. Da ist es plötzlich sehr praktisch, dass ihre Enkelin ihr helfen kann, bevor die Kundinnen das merken. Ähnliche Situationen häufen sich und Romy wird immer mehr zu einer ganz wichtigen Unterstützung, bis nicht mehr zu leugnen ist, dass Oma ein Problem mit ihrem Gedächtnis hat.
Niederländische Filme trauen sich immer wieder, tabuisierte Themen zu thematisieren. Wir erinnern uns etwa an „Übergeschnappt“ (Martin Koolhoven, 2005), ein Kinderfilm, der die psychische Störung der Mutter in den Mittelpunkt stellte, an „Super Jack und Bruder Langohr“ (Anne de Clercq, 2015) über die künstliche Befruchtung lesbischer Mütter, oder an „Girl“ (Lukas Dhont, 2018), einen Jugendfilm, der von einer 15-jährigen Transgender-Ballerina erzählt. Es sind ethische Fragen unserer Zeit, die in diesen Filmen mit großer Sensibilität und einer Selbstverständlichkeit verhandelt werden, weil sie eben nicht zu verheimlichen sind, sondern offen thematisiert werden sollten. Genau dies zeichnet auch „Romys Salon‟ aus, in dem es um die zunehmende Demenz der Großmutter geht.
Die anfängliche Distanziertheit zwischen Großmutter und Enkelin beginnt, sich ganz allmählich in wachsende Zuneigung zu wandeln. Die Verhältnisse drehen sich um, denn bald ist es Romy, die immer mehr Verantwortung für Oma Stine übernimmt und zunehmend den Laden schmeißt. Romy erklärt den Zuschauer*innen manche Merkwürdigkeiten aus dem Off, sodass es Kindern leichter fällt, die Diagnose Demenz einzuordnen. Dabei bleiben wir immer ganz nah bei dem Mädchen, das mit großer Ernsthaftigkeit und Verwunderung beobachtet, wie die Krankheit voranschreitet, ohne wirklich zu begreifen, was diese Diagnose bedeutet, nämlich dass sie unumkehrbar ist. Sie bedeutet aber auch, dass es herrlich unvernünftige Momente gibt, die Stine sonst so nie ausgelebt hätte. Nachdem Romy die Banknoten in der Sofaritze wiederfindet, die die Oma dort versteckt hatte, gehen sie shoppen und landen schließlich in einem Fünf-Sterne-Hotel, wo die Großmutter immer schon mal hin wollte. In weißen Bademänteln und mit Handtuch-Turbanen auf den Köpfen schweben sie durch den Hotelflur – ein unbeschwerter Nachmittag, von dem Mama natürlich nichts wissen darf. Solche fröhlichen Situationen sind es auch, die Romy darin bestärken, mit Oma in ihr Heimatdorf nach Dänemark zu reisen, wo – so hofft sie – dann sicherlich alles wieder wie früher werden wird. Aus Kindersicht ein nachvollziehbarer Gedanke, der allerdings fast in einer Katastrophe endet.
Regisseurin Mischa Kamp hat schon so wunderbare Kinderfilme wie „Winky will ein Pferd“ (2005), „Wo ist Winkys Pferd?“ (2007) oder „Tony 10‟ (2010) gedreht. Immer rückt sie ihren kleinen Held*innen ganz nah auf den Leib, um begreifbar zu machen, wie man sich etwa als chinesisches Einwanderermmädchen fühlt oder was es mit einem Jungen macht, wenn die Eltern sich unerwartet trennen. „Romys Salon“, der nach dem Buch von Tamara Bos entstanden ist, ist ihr bislang gelungenster Film. Die meisten Szenen spielen sich in Innenräumen ab, vor allem in dem Salon, nur die große Fensterfront trennt das Innen vom Außen, durch die wir entweder hinaus- oder hineinschauen. Eine große Schaufensterscheibe trennt Romy auch von ihrem Wunschobjekt, einem teuren Handy, das sie nur aus der Distanz bewundern kann, die Kamera steht innen im Geschäft und beobachtet das Mädchen, wie es sehnsuchtsvoll hineinstarrt. Ins Hotel gelangen die beiden durch eine Glasdrehtür, einmal hindurchgewirbelt und die geheimsten Wünsche von Stine werden endlich wahr. Und als die Oma eines nachts ausgeht, weil sie vergisst, dass Romy bei ihr übernachtet, steht das Kind verzweifelt am Schaufenster des Friseurladens und blickt wartend hinaus in die dunkle Straße, bis ihre Oma endlich zurückkehrt. Fensterfronten funktionieren hier metaphorisch als Barrieren zwischen dem zwar Sichtbaren, aber meist Unerreichbaren.
Nur einmal reißt das Bild auf. Wenn Stine glücklich im Meer schwimmt, sehen wir sie als kleinen Punkt in der weiten blauen See. Diese Reise ans Meer wird sowohl Stine als auch Romy verändern. Und am Ende weiß Romy, dass sowohl sie als auch ihre Mutter immer für Stine da sein werden.
Katrin Hoffmann
Romys Salon - Niederlande 2019, Regie: Mischa Kamp, Kinostart: 30.01.2020, FSK: ab 0, Empfehlung: ab 8 Jahren, Laufzeit: 90 Min. Buch: Tamara Bos, nach ihrem gleichnamigen Roman. Kamera: Melle van Essen. Musik: Jacob Meijer, Alexander Reumers. Schnitt: Sander Vos. Produktion: Eefje Smulders. Verleih: farbfilm. Darsteller*innen: Vita Heijmen (Romy), Beppie Melissen (Oma Stine), Nortje Herlaar (Romys Mutter), Guido Pollemans (Romys Vater) u. a.
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