Die Eiskönigin II
Jenseits von Arendelle: Die atmosphärisch ungemein dichte Fortsetzung führt die Prinzessinnen in ein neues Land – und zu sich selbst.
„Die Eiskönigin‟ hat mich vor sechs Jahren ziemlich zwiespältig zurückgelassen. Auf der einen Seite waren da die großartigen Animationen, die diese Welt so greifbar und real gemacht haben. Zudem gab es eine überraschende untypische Heldin: eine junge Frau, die vor sich selbst weggelaufen ist, die mit ihren Kräften nicht im Reinen war und sich ihre Freiheit regelrecht erkämpft hat, anstatt sich zu verstellen und in die Gesellschaft einzugliedern. Auf der anderen Seite allerdings war da diese geradezu erschütternd klischeehafte Zeichnung der Heldin. Riesengroße Rehaugen, ein makelloses Gesicht, lange Haare, eine Sanduhrfigur, schöne Kleider. Eine Prinzessin also, wie Märchenprinzen sie sich vorstellen. Kurzum: Was da erzählt wurde und wie es gezeigt wurde stand im Widerspruch. Und ausgerechnet dieses stilisierte Mädchenbild hat ein popkulturelles Erdbeben in den Kindergärten und Grundschulen ausgelöst und aus bunten Faschingsfeiern weißblaue Elsa-Partys gemacht.
Die Me-Too-Debatte der vergangenen Jahre allerdings scheint auch nicht spurlos an den Macher*innen der Fortsetzung vorbeigegangen zu sein. Drei Jahre nach den Ereignissen aus dem ersten Teil setzt diese ein. Elsa, mittlerweile nach Arendelle zurückgekehrt, und ihre jüngere Schwester Anna sind älter und reifer geworden – und in einer der ersten Szenen nehmen die Regisseur*innen Jennifer Lee und Chris Buck das brachiale Prinzessinnenbild gar auf die Schippe. Als der Schneemann Olaf bei einem Ratespiel Elsa nachahmen soll, überzeichnet er vor allem den hinternbetonten Gang von Elsa aus dem ersten Teil und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Zumindest damit ist im zweiten Teil Schluss. Und außerdem dürfen sich die Prinzessinnen Elsa und Anna nun auch in Hosen ins Abenteuer stürzen.
Als die Elemente in Arendelle verrückt spielen, folgt Elsa dem Ruf einer seltsamen Stimme in ein Königreich im Norden und wird dabei von Anna, dem Eisfarmer Kristoff, Rentier Sven und Schneemann Olaf begleitet. Seit Jahrzehnten wird dieses Königreich von einem dichten Nebel eingehüllt, den kein Sonnenstrahl durchdringen kann. Schon Annas und Elsas Vater hatte seinen Kindern davon erzählt. Nach einem Streit zwischen den Völkern von Arendelle und Northuldra ist dieser Nebel entstanden und hat die beiden Reiche getrennt. Und doch hatte die Mutter ihren Töchtern immer wieder ein Schlaflied über einen mystischen Fluss im Norden namens Ahtohallan erzählt, in dem die Antworten auf alle Geheimnisse liegen sollen. Diesen Ort will Elsa finden. Und endlich herausfinden, wer sie ist und warum sie so ist, wie sie ist.
„Die Eiskönigin II‟ verlässt damit die bekannten Pfade und erzählt im Stil eines Fantasy-Road-Movies von einer Entdeckungsreise, die das Publikum zum Staunen bringt. In prächtigen Herbstfarben lässt der CGI-Film das fantastische nördliche Königreich erstrahlen, für das norwegische Fjorde und Fjells, isländische schwarze Strände und Gletscher und finnische Wälder Pate standen, und reichert die bisher überwiegend kalt wirkende Elsa-Welt um eine neue Farbpalette an. Er spielt mit epischen Totalen und Lichtstimmungen und lässt sogar unsichtbare Elemente wie den Wind zu tragenden Figuren werden. Düster ist die Fortsetzung geworden, aber auch ungemein atmosphärisch. Man muss sogar eingestehen, dass diese Stimmung den Film mehr trägt als die Handlung. Lebte der erste Film von der Konfrontation zweier sich liebender Schwestern, so hat „Die Eiskönigin II‟ ein klares Ziel und es geht vor allem darum, die Hindernisse auf dem Weg dorthin zu überwinden. Nichtsdestotroz haben diese es in sich und zaubern prächtige märchenhafte Kreaturen wie Erdriesen und Wasserpferde hervor. Eine vollausgestattete Fantasy-Welt auf den Spuren von Mittelerde.
Auch in der Fortsetzung treiben Musicalszenen die Handlung voran und geben den Figuren eine Möglichkeit, über ihre Gefühle zu singen. Über den Wunsch nach Beständigkeit und die Angst vor der Veränderung etwa, oder über die Unsicherheit, wer man ist und wo man hingehört. Bisweilen aber dienen sie – ebenfalls wie gehabt – auch einfach nur der Auflockerung, wie jene aberwitzige Rockballade im Achtziger-Jahre-Stil, in der der liebenswert tollpatschige Kristoff im Wald seinen Herzschmerz hinausträllert. „Lost in the Woods‟ heißt diese und unterstreicht damit die Stoßrichtung des Films: Die Starken, die Mutigen, die Klugen und die Tapferen – das sind in dieser Geschichte wieder einmal ausnahmslos die Frauen. Männer brauchen sie nicht unbedingt. Die können sich im Wald und in der Liebe verirren, während die Frauen die Welt retten und auf eine ganz andere Art zu sich selbst finden.
Stefan Stiletto
Frozen II - USA 2019, Regie: Jennifer Lee, Chris Buck, Kinostart: 20.11.2019, FSK: ab 0, Empfehlung: ab 9 Jahren, Laufzeit: 103 Min. Buch: Jennifer Lee. Musik: Kristen Anderson-Lopez und Robert Lopez (Songs), Christophe Beck (Score). Schnitt: Jeff Draheim. Produktion: Peter Del Vecho. Verleih: Disney
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