Zoros Solo
Die Chancen sowie die Schwierigkeiten und Tücken der Flüchtlingskrise, erzählt auf witzige, schräge und zutiefst berührende Art.
Martin Buskers Arbeiten, die während seines Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg entstanden sind, wurden weltweit auf Festivals herumgereicht und immer wieder mit Preisen bedacht – ob der Kurzfilm „Herzhaft“ (2008), die Vater-Sohn-Geschichte „Höllenritt“ (2008) oder der 52-Minüter „Halbe Portionen“ (2011), der von einer ungewöhnlichen „Freundschaft auf Probe“ zweier Außenseiter erzählt. Dabei überzeugte – neben einem guten Händchen für die Auswahl und Führung der Kinderdarsteller – zuvorderst Buskers verblüffende Sicht auf die Probleme und Konflikte seiner jungen Protagonist*innen. Seine Filme verflechten humorvolle, witzige Elemente mit tragischen Momenten und changieren beständig zwischen Drastik und Sensibilität.
Ähnlich geht er an seinen ersten Kinofilm heran, in dessen Mittelpunkt der 13-jährige Flüchtlingsjunge Zoro steht. Zoro musste seine Heimat Afghanistan verlassen und lebt nun mit seiner Mutter und den beiden Schwestern im schwäbischen Ort Liebigheim. Die Familie wurde auf der Flucht getrennt, noch immer befindet sich der Vater in Ungarn. In seiner neuen Heimat nimmt es Zoro mit dem Gesetz nicht so genau, im Gegenteil. Diebstähle, Erpressung anderer Kinder und sogar ein Anschlag auf den gekreuzigten goldenen Jesus in der Kirche stehen auf seinem Programm. Denn Zoro muss Geld beschaffen, viel Geld, um seinen Vater nach Deutschland zu schleusen. Bei der Polizei ist der kleine Macho, der so gar nicht auf den Mund gefallen zu sein scheint, kein Unbekannter mehr. Sein Glück ist es, dass ihm zu seiner Strafmündigkeit genau noch ein Jahr fehlt.
So hat auch die Chorleiterin des ortsansässigen Knabenchors, Frau Lehmann, keine Chance, den Übeltäter belangen zu lassen, als sie mit Zoro in Konflikt gerät. Die strenge Frau Lehmann ist Single und lebt nur für ihren Chor, der möglichst viele Preise erringen soll. Dass sie jetzt wegen der „Horde Buschleute“ in der Kirche nicht mehr proben kann, nervt sie zutiefst. Und erst recht der freche kleine Flüchtlingsjunge, der sie „Bitch“ nennt und gegen den sie wiederum mit fester Hand und Pfefferspray vorgeht. Als Zoro erfährt, dass der christliche Knabenchor nach Ungarn zu einem Gesangswettbewerb eingeladen ist, kommt er auf eine Idee: Er wird singen lernen, um mit dem Chor mitreisen zu dürfen und seinen Vater aus Ungarn herauszuholen. Von nun an weicht Zoro nicht mehr von Frau Lehmanns Seite, bis sie ihn – mehr zwangsweise, als gewollt – vorsingen lässt. Seine glockenhelle Stimme überzeugt und so müssen sich die beiden – trotz der gegenseitigen Vorurteile – zusammenraufen. Und nebenbei findet Zoro in seinem anfänglichen „Opfer“, dem schüchternen Chorknaben Julian, einen Freund. Einen Freund, der so schwach gar nicht ist und weiß, was er will.
Formale Political Correctness, sofern sie durch übertriebene Behutsamkeit schwerwiegende Konflikte und brennende Probleme unter den Tisch kehrt, ist nichts für den Filmemacher Martin Busker. Er und sein Ko-Autor Fabian Hebestreit lassen ihren Titelhelden Sätze sagen wie „Das Schlimmste an Deutschland ist, dass die Frauen nicht gehorchen“ oder – gerichtet an Julian, der sich als homosexuell outet – „Jemand wie du wird in Afghanistan einfach vom Dach geworfen“. Oder sie lassen ihn, wenn es passt, auf seinem angeblichen Fluchttrauma herumreiten. Die verknöcherte und junge Menschen hassende Frau Lehmann steht dem Jungen in nichts nach und möchte die Flüchtlinge am liebsten sofort wieder zurückschicken. Ungeschminkt wird hier also zunächst auf die Leinwand gebracht, was wir alle in Deutschland zur Zeit erleben, um dann aber ganz subtil und nicht weniger humorvoll einen Annäherungsprozess zu beschreiben, der einige Hürden zu nehmen hat. Nur mit Julian wird von Anfang an ein positiver, starker Held etabliert. Aber auch in ihm stecken Überraschungen, indem er zunächst als schwächlicher, in sich gekehrter Junge und damit als gefundenes „Opfer“ erscheint.
Für seine beiden Haupthelden hat Martin Busker zwei wunderbare Darsteller gefunden. Der in Hamburg geborene Mert Dincer spielt einen im Inneren sensiblen Flüchtlingsjungen, der nach außen hin cool sein will, dem allerdings sein Chefgehabe so manche Schlappe erleiden lässt und der durch seine gegenwärtige Situation als vermeintliches Familienoberhaupt überfordert ist. Laurids Schürmann dagegen gibt einen zerbrechlich wirkenden, typischen Chorknaben, der dann mit seiner inneren Stärke und seinem Selbstbewusstsein überrascht. Die Dritte im Bunde, Andrea Sawatzki, zieht für ihre Frau Lehmann professionell alle Register – von der komischen Alten, der fiesen, rechthaberischen Chorleiterin bis hin zu einer einsamen, traurigen und mitfühlenden Frau, die genauso wie Zoro nach Nähe sucht.
Barbara Felsmann
Zoros Solo - Deutschland 2019, Regie: Martin Busker, Kinostart: 24.10.2019, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 13 Jahren, Laufzeit: 89 Min. Buch: Fabian Hebestreit, Martin Busker. Kamera: Martin L. Ludwig. Musik: Steven Schwalbe, Justin Michael La Vallee. Schnitt: Kilian Schmid. Produktion: Kathrin Tabler. Verleih: NFP. Darsteller*innen/Mitwirkende: Mert Dincer (Zoro), Laurids Schürmann (Julian), Andrea Sawatzki (Frau Lehmann), Hadi Khanjanpour (Zoros Vater Zamir), Robert Kuchenbuch (Polizist Achim) u. a.







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