Neneh Superstar
Im Kino: Neneh tanzt für ihr Leben gern. Rassistische Vorurteile machen ihr es jedoch schwer, Ballerina zu werden.
Tanzen ist ihre große Leidenschaft. Egal, um welche Musikrichtung es geht. In der Freizeit hört die aus einer Hochhaussiedlung stammende Neneh vor allem Hip-Hop und hat die coolsten Moves auf Lager. Ihr Traum ist es aber auch, Ballerina zu werden. Und so nimmt die Zwölfjährige an der Aufnahmeprüfung für die renommierte Ballettschule der Pariser Oper teil. Während die anderen Bewerberinnen beim Vorführen zunächst ihre Referenzen runterrattern, will Neneh einfach loslegen, zeigen, was sie kann. Schon hier unterstreicht Regisseur und Drehbuchautor Ramzi Ben Sliman, dass sich seine Protagonistin von den anderen Mädchen unterscheidet. Nicht nur charakterlich. Inmitten all der weißen Anwärterinnen sticht sie als Schwarze ebenfalls deutlich heraus – womit wir beim zentralen Thema von „Neneh Superstar“ angelangt sind.
In den Fokus rückt der Film besonders den strukturellen Rassismus im Kulturbetrieb, konkreter in der Welt des klassischen Tanzes. Kinder wie Neneh, die aus einfachen Verhältnissen kommen und nicht einem althergebrachten Idealbild entsprechen, haben es ungleich schwerer, sich durchzusetzen, müssen viele höhere Hürden überwinden, gegen Vorurteile und menschenverachtende Ansichten ankämpfen. Erschütternd, aber wahrscheinlich nur zu real sind die Diskussionen des Schulgremiums darüber, welche Kandidatinnen einen Platz bekommen sollen. Direktorin Marianne Belage ist eine Verfechterin der Traditionen, möchte – so heißt es euphemistisch – die ästhetische Einheit ihrer Institution wahren und sieht ein schwarzes Mädchen als Ablenkung. Außerdem neige der dunkle Phänotyp dazu, körperlich auseinanderzugehen. Unglaublich, was hier als Argumente gegen Neneh vorgebracht wird. Glücklicherweise gibt es unter den Entscheider*innen auch Menschen, die sich für die begabte Zwölfjährige einsetzen, weshalb sie am Ende trotz der Einwände aufgenommen wird.
Schikanen, von Seiten der Leiterin, eines übermäßig strengen Lehrers und einiger Mitschülerinnen, erlebt Neneh allerdings mit Beginn der Ausbildung permanent. Ihr unangepasstes Auftreten macht die Lage nicht gerade einfacher. Ramzi Ben Sliman zeichnet seine Hauptfigur selbstbewusst und nicht konfliktscheu. Neneh weiß, was sie drauf hat, lässt sich nicht vorschreiben, welches Kleid am besten zu ihrem Aussehen passt, ermahnt die anderen Tänzerinnen manchmal, mehr zu geben, spricht Ungerechtigkeiten aus und fordert Erklärungen, wenn sie mal wieder übergangen wurde. Kurzum: Sie hat Ecken und Kanten. Noch spannender wird das Profil durch das ansteckend energiegeladene Spiel Oumy Bruni Garrels. Wut und Entschlossenheit transportiert die Adoptivtochter der Kinostars Valeria Bruni Tedeschi und Louis Garrel ebenso überzeugend in den Kinosaal wie Nenehs Liebe für die Musik. Der jungen Darstellerin beim Tanzen zuzusehen, ist immer wieder eine Freude. Schön ist zudem, wie natürlich sie in ihren Szenen mit Aïssa Maïga und Steve Tientcheu agiert, die Nenehs Eltern verkörpern.
Marianne Belage wird zunächst als Antagonistin aufgebaut, lässt nichts unversucht, um Neneh von ihrem Weg abzubringen. Mit der Zeit offenbart der Film jedoch eine andere Seite der Direktorin, stellt eine Verbindung zu der Neneh und deren Diskriminierungserfahrungen her. Grundsätzlich ist dieser Gedanke reizvoll. In der zweiten Hälfte arbeitet ihn der Regisseur aber zu schematisch aus. Warum die Figuren diese oder jene Entscheidung treffen, bleibt zuweilen nebulös. Insgesamt tendiert „Neneh Superstar“ gegen Ende dazu, Spannungen und Reibungspunkte ein wenig zu lehrbuchhaft aufzulösen. Hinten raus könnte die Handlung etwas mehr vom eigenwilligen Charme vertragen, den die Protagonistin und ihre Darstellerin versprühen.
Christopher Diekhaus
Neneh Superstar - Frankreich 2022, Regie: Ramzi Ben Sliman, Kinostart: 06.04.2023, Homevideostart: 16.02.2024, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 12 Jahren, Laufzeit: 97 Min. Buch: Ramzi Ben Sliman. Kamera: Antony Diaz. Musik: Jean-Bohémond Leguay. Schnitt: Basile Belkhiri. Produktion: Rémi Cervoni, Sidonie Dumas. Verleih: Weltkino. Darsteller*innen: Oumy Bruni Garrel (Neneh), Maïwenn (Marianne Belage), Aïssa Maïga (Martine), Steve Tientcheu (Fred), Alexandre Steiger (Alexandre Boucher) u. a.
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