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Der Drache meines Vaters

Auf Netflix: Für Elmer geht eine Welt unter. Dann kommt er auf eine Insel, die tatsächlich untergeht - und trifft dort einen ängstlichen Drachen.

Gelb leuchtet in der Ferne das kleine Haus, in dem sich bis vor kurzem das Geschäft von Elmers Mutter befunden hat. Es war das Zentrums des Ortes. Und Elmer hat immer fleißig beim Verkaufen der Süßigkeiten geholfen. Das waren die guten Zeiten. Schließlich musste die Mutter den Laden schließen. Die letzten Überbleibsel hat Elmer aus den Schränken eingesammelt – darunter einen zerbrochenen Lutscher, ein Bonbon, eine Schere – dann bricht er mit seiner Mutter auf in die Stadt Nevergreen. Die macht ihrem Namen alle Ehre: ein tristes Labyrinth aus grauen Straßen und Häusern. In einer kleinen Dachgeschosswohnung kommen Elmer und seine Mutter unter. Ob sie genug Geld zusammensparen könnte, um auf der Straßenseite gegenüber ein neues Geschäft zu eröffnen? Anfangs kann Elmers Mutter noch ihre Sorgen verstecken. Doch als Elmer eine Katze in ihre Wohnung bringt und beginnt, diese zum umsorgen, verliert sie die Fassung. Haustiere sind streng verboten in der heruntergekommenen Mietswohnung – und Elmer riskiert, dass sie nun auch noch diese verlieren. Es kommt zum Streit, Elmer läuft mit der Katze davon. Und dann, am Pier, beginnt diese plötzlich mit Elmer zu reden. Von einer Insel erzählt sie, auf der ein Drache gefangen gehalten werde. Mit diesem könnte der Junge in der Stadt vielleicht etwas Geld verdienen. So macht sich Elmer auf einem Wal auf den Weg zu der Insel, um den Drachen zu befreien.

Ein Drache! Das klingt nach einem mächtigen, starken Wesen. Nach einem Wesen, das keine Angst kennt und vor dem alle Respekt haben. Elmer gelingt es, den Drachen loszubinden, der von einem Gorilla festgehalten wird, um die vom Untergang bedrohte Insel immer wieder nach oben zu ziehen. Womit er nicht gerechnet hat: Nun gibt es keine Rettung mehr für die Insel. Und der Drache Boris ist nicht so, wie er ihn sich vorgestellt hatte. Nicht feurig rot, nicht stark, sondern eher rundlich, mit einem gelb-grün gestreiften Hals und einem schlappen Flügel. Er kann nicht richtig fliegen, hat kaum Kraft, zudem Angst vor Wasser und vor Feuer. Ein Problemdrache.

Meisterhaft spielt „Der Drache meines Vaters‟ auf der Klaviatur der Gefühle. Leichtfüßig, auch ein wenig nostalgisch verklärt, beginnt der Film, bis mit einem Schlag der erste Bruch kommt und die heitere Stimmung kippt. Bedrückend wirken die Szenen in der Stadt, aufregend ist die Reise übers Meer zur Wilden Insel – bis mit dem Drachen Boris eine neue Wendung vollzogen wird. Boris ist eigentlich die Blaupause eines Sidekicks, überdreht, ungeschickt, ängstlich, und bringt so noch einmal die Leichtigkeit zurück. Wenngleich zu diesem Zeitpunkt auch schon die Fallhöhe bewusst und Boris nicht zu unterschätzen ist.

Um Angst geht es immer wieder in dieser Adaption des gleichnamigen Kinderbuchs von Ruth Stiles Gannett aus dem Jahr 1948. Und nicht nur um die Angst von Elmer, der seine besorgte Mutter erlebt hat und ahnt, wie schwierig die Lage der Familie gerade ist, sondern auch um die Angst der Mutter, um die Angst des Drachen und ebenso des Gorillas, der seine Insel retten will und dafür Lügen erfindet. Vorbilder, die zunächst einen tapferen Anschein machen, zerbersten hier der Reihe nach und werden entzaubert. Aber das tut ihnen gut. Sie selbst erleben als Befreiung, ehrlich zu sein, und Boris gar wünscht sich schließlich, dass es nun auch gut sein solle mit dem Mythos des starken Drachen, der er nie so sein wird.

Es ist ein Glück, dass all dies nicht so erzählt wird, dass es deprimierend wirken würde, sondern im Gewand eines fantasievollen Abenteuerfilms. Der Sound ist – bei guter Surroundanlage – mächtig und immersiv und kann vor allem jüngeren Kindern das Fürchten lehren. Die See um die Wilde Insel ist rau, ihre Rettung dramatisch. Aber all die grundsympathischen Inselbewohner*innen sorgen für Ablenkung, das Nashorn Iris etwa, die beiden riesigen Tigergeschwister oder das Krokodil mit den runden Augen. Und natürlich Elmer, der zu Beginn allerlei Gegenstände, die anderen wertlos erschienen, in seinen Rucksack gepackt hat, und nun für alle eine gute Verwendung findet.

Trotzdem ist Elmer kein einfacher Held. Zu oft denkt er nur an sich, zu oft meint er, schon genau zu wissen, was zu tun ist. Aber der Film bietet keine einfachen Antworten. Im Gegenteil. Eine alte Schildkröte, auf der die Hoffnung der Tiere auf der Insel liegt, weil sie als eine Art allwissendes Orakel gilt, ist längst verstorben. Das zwingt die Figuren immer wieder, selbst Lösungen und ihren eigenen Weg zu finden, wobei zunehmend Wurzeln – symbolische und tatsächliche – eine besondere Rolle zu spielen beginnen.

„Der Drache meines Vaters‟ ist eine schöne Geschichte über Respekt und Wertschätzung, über Unsicherheit, Ängste und gegenseitiges Verständnis, die von Nora Twomey, die gemeinsam mit Tomm Moore schon „Das Geheimnis von Kells‟ (2009) und danach allein „Der Brotverdiener‟ (2017) inszeniert hat, in zweidimensionalen, flächigen Bildern umgesetzt wurde und damit in bester Cartoon Saloon-Tradition steht. Ästhetisch ist der Film eine Feier des Handwerks, ein schöner Beweis, dass die Zeit des handgemachten Zeichentricks noch lange nicht vorbei ist.

Stefan Stiletto

© Netflix
8+
Animation

My Father’s Dragon - Irland, USA 2022, Regie: Nora Twomey, Homevideostart: 11.11.2022, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 8 Jahren, Laufzeit: 99 Min. Buch: Meg LeFauve, nach dem Kinderbuch von Ruth Stiles Gannett. Musik: The Danna Brothers. Schnitt: Richie Cody, Darren Holmes. Produzent*innen: Bonnie Curtis, Julie Lynn, Paul Young. Produktion: Cartoon Saloon, Mockingbird Pictures. Anbieter: Netflix.

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