One in a Million
Im Kino: Dokumentarfilm über eine Influencerin aus den USA und einen Fan aus Deutschland.
Echte Teamarbeit war für die junge Regisseurin Joya Thome von Anfang an wichtig. Schon ihren preisgekrönten ersten Spielfilm „Königin von Niendorf“ (2017) hatte sie zusammen mit der Kamerafrau Lydia Richter und dem Soziologen, Produzenten und Tonmann Philipp Wunderlich realisiert und mit ihnen gemeinsam das Drehbuch entwickelt. Nach dem großen internationalen Erfolg des Films hatten sich die drei überlegt, welches Projekt sie gemeinsam als nächstes ins Auge fassen könnten. Nach verschiedenen Entwürfen kam ihnen die Idee, einen Dokumentarfilm über Jugendliche und Social Media zu drehen, der nicht nur Influencer*innen zu Wort kommen lassen sollte und vor allem der allzu eindimensional empfundenen Diskussion darüber etwas entgegensetzen wollte.
Nach vierjähriger Arbeit – und nach Thomes Intermezzo mit der neuen Realverfilmung von „Lauras Stern“ (2021) für Warner – entstand die Geschichte der Turnerin, YouTuberin und Sängerin Whitney Bjerken aus Georgia in den USA und Yara Stork aus dem deutschen Neumünster, einer ihrer größten Fans von mehr als einer Million Follower*innen auf der ganzen Welt.
Etwa zur gleichen Zeit hatte die Schweizerin Susanne Regina Meures übrigens die Idee zu ihrem Dokumentarfilm „Girl Gang“ mit einer im Prinzip ähnlichen Figurenkonstellation, aber völlig anderen Absichten, Aussagen und einer alternativen Coming-of-Age-Geschichte. So gesehen nehmen sich beide im Jahr 2022 herausgebrachten Filme nichts weg, sondern ergänzen sich wunderbar zu einem vielschichtigen Bild über Chancen und mögliche Gefahren von Social Media für Heranwachsende. Die größten Unterschiede zwischen „One in a Million‟ und „Girl Gang‟ liegen darin, dass es in Joya Thomes Film nicht um Werbung, Business und den Verkauf von Produkten geht, sondern um individuelle Selbstverwirklichung. Und in ihrem Film sind beide Protagonistinnen nicht nur voll in die Familie, sondern mehr noch in ihr lebendiges soziales Umfeld mit vielfältigen realen Beziehungen eingebunden.
Whitney trainiert seit ihrem siebten Lebensjahr am Reck, wie Archivaufnahmen ihres Vaters zeigen, der ihre Entwicklung mit der Kamera festgehalten und vermutlich seine Tochter nicht davon abgehalten hat, alle diese Trainings- und Wettbewerbsvideos später auf YouTube auch ins Netz zu stellen – mit überragendem Erfolg! Für ihren Sport nimmt Whitney kontinuierliche harte Arbeit im Training, fast tägliche Blessuren und Verletzungen bis hin zu immer wieder notwendigen Operationen oder das Baden im Eiswasser zur Abhärtung in Kauf. Trotz vieler Rückschläge gibt sie jedoch nie auf und hält an ihrem Traum fest, es bis in die Trainingskader der Leichtathletik-Elite ihres Landes zu schaffen. Dieser ambitionierte Wille zum Durchhalten in sportlicher Hinsicht ist es, der Yara als Followerin besonders imponiert. Denn auch sie ist aktiv in einem Sportverein namens „Die roten Hosen“. Yara hat allerdings nicht den Hochleistungssport im Sinn, sondern die Showakrobatik, deren Auftritte im Film zum Teil der Schere zum Opfer gefallen sind.
Whitney und Yara haben sich erst nach den Dreharbeiten persönlich kennengelernt. Whitney wusste zwar, dass es in Thomes Film auch um eine Followerin gehen würde, aber nicht, um wen konkret es sich handeln würde. Das macht den Film besonders authentisch und glaubwürdig, gerade wenn es um Yaras Entwicklung geht, die zwar von Whitney und ihren Videoblogs stark beeinflusst ist, aber eben nicht durch persönliche Absprachen oder direkte Kontakte. Whitney wusste allerdings Bescheid, dass es eine deutsche Followerin namens Yara gab, die eine eigene Fanseite für sie angelegt hatte und sie mit einfacher Bildbearbeitungssoftware in jeder Altersstufe kurioserweise als Zwilling dargestellt hatte. Whitney fand das sehr lustig. Manche Szenen, insbesondere die, in der Whitney in einem ihrer Lieder die aktuelle Stimmungslage von Yara exakt wiedergibt, wirken dennoch abgesprochen und inszeniert, so stark gleichen sich einige Entwicklungsschritte der beiden auf verschiedenen Kontinenten. Joya Thome wiederum versichert, dass dieser Eindruck erst durch die Montage zustande kam, denn die beiden entsprechenden Szenen lagen vom Drehtermin her über ein Jahr auseinander.
Was zu Beginn der Dreharbeiten wohl auch nicht vorauszusehen war, ist die Art und Weise, in der sich die beiden Mädchen mit Hilfe der sozialen Medien weiterentwickeln und erwachsen werden. Besonders eindrucksvoll spiegelt sich das an Yaras Entwicklung von einem eher schüchternen Mädchen zu einem reflektierten und selbstbewussten Menschen. Denn im Verlauf der mehrjährigen Dreharbeiten entdeckt sie, dass sie sich mehr zu Frauen hingezogen fühlt, erlebt ihr positiv verlaufendes Coming Out und findet zu ihrer eigenen Stimme und zu ihren Wünschen. Und auch Whitney ist alles andere als ein Mensch, der nur auf sportliche Erfolge getrimmt ist und an ihrem 16. Geburtstag in den USA bereits ihr eigenes Auto steuern darf. Privat erlebt sie in diesen Jahren auch viele persönliche Schicksalsschläge, ist sehr nachdenklich und kritisch geworden – auch was ihre Selbstdarstellung in den Medien betrifft und den Unterschied zwischen Selbstbild und Fremdbild. Darüber streitet sie sich konstruktiv mit ihrem Vater und bezieht klar ihre eigene Position. Ihre ganz persönlichen Gefühle, die von großer Tiefe und Reife zeugen, kann sie überdies in ihren eigenen Liedern zum Ausdruck bringen. Allein dafür lohnt es sich schon, diesen Film im Kino zu sehen.
Holger Twele
Diese Kritik wurde anlässlich der Premiere des Films im Rahmen des Kinderfilmfests München 2022 veröffentlicht.
One in a Million - Deutschland 2022, Regie: Joya Thome, Festivalstart: 28.06.2022, Kinostart: 20.04.2023, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 12 Jahren, Laufzeit: 84 Min. Buch: Joya Thome, Lydia Richter, Philipp Wunderlich. Kamera: Lydia Richter. Schnitt: Jamin Benazzuoz. Sound: Philipp Wunderlich. Sound-Design: Felix Roggel. Musik: Hundreds – Philipp Milner. Produktion: Flare Film, NDR. Verleih: UCM.ONE. Mitwirkende: Whitney Bjerken, Yara Storp u. a.








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