Oink
Im Kino: Ein Ferkel als Haustier? Babs’ Opa aus Amerika ist offenbar der Beste! Oder doch nicht?
Diese Kritik enthält Spoiler.
Oink ist ein Ferkel der ganz besonderen Art, denn es hat sich sein Frauchen selbst ausgesucht. Als Babs an ihrem neunten Geburtstag mit ihrem Opa in den Schweinestall kommt, wendet Oink sich von der Muttersau ab und läuft auf Babs zu, die es augenblicklich in ihr Herz schließt. Ein Ferkel als Haustier? Aber ja! Weil der Vater schon bei der Erwähnung von „Hund“ einen Niesanfall bekommt, ist das der Kompromiss, auf den die Eltern von Babs sich einlassen. Nun hilft ihr Opa ihr, das Ferkel zu versorgen.
Der niederländische Puppentrickfilm von Mascha Haberland feierte auf der Berlinale in der Sektion Generation Kplus seine Weltpremiere als Eröffnungsfilm. Mit originellen Figuren porträtiert er eine nur nach außen hin intakt wirkende Familie. Der große Unbekannte ist besagter Opa, der sich vor 25 Jahren nach Amerika aus dem Staub gemacht hat und seine Tochter – Babs’ Mutter – allein bei ihrer Tante zurückließ, eine Mutter gab es nicht. Wenn also jetzt plötzlich dieser betagte Mann in der Tür steht, ist erst einmal Entsetzen bei allen Beteiligten angesagt. Babs’ Mutter will ihn nicht im Haus haben, also nistet er sich ungefragt im Schuppen ein. Wir wissen von der Eingangssequenz, dass Opa der Metzger ist, der vor 25 Jahren beim Würstchenkönig-Wettbewerb disqualifiziert wurde, weil er geschummelt und sich mit seinem Konkurrenten eine Prügelei geliefert hat. Nun steht der alljährliche Würstchenwettbewerb erneut an und Opa könnte endlich wieder mitmachen.
Spannend an der Dramaturgie ist die Doppelbödigkeit, mit der hier gespielt wird. Hat sich der Alte geändert in all den Jahren, oder folgt er einem ausgefuchsten Plan, wenn er Babs das Ferkel schenkt? Will er Oink etwa verwursten? Aus dieser Frage ergeben sich witzige Wortspielereien und so manche Ferkelei. Ein paar Mal steht das Ferkel zur Disposition, denn die Mutter duldet Oink weder im Haus noch in ihrem Gemüsegarten. Dass es sich genau dorthin verirrt, ist zu erwarten und Konzept dieser witzigen Aneinanderreihung katastrophaler Scherereien und pfiffiger Situationskomik. Immer ist es der Opa, der bewirkt, dass Oink bleiben kann und der seine Enkelin unterstützt. Wirklich witzig sind die Versuche, Oink in der Welpenschule mit den jungen Hunden zu trainieren, wo es sich ganz anders gebärdet als die süßen Hundekinder.
Wenn Babs also glaubt, die größten Gegner*innen des Ferkels seien ihre Eltern, dann führt das nicht nur sie in die Irre, sondern auch das Publikum. Sie ist so froh über ihren plötzlich aufgetauchten Opa und das Schweinchen, dass sie die Zeichen nicht erkennt, die auf eine ganz andere Strategie des alten Metzgers hinweisen. Er spricht vom köstlichen Ferkel, wiegt es, begutachtet die Hinterbeine (feine Schweinekeulen) und füttert es nur mit dem besten Biogemüse aus dem Familiengarten. Seine Tochter würde gern an die Läuterung ihres Vaters glauben. Niemand hört auf die Tante, die davon überzeugt ist, dass der Opa immer noch der alte Egoist und Intrigant geblieben ist, der nur darauf wartet, Oink für den Wurstwettbewerb zu verarbeiten. Als Babs’ bester Freund Tijn schließlich den Fleischwolf entdeckt, den Opa unter dem Bett versteckt hat, erklärt dieser, dass er nun Veggie-Würste herstellen will und führt dies auch gleich sehr glaubwürdig vor.
Der Film ist eine Adaption von Tosca Mentens Kinderbuch „De Wraak van Knor “ und schon das Buchcover gibt einen Anhaltspunkt auf Opas Plan, denn hier sieht man, dass er versucht, das Schwein in die Fleischmaschine zu werfen. Der Film umschifft diese eindeutige Position geschickt und hält die Frage nach der Läuterung des Großvaters genial in der Schwebe. Das Entsetzen auf allen Seiten ist also umso größer, als Opa schließlich Oink entführt, um das gute Bioferkel zu verarbeiten und beim Wettbewerb endlich Würstchenkönig zu werden.
Ist es vertretbar, Kindern diese Enttäuschung zuzumuten? Mit Babs hat das Publikum Vertrauen aufgebaut und sich mit ihr gefreut, dass sie neben ihren Eltern nun noch einen coolen Opa aus Amerika hat, der mit ihr spaßige Dinge unternimmt und ihr so ein süßes Haustier geschenkt hat. Würde der Film enden, sobald er die wahren Absichten des Großvaters enthüllt hat, wäre es tatsächlich äußerst frustrierend und pädagogisch fragwürdig. Aber „Oink‟ hält noch ein Happy End ohne Opa, aber mit dem Ferkel bereit und versöhnt dann doch über den herben Verlust und die große Enttäuschung. Auch ein junges Publikum muss begreifen, dass man Warnungen ernst nehmen sollte und Menschen auch hinterfragen können muss. Das hat Babs zu spät getan. Aber alles in allem haben sie und Oink nochmal richtig Schwein gehabt.
Katrin Hoffmann
Diese Kritik wurde anlässlich der Vorführung des Films bei der Berlinale 2022 (Generation Kplus) veröffentlicht.
Knor - Niederlande, Belgien 2022, Regie: Mascha Halberstad, Festivalstart: 10.02.2022, Kinostart: 04.05.2023, FSK: ab , Empfehlung: ab 7 Jahren, Laufzeit: 72 Min. Buch: Fiona van Heemstra, nach dem Roman „De wraak van Knor“ von Tosca Menten. Kamera: Peter Mansfelt. Musik: Rutger Reinders. Schnitt: Mascha Halberstad. Produzentin: Marleen Slot. Produktion: Viking Film. Verleih: Kinostar.
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