Sami, Joe und ich
In der Arte-Mediathek: Bewegender Jugendfilm über drei beste Freundinnen und ihren ersten heftigen Clash mit der Realität.
„Das wird der geilste Sommer unseres Lebens“, nehmen sich die drei Freundinnen Leyla, Sami und Joe vor. Der mittlere Schulabschluss ist in der Tasche, sie sind 16 Jahre alt und die große Freiheit wartet. Gemeinsam hängen sie auf dem Sportplatz ab, quatschen, haben Spaß, ziehen durch die Vororte am Stadtrand von Zürich zwischen Hochhaussiedlung, Wäldern und Gewerbegebieten mit ewig ratternden Güterzügen. Hier leben viele Zugewanderte – so wie die drei. Leylas früh verstorbene Mutter hat ihr eine Weisheit mitgegeben: „Behalte immer mehr Träume in deiner Seele, als die Realität zerstören kann.“ Die Freundinnen werden sich noch wundern, wie sehr dieser Spruch ihre neue Wirklichkeit spiegeln wird. Denn das mit der Freiheit ist so eine Sache, wenn man ein junges Mädchen ist, am Rand der Gesellschaft steht und eigentlich keine wirkliche Chance hat, zumindest keine faire.
Die Schweizer Drehbuchautorin und Regisseurin Karin Heberlein erzählt ganz nah an ihren drei umwerfenden Protagonistinnen, die sie nach einer langen Castingphase eher zufällig in alltäglichen Situationen gefunden hat. Nur die Darstellerin der Joe bringt Schauspielerfahrung aus dem Theater mit. Ein Jahr lang haben sie geprobt und vorbereitet. Die drei erhielten Schauspielunterricht, vor allem aber sollten sie Vertrautheit und Zusammengehörigkeit aufbauen, ihre persönlichen Eigenheiten flossen dann in die Rollen mit ein.
Die Geschichte einer unverbrüchlichen Freundschaft ist mitreißend und authentisch. Erst ist da der euphorische Aufbruch, der aber schnell in einer von Männern dominierten Welt in die Schranken gewiesen wird. Leyla hat wegen ihres ausländischen Nachnamens nur mit Ach und Krach eine Lehrstelle in einer Großküche bekommen, in der ein tyrannischer Chef das Regiment führt. Samis Vater ist vor lauter Sorge, die er aus dem Bosnienkrieg mitgebracht hat, überstreng und treibt die Tochter damit ungewollt in die Fänge von Radikalisierern im Internet und Nadi, einen falschen Freund. Noch dazu überwacht der große Bruder jeden ihrer Schritte. Joe hat ihre eigenen Ziele aufgegeben, kümmert sich um die kleinen Geschwister und will Geld verdienen, um die alleinerziehende Mutter zu unterstützen. Aber der neue Chef ist sexuell übergriffig und die Familie ist erpressbar, denn ohne Job droht die Abschiebung.
Das mit der Unabhängigkeit ist ein Trugschluss, das mit der sozialen Gerechtigkeit auch. Das Einzige, was den Freundinnen bleibt, ist die Kraft und Stärke, die sie aus ihrem Zusammenhalt ziehen. In jeder Minute ist der Film ganz nah an den drei Freundinnen, sie geben den Rhythmus und die Tonlage vor. Diese Nähe und Konzentration macht den Jugendfilm so besonders. Trotz des starken Realitätsbezugs ist es kein sozialkritisches Drama. Immer wieder gibt es poetische Bilder, welche die Schönheit im Alltäglichen einfangen und die stets der Geschichte eines Empowerments dienen. Starke Bilder stehen auch am Schluss, die ein Gefühl von Macht in der Machtlosigkeit, von Freiheit in der Unfreiheit transportieren. Das Schicksal wird in Haaresbreite gemessen, heißt es an einer Stelle. Wie fragil und gleichzeitig kraftvoll die Jugendzeit ist, das erzählt der Film überzeugend und berührend.
Christiane Radeke
Sami, Joe und ich - Schweiz 2019, Regie: Karin Heberlein, Homevideostart: 01.02.2022, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 13 Jahren, Laufzeit: 94 Min. Buch: Karin Heberlein. Kamera: Gabriel Lobos. Musik: Dominique Dreier, Killian Spinnler und Originalsongs von Danitsa, Ikan Hyu, Naomi Lareine, Caroline Alves. Schnitt: Marion Tuor. Produktion: Abrakadabra Film, Claudia Wick. Darsteller*innen: Anja Gada (Sami), Rabea Lüthi (Joe), Jana Sekulovska (Leyla), Karim Daoud (Nadi), Astrit Alihajdaraj (Vater von Sami) u. a.
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