Klaus
Auf Netflix: Eine visuell außergewöhnliche Origin Story des Weihnachtsmanns.
Echte Superheld*innen brauchen eine Origin Story. Eine Geschichte, die erzählt, wie sie wurden, wer sie sind. Wobei: Mittlerweile werden nicht nur die biografischen Wurzeln von Superheld*innen wie Batman oder Wonder Woman immer und immer wieder neu bebildert, sondern auch jene anderer markanter Figuren wie etwa von Han Solo aus dem Star Wars-Universum. Und so wundert es nicht, dass auch dem Ursprung mythischer Figuren auf den Grund gegangen wird. In dem wundervollen spanischen Animationsfilm „Klaus‟ geht es um niemand geringeren als den Weihnachtsmann.
Aber „Klaus‟ beginnt an einer anderen Stelle, an einem anderen Ort. Inmitten der Königlichen Postschule residiert auch Jesper, der unsympathische Sohn des Direktors. Auch er soll die Ausbildung zum Briefträger durchlaufen. Aber Jesper hat einfach keinen Bock und ist zu faul. Ausgefallene Sachen essen und andere herumkommandieren – das ist sein Ding. Bis es dem Vater reicht. Eines Tages ernennt er den Sohn trotz seiner Misserfolge kurzerhand zum Postboten und versetzt ihn. In Spendelberg auf einer abgelegenen Insel hoch im Norden soll er eine Poststation leiten. Zurück darf er erst, wenn er 6.000 Briefe ausgeteilt hat.
Als Jesper in der Kleinstadt ankommt, läuft ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Alles dort ist grau, die Kinder bauen gruselige Schneemänner und spielen Erwachsenen fiese Streiche, kaum jemand wagt sich auf die Straße. Dafür fallen die Sippen der Grobs und der Ellbogner wild übereinander her, nachdem eine Glocke auf dem Marktplatz geläutet wird. Und hier soll Jesper nun leben? Eine Katastrophe!
Jesper will schon aufgeben, als ihm plötzlich die Zeichnung eines Jungen vor die Füße fällt. In einem frankierten Umschlag könnte daraus doch, so denkt er sich, ein Brief werden. Als genau dieser Brief kurze Zeit später in die Hände eines wortkargen Holzfällers gerät, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Gerührt von der Zeichnung beschließt der Holzfäller, dem traurigen Jungen ein Holzspielzeug zu schenken. Das spricht sich herum. Und Jesper sieht seine Chance gekommen: Wenn die Kinder Briefe an den alten Mann schreiben, kann er sein Briefpensum vielleicht doch noch erfüllen und die Insel wieder schneller verlassen. Aber von seinem Plan erzählt er dem Holzfäller natürlich nichts.
Für ein popkulturerfahrenes Publikum ist nicht schwer zu erraten, was dann passiert: Nach und nach verweisen die Szenen auf den Weihnachtsmannmythos und zeigen etwa, warum Kinder begonnen haben, dem Weihnachtsmann Briefe zu schreiben, weshalb Kohlen in den Socken von unartigen Kindern landen oder woher das Bild des Schlittens mit den fliegenden Rentieren kommt. All dies ist schon höchst unterhaltsam geraten und besticht durch den schieren Ideenreichtum der Filmemacher*innen. Aber dabei belässt es der Film nicht. Ergänzt wird die Geschichte über Jesper und den Holzfäller durch den seit langer Zeit schwelenden Konflikt zwischen den Sippen in Spendelberg. Man bekriegt sich, weil das eben schon immer so war. Doch die guten Taten des Holzfällers verändern die Kinder. Sie sind die ersten, die die eingefahrenen Bahnen aufbrechen, sich den vermeintlichen Feind*innen öffnen und auf einmal ein neues Selbstwertgefühl bekommen.
„Klaus‟ ist eine Entdeckung und zeichnet sich sowohl durch seine eigene Sicht auf die Weihnachtsmanngeschichte als auch durch die eigenwillige künstlerische Umsetzung aus. Die Figuren sind überzeichnet und zunächst nahe an Karikaturen, gewinnen aber trotzdem schnell Charakter und werden zu echten Sympathieträgern, die Bewegungen sind flüssig, die atmosphärischen Szenerien mit viel Sorgfalt und einem schönen Sinn für Humor gestaltet. Das vielleicht Überraschendste ist jedoch, dass es sich trotz der plastischen Lichteffekte nicht um eine 3D-Animation handelt, sondern alle Bilder ganz traditionell handgezeichnet wurden. Wo andere CGI-Animationen flächige Zeichentrickfilme nachahmen, imitiert hier ein Film die Bildästhetik des CGI-Films und schafft damit einen eigenen Look. Und so, wie „Klaus‟ alte und neue Animationsstile verbindet, verknüpft er auch Witz und Herz. Am Ende wird er richtig rührend – genauso, wie sich das gehört für einen Weihnachtsfilm.
Stefan Stiletto
Klaus - Spanien 2019, Regie: Sergio Pablos, Homevideostart: 15.11.2019, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 8 Jahren, Laufzeit: 96 Min. Buch: Sergio Pablos, Jim Mahoney, Zach Lewis. Musik: Alfonso G. Aguilar. Schnitt: Pablo García Revert. Produktion: The SPA Studios, Atresmedia Cine, Netflix Animation. Anbieter: Netflix
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