Weihnachten im Zaubereulenwald
Im Kino: Ein Winterfilm aus Estland, der durch seine Naturaufnahmen beeindruckt und vielfältig über Fürsorge erzählt.
Eher unfreiwillig stolpert die zehnjährige Eia in ein wahres Winterparadies mit prachtvollen Wäldern, Rehen, Fischottern, Luchsen und zahlreichen Vogelarten, die sich ihr Leben in der eiskalten Jahreszeit eingerichtet haben. Mitunter meint man, in einen spektakulären Naturfilm geraten zu sein, gäbe es da nicht die geheimnisvolle Geschichte um Eia und ihre Familie – und das handfeste Abenteuer um einen geldgierigen Mann, der rücksichtslos die Bäume abholzen will und damit die Heimatstatt von Tier und Mensch bedroht.
Alles beginnt damit, dass Eia regelrecht abgeschoben wird. Das aufgeweckte, zeichnerisch begabte Mädchen wohnt in der Stadt, verkauft seine schönen Tierbilder auf einem Weihnachtsmarkt und beobachtet wehmütig Kinder, die mit ihren Eltern unterwegs sind. Nichts wünscht sich Eia mehr als ein Beisammensein mit ihren eigenen Eltern, die aber beruflich stark eingebunden sind und, wieder einmal, keine Zeit für sie haben. Gegen den Willen des Vaters schickt ihre Mutter sie kurz vor Weihnachten aufs Land, zu einem alten Mann, den sie gar nicht kennt. Doch Eia ist neugierig und nimmt selbstbewusst die Herausforderung an. Schnell lernt sie freundliche Menschen kennen, die sie vorbehaltlos in ihre Gemeinschaft aufnehmen und ihr das bieten, was sie so vermisst: Zuwendung, Freundschaft und ein familiäres Beisammensein, egal, ob beim Backen und Kochen, Essen und Feiern oder bei Gesprächen. So ist Eia bestens gewappnet für gleich zwei Abenteuer: Einerseits lüftet sie Schritt für Schritt das Geheimnis in ihrer Familie, bei dem es um einen alten Streit zwischen ihrem Vater und ihrem Großvater geht, andererseits entdeckt sie im Wald eine besondere Eule. Dank der Rückkehr der seltenen Eulenart könnte der Wald unter Schutz gestellt werden.
Der Film ist eine Wohltat fürs Auge: Endlich wieder einmal ein vorweihnachtlicher Kinder- und Familienfilm mit echter Landschaft, mit echtem Schnee und echten Tieren! Die warmherzig erzählte Geschichte entstand in Estland, das nicht nur für seine alte Weihnachtstradition berühmt ist, sondern auch für die Leidenschaft seiner Bewohner*innen fürs Kino. Jedes Jahr werden hier nur wenige Filme hergestellt, und doch ist immer mal wieder auch ein Kinderfilm darunter. Da in Estland zugleich nur wenige Kinos existieren (von denen kaum mehr als zwei Hände voll das ganze Jahr geöffnet haben), müssen die Filme ins Ausland verkauft werden und auch dort verständlich sein. Wohl deshalb wurden die estnischen Weihnachtstraditionen ein wenig zurückgedrängt, was aber den Vorzug hat, dass man auch hierzulande problemlos das Fest nachvollziehen kann. Regisseurin Anu Aun wiederum ist in ihrer Heimat sehr bekannt: Nach zwei vielbeachteten Kurzfilmen entstand 2016 ihr erster langer Kinofilm „The Polar Boy“. Das Drama um einen Fotografen mit bipolarer Störung war für sie eine Herzensangelegenheit, und vielleicht kommt nicht ganz von ungefähr auch in ihrem ersten Kinderfilm eine Fotografin vor: Diese wird von Liis Lemsalu gespielt, einer in Estland berühmten Sängerin.
Vieles an dieser winterlichen Geschichte ist märchenhaft. Es geht um Menschen, denen es materiell gut geht und die eine schicke Stadtwohnung oder geräumige Bauernhäuser haben, einen Wohlstand, für den Eias Eltern ihre ganze Zeit opfern, während die Landbewohner*innen ihren Lebensrhythmus beibehalten haben. Freundlich und solidarisch rücken sie zusammen, sind dankbar für die Natur, die sie umgibt und mit der sie einvernehmlich leben. Dies mag mitunter allzu idyllisch erscheinen, ist aber ein schönes Wunschbild, dem man durchaus gerne nachhängt. Stimmungsvoll verdichtet der Film die Schönheit des estnischen Winters zu einem Loblied nicht nur auf eine unberührte Natur, sondern auch auf ein intaktes Miteinander der Menschen in Freundschaft und Familiensinn. Getragen von Eia als sympathischer, selbstbewusster Heldin, geht es dabei gleich im doppelten Sinn um Naturschutz und Nachhaltigkeit: Die Menschen müssen sowohl mit der Natur als auch miteinander fürsorglich und verantwortungsvoll umgehen.
Horst Peter Koll
Eia Joulud Tondikakul - Estland 2019, Regie: Anu Aun, Kinostart: 02.12.2021, FSK: ab 0, Empfehlung: ab 7 Jahren, Laufzeit: 98 Min. Buch: Anu Aun. Kamera: Heiko Sikka. Musik: Sten Sheripov. Schnitt: Margo Siimon. Produktion: Kinosaurus Film/Luxfilm. Verleih: Justbridge/24 Bilder. Darsteller*innen: Paula Rits (Eia), Siim Oskar Ots (Ats), Liis Lemsalu (Jete), Jaan Rekkor (Ott), Märt Pius (Moorits), Priit Voiugemast (Oskar) u. a.
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