Little Women
Greta Gerwig hat die Vorlage von Louisa May Alcott über vier Schwestern feinfühlig-mitreißend inszeniert.
Mit „Little Women“ beschreitet die als Schauspielerin bekannt gewordene Filmemacherin Greta Gerwig neue Wege. War die 36-jährige Kalifornierin einst eines der Gesichter der auf Improvisation und Ungeschliffenheit setzenden Mumblecore-Bewegung im US-Independent-Kino, wagt sie sich nun an die Adaption eines bereits mehrfach verfilmten Romanklassikers. Nach ihrer ersten komplett eigenständigen Regiearbeit, der hochgelobten und preisdekorierten Tragikomödie „Lady Bird“ (2017), weckt ein solcher Schritt durchaus Befürchtungen. Immerhin haben schon viele junge Leinwandkünstler*innen beim Wechsel zu größer budgetierten Werken ihren persönlichen Stil eingebüßt und sich den Hollywood-Konventionen unterworfen. Gerwig bringt es allerdings fertig, hochemotionales, stargespicktes Ausstattungskino mit klugen gesellschaftlichen Beobachtungen zu verbinden.
„Little Women“ basiert auf dem gleichnamigen autobiografisch gefärbten Buch von Louisa May Alcott, das ursprünglich in zwei Bänden veröffentlicht wurde. Im Zentrum des Films steht die nach Unabhängigkeit strebende Jo March, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts als Lehrerin und angehende Schriftstellerin durchschlägt, während sich ihre drei Schwestern in andere Richtungen entwickelt haben. Meg, die Älteste im Bunde, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Nesthäkchen Amy möchte Malerin werden und reist mit ihrer wohlhabenden Tante durch Europa. Die schon immer etwas ruhigere und kränkliche Beth wiederum erleidet einen schweren gesundheitlichen Schlag, was Jo dazu bewegt, nach Hause zurückzukehren. Durchbrochen wird diese Erzählebene regelmäßig von Rückblenden, die dem Publikum vor Augen führen, wie es den jungen Frauen sieben Jahre zuvor ergangen ist, als sie alle noch unter einem Dach zusammenwohnten. Die in der chronologisch ablaufenden Vorlage nicht auftauchenden Zeitsprünge geben der Coming-of-Age-Story eine erfrischende Dynamik und lenken das Augenmerk noch stärker auf manche charakterliche Entfaltungen. „Little Women“ folgt keinen starren dramaturgischen Regeln, sondern greift einzelne Episoden aus dem Leben und Aufwachsen der vier March-Schwestern heraus. Alltägliche Momente spielen dabei ebenso eine Rolle wie markante Erfahrungen in Sachen Liebe und schmerzhafte Ereignisse.
Mit spürbar großer Wärme blickt Gerwig auf die grundverschiedenen Protagonistinnen und schenkt jeder von ihnen einprägsame Augenblicke. Besonders stark ist etwa eine Szene, in der Meg kurz vor ihrer Hochzeit der Partnerschaften ablehnenden Jo entgegenhält, dass ihr Weg zum Glück nur einer von vielen sei und sie andere Lebensentwürfe nicht verteufeln dürfe. Gleichzeitig unterstreicht der Film den begrenzten Spielraum, der Frauen in der damaligen Gesellschaft zugestanden wurde. So scheint es für die Tante der Schwestern nur ein Gebot zu geben: Ihre Nichten müssen wohlhabend verheiratet werden. Erhellend sind zudem die Gespräche zwischen Jo und ihrem Verleger, die zeigen, wie sehr männliche Vorstellungen den Literaturbetrieb bestimmten. Sollte sich eine ihrer Erzählungen um eine Heldin drehen, gäbe es nur zwei Möglichkeiten, die Geschichte zu beenden: entweder durch eine Hochzeit oder den Tod der weiblichen Hauptfigur. Jos Ringen um Selbstbestimmung und ihre Auflehnung gegen soziale Normen trägt die vollkommen zu Recht für einen Oscar nominierte Saoirse Ronan mit ansteckendem Eifer vor, lässt hinter der kämpferischen Fassade aber auch eine berührende Verletzlichkeit aufblitzen.
Überhaupt zählen die Darbietungen des prominent besetzten Ensembles neben Gerwigs behutsamer Inszenierung zu den besonderen Stärken der Romanadaption. Selbst Passagen, die ganz große Gefühle heraufbeschwören, wirken trotz der manchmal etwas zu präsenten Musik kein bisschen kitschig oder verlogen. Wahrhaftig und herzzerreißend ist beispielsweise eine offenbarende Begegnung zwischen Jo und ihrem Verehrer Laurie (Timothée Chalamet). In einem Dialog erfährt man zwar schon früh, dass sie dem Nachbarsjungen einen Korb gegeben hat. Wird diese Zurückweisung später bildlich nachgereicht, trifft sie einen dank des eindringlichen Spiels dennoch mit voller Wucht.
Eine spannende Überraschung hält Gerwigs Drehbuch kurz vor Schluss bereit. Genau dann, als die Geschichte in süßliche Hollywood-Muster zu verfallen droht, enthüllt die Regisseurin eine zweite Ebene und bricht damit die klischeehaften Geschehnisse wieder auf. Ein gewitzter Schachzug, der den feinfühlig-mitreißenden Einblick in das Leben der vier March-Schwestern perfekt abrundet.
Christopher Diekhaus
USA 2019, Regie: Greta Gerwig, Kinostart: 30.01.2020, FSK: ab 0, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 135 Min. Buch: Greta Gerwig, basierend auf Louisa May Alcotts gleichnamigem Roman. Kamera: Yorick Le Saux. Musik: Alexandre Desplat. Schnitt: Nick Houy. Produktion: Amy Pascal, Denise Di Novi, Robin Swicord. Verleih: Sony. Darsteller*innen: Saoirse Ronan (Jo March), Emma Watson (Meg March), Florence Pugh (Amy March), Eliza Scanlen (Beth March), Timothée Chalamet (Theodore „Laurie“ Laurence) u. a.
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