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Psychobitch

Auf MUBI: Martin Lund variiert wahrhaftig und lebensnah bekannte Jugendfilmmuster und erzählt über Rollenbilder und Außenseiter.

Die Neue in der Klasse ist nicht nur anders, sie ist gestört. Frida ist eine „Psychobitch“, da sind sich alle einig. Sie hat einen Selbstmordversuch hinter sich, turnt mitten am Tag auf dem Schuldach herum und legt sich mit allen an, egal ob Klassenlehrer oder tratschende Mitschülerinnen. „Die will doch nur Aufmerksamkeit“ oder „die kann einem leid tun“, das denken die anderen von ihr, keiner will mit ihr zu tun haben.

Marius unterdessen ist nicht nur überall beliebt, er ist auch Musterschüler und der Beste im Skilanglauf. Ein netter Junge, der es immer allen recht machen will. Er reinigt das Schulklo, nur damit das Mädchen nach ihm nicht denkt, er hätte es verschmutzt. Sein Vater prahlt mit ihm, wo er nur kann. Die Lehrer*innen schicken ihn vor, wenn es kompliziert wird. Und so landet Marius mit der neuen Psycho-Mitschülerin in einer Arbeitsgruppe und sein Pausenbrot – platsch - an der Fensterscheibe. Denn zwischen sich verrückt verhalten und mitleidvoll als Verrückte behandelt zu werden, dazwischen liegen für Frida Welten.

Außenseiterin verliebt sich in populären Schönling, wodurch dieser ein besserer Mensch wird, „Bad Boy“ bekommt das beliebteste Mädchen, das endlich aus sich herauskommt – Liebesgeschichten dieser Art wurden schon etliche Male im Jugendfilm variiert. Schwer vorstellbar, dass dieses Sujet noch um eine neue, originelle Note bereichert werden kann. Dem norwegischen Drehbuchautor, Schauspieler und Regisseur Martin Lund gelingt das Kunststück. Und das ganz unaufgeregt, ohne großartige Bilder oder wilde Schnitte, kunstvolle Rückblenden oder andere um Aufmerksamkeit buhlende Gestaltungsmittel. Ihm gelingt es mit wahrhaftigen, lebensnahen Dialogen und mit seinen beiden jugendlichen Hauptfiguren, die in jeder Szene überzeugen. Kein Schlagabtausch wirkt gekünstelt und hinter jedem Satz der beiden schlummert ein viel größeres Gefühl, ob Abgrund, echtes Mitgefühl oder Verliebtheit. Interessant ist das Ungesagte, das irgendwo immer mitschwingt.

Lund überträgt zudem einfache Bilder wortwörtlich in seine Geschichte. Was bedeutet es für einen überaus beliebten Schüler, im wahrsten Sinne des Wortes aus der Reihe zu tanzen? Ist das vielleicht viel schwieriger, als immer zu rebellieren und die „Bad-Ass-Rolle“ zu bedienen, also als der Weg, für den sich Frida entschieden hat? Sind beide vielleicht ebenso einsam in den ihnen zugeschriebenen Rollen, die sich im Laufe der Zeit verselbständigen? So sehr, dass Marius komplett den Überblick verliert, Dinge tut, die er eigentlich gar nicht tun will und irgendwann gar nicht mehr weiß, was wirklich zählt. Was bedeutet es, normal zu sein? Diese Frage bricht aus beiden auf dem Höhepunkt ihres Konfliktes heraus. Denn so sehr sie anfangs aneinander geraten bis hin zu einer kleinen Schlägerei, so schnell ist beiden klar, dass sie sich stark zueinander hingezogen fühlen. Ist es wirklich normal, jedem Druck von außen nachzugeben, so wie es Marius macht? Ist Konformität um jeden Preis erstrebenswert? Ist es normal, mit einem Mädchen zu schlafen, nur weil die Jungs es erwarten und die beste Freundin ein Treffen arrangiert? Und: Was ist der Unterschied zwischen „flachlegen“ und „Liebe machen“ – wie es Mitschüler Rachid als einziger bemerkt?

Frida ist schwierig und eine Herausforderung. Sie ist sprunghaft und vorlaut und unberechenbar. Sie bringt Marius in ernste Schwierigkeiten, aber sie hat durch ihre Außenseiter-Brille auch einen sezierenden Blick auf das, war alle anderen als gegeben hinnehmen ohne es in Frage zu stellen.

Auch wenn die beiden Liebenden viele Dinge nicht aussprechen, sie sagen es mit ihren Blicken, Gesten, mit dem, was sie nicht sagen, und mit all den anderen Worten, die sie sich gegenseitig an den Kopf knallen. Nebenbei bekommen auch die überfürsorglichen Eltern und überkorrekten Lehrer*innen ihr Fett weg, denn gut gemeint ist bestimmt nicht automatisch gut.

Obwohl der Jugendfilm im dauerverschneiten Norwegen spielt, könnte die Geschichte überall auf der Welt passieren. Regisseur Martin Lund ist in seinem Heimatland kein Unbekannter. Mit „Knerten traut sich“ landete er 2010 einen großen Hit an der Kinokasse, „The Almost Man“ (2012) wurde international ausgezeichnet. Außerdem verantwortet er die in 40 Länder verkaufte Serie „The Games“ (2013-2014). Der berührende Jugendfilm „Psychobitch“ lief erfolgreich auf Festivals und ist auf MUBI nun mit deutschen Untertiteln zu entdecken, die dem Filmgenuss wegen der tollen jungen Darsteller*innen keinen Abbruch tun.

Christiane Radeke

 

© MUBI
13+
Spielfilm

Psychobitch - Norwegen 2019, Regie: Martin Lund, Homevideostart: 15.09.2021, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 13 Jahren, Laufzeit: 109 Min. Buch: Martin Lund. Kamera: Adam Wallensten. Musik: Nils Martin Larsen. Schnitt: Christoffer Heie. Produktion: Geir Henning Eikeland, Isak Eymundsson. Anbieter: Mubi. Darsteller*innen: Jonas Tidemann (Marius), Elli Rhiannon Müller Osborne (Frida), Saara Sipila-Kristoffersen (Lea), Mohammad Benmoussa (Rachid), Jannike Kruse (Hanne) u. a.

Altersempfehlung 10-13 Jahre

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