Glitzer & Staub
Vier Mädchen und junge Frauen behaupten sich in der männerdominierten Rodeowelt. Ein spannender, visuell starker Dokumentarfilm.
Großer Cowboyhut, Sporen an den Stiefeln, ein entschlossener Blick und dann rauf auf den Bullen und solange oben bleiben wie möglich. Es ist die neunjährige Ariyana, von der wir hier sprechen, nicht ein erwachsener Rodeoreiter, wie man vermuten könnte. Seit sie denken kann, ist Ariyana davon begeistert, Bullen zu reiten. Es macht nichts, wenn sie immer wieder heruntergeworfen wird, das gehört dazu, Hauptsache sie hält sich ein Paar Bocksprünge lang auf dem Rücken des mächtigen Tieres. Neben Ariyana lernen wir noch drei weitere Mädchen kennen, die der Faszination Rodeo erlegen sind und die versuchen, sich in dieser rauen Männerwelt zu behaupten.
Die Regisseurinnen Anna Koch und Julia Lemke hatten 2016 bereits gemeinsam „Schultersieg“ realisiert, eine Dokumentation über Ringerinnen. Nun sind sie durch die USA gereist und haben sich von der Begeisterung der Cowgirls anstecken lassen. Es sind die öden Landstriche von Bundesstaaten wie Texas und Arizona mit dem Navajo Reservat, wo sie ihre Protagonistinnen gefunden haben.
Rodeoreiten ist ein Breitensport für alle sozialen Schichten, wir lernen im Film aber Mädchen aus den eher benachteiligten Bevölkerungsgruppen kennen, die sich das Benzingeld und die Startgebühren für die Wettbewerbe zusammensparen müssen, denn mit diesem Sport verdient man zunächst einmal nichts. Aber die Mädchen haben einen unglaublichen Willen und schrecken auch vor möglichen Verletzungen nicht zurück. „Ignorier’ die Schmerzen, niemand sonst reitet mit einem gebrochenen Fuß“, sagt einmal Ariyanas Vater zu seiner Tochter, bevor sie auf den Bullen steigt.
Trotz dieser offensichtlichen Härte hat man nie das Gefühl, dass die Mädchen von den Eltern gezwungen würden, an den Rodeowettkämpfen teilzunehmen. Sie können jederzeit aufhören – so wie die 15-jährige Altraykia, die in dem Navajo Reservat lebt und gemeinsam mit ihrer zwei Jahre älteren Cousine zu den Turnieren fährt. Sie hat nach einer schweren Verletzung einfach genug.
„Glitzer & Staub“ erzählt im Subtext viel über eine Kultur, die für hiesige Verhältnisse unbegreiflich und fremd erscheint. Die Mädchen haben den amerikanischen Traum nach Erfolg und Selbstverwirklichung so verinnerlicht, dass für sie der Einzug in die Männerdomäne Rodeo der Beweis ihrer Durchsetzungskraft ist. Einmal bis ganz nach oben kommen in der Organisation der „Professional Bull Riders‟, wohin es noch keine Frau geschafft hat.
Das Hantieren mit dem Lasso, Traktor fahren oder Kälber einfangen – sie können sich kein anderes Leben vorstellen. Die Prärie ist der Teil Amerikas, den man nicht so häufig zu sehen bekommt wie die großen Städte oder die tristen Industrieorte. Das ist einerseits Cowboy-Land mit dem Gefühl der Freiheit, andererseits leben hier die Abgehängten. Also kämpfen die Mädchen an zwei Fronten: gegen den männerdominierten Sport und gegen die vorherrschende Diskriminierung gegen Minderheiten. Es ist die zehnjährige Maysun, die vom Mobbing in ihrer Schule berichtet, wo sie als Cowgirl dem Spott ausgesetzt ist. Ihre Mutter erwidert, ein Cowgirl lässt sich nicht unterkriegen, sondern geht seinen eigenen Weg.
Die Kamera fängt die Faszination dieser Cowboy-Tradition prägnant ein. Sie kommt den Körpern der Bullen oft bedrohlich nahe, dem dampfenden Fell und den gewaltigen Hörnern, hörbar kommentiert von dem wütenden Schnauben der eingepferchten und verängstigten Tiere. Auch die Mädchen werden in Detailaufnahmen eingefangen. Wie sie ihre Gurte schnüren, die Stiefel anziehen oder der schmale Kopf unter dem großen Stetson versinkt, auf Ariyanas Gürtel steht „never scared“. Dann wieder weitet sich der Blick und wir sehen die staubige Landschaft mit ihren meist ärmlichen Behausungen – nur Maysuns Eltern besitzen eine große Ranch. Die Mädchen trainieren fleißig auf waagrecht gelegten Fässern, die als Bullenrücken dienen und von Familienangehörigen wild geschaukelt werden, bis die Cowgirls abstürzen. Es ist eine Welt, die uns fremd ist, und deshalb ist dieser Film so unglaublich spannend. Er nimmt Themen wie Gendergerechtigkeit, Rassismus und den amerikanischen Traum ganz nebenbei in den Blick, einfach weil er über vier Mädchen berichtet, die eine Passion haben. Wie die Menschen hier mit den Tieren umgehen, ist dabei ein weiterer Nebenschauplatz. Bullen, Pferde oder Kälber sind wie Feinde, die zu zähmen die große Leidenschaft der Menschen zu sein scheint und an denen man seine ganze Dominanz unter Beweis stellen kann. Es sei denn, der Stier tritt zurück und bringt seine Peinigerin ins Krankenhaus.
Katrin Hoffmann
Glitzer & Staub - Deutschland 2020, Regie: Anna Koch, Julia Lemke, Kinostart: 29.10.2020, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 10 Jahren, Laufzeit: 93 Min. Buch: Anna Koch, Julia Lemke. Kamera: Julia Lemke. Musik: Peta Devlin & Thomas Wenzel, Paul Eisenach. Schnitt: Carlotta Kittel. Produktion: Katharina Bergfeld, Martin Heisler. Verleih: Port au Prince Pictures. Mitwirkende: Ariyana Escobedo, Altraykia Begay, Tatyanna Shorty Begay, Maysun King u. a.
Altersempfehlung 10-13 Jahre
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