Kritiken > Filmkritik
Kritiken > Altersempfehlung 14-18 Jahre > Ein leichtes Mädchen

Ein leichtes Mädchen

Was soll Naïma mit ihrem Leben anfangen? Ein vielschichtiger Coming-of-Age-Film vor der schönen Kulisse Südfrankreichs.

Die 16-jährige Naïma (eindrucksvoll: die Debütantin Mina Farid) ist an der Côte d’Azur in Cannes zu Hause, wo der Alltag von der Tourismusbranche beherrscht wird, ihre Mutter arbeitet als Zimmermädchen in einem Luxushotel. Gerade ist Ferienzeit, die Straßen sind voller schöner und kultivierter Menschen. Doch das Mädchen nimmt vom mondänen Leben der Reichen wenig wahr, Naïma lebt in der Parallelwelt der dienstleistenden Schicht, in deren Wohnungen man auf tristen Balkons sitzt und auf Bahngleise starrt. Soeben hat sie die Schule abgeschlossen, aber noch keine Pläne für die Zukunft. Überhaupt ist ihr Radius ziemlich eingeschränkt, Naïma ist eben keine weltgewandte junge Dame. So ist sie sich nicht einmal im Klaren darüber, wie nah Italien liegt, wohin man einen Ausflug machen könnte.

Als die ältere Cousine Sofia (mit Raffinement dargebotenes Debüt der illustren Zahia Dehar, die als minderjährige Escortdame in einen Sex-Skandal verwickelt war) aus Paris zu Besuch kommt, eröffnet dieseNaïma eine völlig fremde Welt, die sie magisch anzieht. Mit Vergnügen und aus Lust am Entdecken schließt sie sich der Cousine an. Plötzlich eine Chanel-Handtasche oder eine imposante Uhr am Arm zu tragen, macht Laune und hinterlässt Eindruck. Mit großem Interesse beobachtet sie, wie sich ihre Cousine stylt. Es braucht enormen Aufwand, ihre Schönheit ist das Produkt harter Arbeit und künstlich hergestellt. Durch Operationen hat sich Sofia ‚selbst optimiert’, sie stellt ihre Reize freizügig aus: eine stolze, junge Frau mit sinnlich aufgeworfenen Lippen, samtiger Stimme und ‚perfekten’ Brüsten. Schon von fern zieht sie die Blicke reicherer, älterer Männer auf sich, verführt sie und lässt sich von ihnen aushalten. Sofia genießt diese lustvollen Abenteuer, ihr ‚Ruf’ kümmert sie überhaupt nicht. So darf Naïma mit der Cousine einige Zeit auf einer pompösen Yacht des brasilianischen Multimillionärs und Lebemanns Andres und seines Assistenten Philippe verbringen. Dabei macht sie aber auch Bekanntschaft mit den hässlichen Angewohnheiten dieser Schicht, deren Langeweile und Launen man ausgeliefert ist.

Rebecca Zlotowski hat eine wunderbar stimmige Feriengeschichte geschaffen, die beim diesjährigen Filmfestival in Cannes in der Sektion Quinzaine des Réalisateurs ausgezeichnet wurde. Die Atmosphäre bezaubert durch ihre Musikalität, sie ist geschmackvoll fotografiert, womit sie zugleich die Lebensmaxime von Sofia und des Millionärs Andres sinnlich illustriert: Schönes ist dazu da, es zu genießen. Gleichzeitig gelingt es der Filmemacherin, sich dabei existentiellen Fragen junger Menschen zu widmen, aber auch zu provozieren. Naïma weiß noch nicht, wozu sie beruflich befähigt ist und ob sie eine Ausbildung machen will. Dieser Entscheidung weist Zlotowski aber zentrale Bedeutung zu und hebt zugleich auf deren Unwägbarkeiten ab. An den Anfang ihrer Geschichte hat sie eine unbequeme Erkenntnis des Mathematikers und Philosophen Blaise Pascal gestellt: „Das Wichtigste im Leben ist die Wahl eines Berufs. Der Zufall entscheidet darüber.“ Nicht nur Sofias Lebenswandel, der ja in gewisser Weise auch Arbeit bedeutet, könnte Naïma als Vorbild dienen, genauso gut könnte sie einen Beruf wie Assistent Philippe ergreifen, der sich selbst für einen Kultursklaven hält. Zlotowski macht nun deutlich, dass deren Form von Arbeit große Abhängigkeiten schafft, von feudalen Strukturen und Willkür durchzogen ist. Präzise spürt die Regisseurin die „feinen Unterschiede“ im Sinne Pierre Bourdieus in dem Beziehungsgeflecht des Millionärs auf, in das Sofia als Kapital ihren schönen Körper einbringt und Philippe seine kulturelle Bildung. Andres ist über Moral, über jede Art von Regeln erhaben, mit Geld kann er sich alles leisten. Er will unterhalten sein, Menschen dienen zur Befriedigung seiner Lust oder demonstrieren seine Potenz. Als er Sofia überdrüssig ist, wird sie als Diebin beschuldigt und einfach vom Boot gejagt. Danach legt er mit seiner Yacht ab und wendet sich neuen Abenteuern zu. Durch diese Erfahrung gereift, weiß Naïma genau, welchen Beruf sie ergreifen will. Der ist jetzt selbstgewählt.

Heidi Strobel

 

 

© Alamode/Wild Bunch
16+
Spielfilm

Une fille facile - Frankreich 2019, Regie: Rebecca Zlotowski, Kinostart: 12.09.2019, FSK: ab 16, Empfehlung: ab 16 Jahren, Laufzeit: 92 Min. Buch: Rebecca Zlotowski, Teddy Lussi-Modeste. Kamera: Georges Lechaptois. Schnitt: Géraldine Mangenot. Produktion: Frédéric Jouve. Verleih : Alamode/Wild Bunch Darsteller*innen: Mina Farid (Naïma), Zahia Dehar (Sofia), Benoît Magimel (Philippe), Nuno Lopes (Andres), Clotilde Courau (Calypso) u. a.

Ein leichtes Mädchen - Ein leichtes Mädchen - Ein leichtes Mädchen - Ein leichtes Mädchen - Ein leichtes Mädchen -

Altersempfehlung 14-18 Jahre

» Der schöne Sommer

» Samia

» Tiger

» Nicht eine mehr

» Gasoline Rainbow

» Dead Boy Detectives

» Boy

» Our Eternal Summer

» Berlin Bytch Love

» Mein Sommer mit Irène

» Ellbogen

» Norwegian Dream

» Maboroshi

» Animalia

» How To Have Sex

» Die Sirene

» Reservation Dogs – Season 3

» Dead Girls Dancing

» Elaha

» Bottoms

» Forever

» Tori & Lokita

» Sorcery

» Sex Education – Staffel 4

» L‘amour du monde – Sehnsucht nach der Welt

» Water Lilies

» Boyz

» Fanfic

» Suzume

» The Ordinaries

» Sara Mardini – Gegen den Strom

» Sonne und Beton

» We Will Not Fade Away

» Girls Girls Girls

» Wann wird es endlich wieder so wie es nie war

» Die Fabelmans

» Reservation Dogs – Season 2

» Kalle Kosmonaut

» Goodbye, Don Glees!

» Sonne

» Wednesday

» Die Schwimmerinnen

» Beautiful Beings

» High School

» The Sleeping Beast

» Märzengrund

» Sing a Bit of Harmony

» Stranger Things 4

» North Hollywood

» Belle

» Nico

» 1 Meter 20

» Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann

» Kind Hearts

» Soul of a Beast

» Platzspitzbaby – Meine Mutter, ihre Drogen und ich

» Lingui – Heilige Bande

» Reservation Dogs

» Dear Future Children

» Happiness

» Everbody’s Talking About Jamie

» Sex Education – Staffel 3

» Je suis Karl

» Ein nasser Hund

» Räuberhände

» CODA

» Freda

» Lola und das Meer

» Sommer 85

» Frühling in Paris

» Sweet Tooth

» Shadow Game

» Things We Dare Not Do

» Invincible

» Fighter

» Ninjababy

» Une colonie

» We are who we are

» Moxie. Zeit, zurückzuschlagen

» Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (2021)

» Jugend

» Port Authority

» Stichtag

» Sechzehn Stunden Ewigkeit

» Eighth Grade

» Yes, God, Yes – Böse Mädchen beichten nicht

» Wildherz – Auf der Reise zu mir selbst

» Und morgen die ganze Welt

» Lovecut

» Grand Army

» Zombi Child

» Mein etwas anderer Florida Sommer

» Milla Meets Moses

» Niemals Selten Manchmal Immer

» Futur Drei

» Nackte Tiere

» Mulan (2020)

» Yalda

» Normal People

» Gretel & Hänsel

» All die verdammt perfekten Tage

» Sunburned

» Weathering With You – Das Mädchen, das die Sonne berührte

» I’m no longer here

» Home Before Dark

» Monos – Zwischen Himmel und Hölle

» Away – Vom Finden des Glücks

» Sommerkrieg

» Acasă, My Home

» Scheme Birds

» All Day and a Night

» Children Of The Sea

» Giant Little Ones

» I Am Not Okay With This

» Sweet Thing

» Jumbo

» Notre-Dame du Nil

» Little Women

» Crescendo

» Auerhaus

» Ich habe meinen Körper verloren

» Liz und der blaue Vogel

» Nevrland

» Zwischen uns die Mauer

» Harajuku

» Systemsprenger

» Ein leichtes Mädchen

» Paranza: Der Clan der Kinder

» Don’t Give a Fox

» Stranger Things 3

» Drei Schritte zu dir

» Orangentage

» Roads

» The Sun is also a Star

» mid90s

» The Hate U Give

» Stupid Young Heart

» Der verlorene Sohn

» Rekonstruktion Utøya

» Club der roten Bänder – Wie alles begann

» Raus

» Verlorene

» Yuli

» Mary Shelley

» Mellow Mud

» Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot

» Fünf Dinge, die ich nicht verstehe

» Schwimmen

» Blue My Mind

» Girl

» Schmeißt die Schlampe in den Fluss

» Winterfliegen

» Ava

» Der wilde Planet

» I Kill Giants

» Genesis

» Letztendlich sind wir dem Universum egal

» 303

» Love, Simon

» Your Name

» Mustang

» Bande de Filles

» Persepolis

» Fucking Åmål