Dead Boy Detectives
Auf Netflix: Zwei Geisterdetektive, ein Medium und viele rätselhafte Fälle. Erfrischend unkonventionelle Serie aus dem „Sandman“-Universum.
Der eine ist nach 70 Jahren irgendwie der Hölle entkommen, nachdem er dort gelandet war, weil eine „witzig gemeinte“ Opferung und Dämonenbeschwörung tatsächlich funktioniert hatten. Der andere musste wegen eines gewalttätigen Vaters die Hölle auf Erden durchleben und konnte bis zu seinem Tod einfach nichts tun, um das Leid von sich und seiner Mutter abzuwenden. Doch inzwischen haben Edwin und Charles als „Dead Boy Detectives“ eine Bestimmung gefunden, die ihnen inneren Halt gibt: indem sie andere Geister bei rätselhaften Fällen unterstützen – ob es nun darum geht, vermisste Personen wiederzufinden, einen Doppelmord aufzuklären oder die Ursache einer nicht enden wollenden Selbstmordreihe zu untersuchen. Oder um die anderen verrückten Dinge, die sonst noch um sie herum passieren.
Dabei bekommen sie direkt zu Beginn der Mystery-Serie ungewollt Unterstützung durch das junge Medium Crystal, das sie vor ihrem dämonischen Exfreund retten. Sich auf diesen einzulassen, hatte für Crystal böse Konsequenzen: So hatte der nämlich direkt mal ihren Körper übernommen. Endlich wieder bei Sinnen, aber ohne Erinnerung an ihre Vergangenheit bleibt Crystal erstmal bei den beiden Detektiven und hilft mit, während sie die Geschehnisse aufzuarbeiten versucht. Edwin ist ihre Anwesenheit zunächst ein Dorn im Auge – schließlich ist Crystal keine Detektivin und darüber hinaus äußerst vorlaut.
Doch der Handlungsverlauf macht schnell klar, dass hier Team-Denken und gegenseitige Unterstützung angesagt sind, auch wenn das die jahrzehntelang erprobte Arbeitsroutine durcheinanderwirbelt und die Dynamik zwischen den beiden Freunden ein bisschen ins Wanken bringt. Vor allem, weil sie plötzlich mit (emotionalen) Themen konfrontiert werden, die sie bislang tunlichst vermeiden konnten.
Gerade das macht eine große Stärke der Serie aus: dass es hier eben nicht nur um mysteriöse Abenteuer geht, sondern ebenso darum, sich den eigenen Ängsten und Traumata zu stellen und dabei als Mensch zu wachsen. Wenn du dir zum Beispiel nach Jahrzehnten eingestehst, dass du in deinen besten Freund verliebt bist – und das auch aussprichst –, stellst du vielleicht fest, dass sich das wider Erwarten ziemlich gut anfühlen kann. Ganz unabhängig davon, ob diese Liebe nun erwidert wird oder nicht. Wenn du die Grausamkeiten und das Ohnmachtsgefühl deiner Kindheit nicht mehr länger in dir wegsperrst und ständig die Gute-Laune-Maske aufsetzt, bis die negativen Gefühle dann doch genau im falschen Moment wieder hervorbrechen, kann das vielleicht ein guter Anfang sein, um endlich zu heilen. Und wenn du schließlich erkennst, warum du genau das tust, was du eben tust – worin dein innerer Antrieb besteht –, dann hast du die Chance, dein Leben so zu leben, wie es richtig für dich ist. Selbst wenn du eigentlich schon lange tot bist.
Im Kern ist „Dead Boy Detectives“ die Geschichte von zwei Jungen, die körperlich nie erwachsen werden durften, es aber innerlich schon sehr früh sein mussten. Die sich mutig in jeden Kampf stürzen, aber seit einer halben Ewigkeit nicht nur vor dem (endgültigen) Tod, sondern auch vor sich selbst davonlaufen. Und die erst im intensiven Kontakt mit den Lebenden lernen, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Wobei das ebenso für die Menschen und Wesen gilt, die ihren Weg kreuzen, um ein kurzes oder auch ein längeres Stück mitzugehen oder auf andere Weise im chaotischen Geplänkel mitzumischen. Hier haben alle ihr Päckchen zu tragen, sodass die Serie manchmal wie eine charmant-durchgeknallte Gruppentherapie mit mitunter explosiven Nebenwirkungen wirkt.
Natürlich gibt es auch auf der Story-Ebene viel zu erleben. So zeigt sich schnell, dass Crystals besondere Fähigkeiten nicht nur äußerst nützlich sind, wenn es darum geht, komplizierten Fällen auf den Grund zu gehen. Sie sind stellenweise sogar absolut lebensrettend. Zum Beispiel, als die Gruppe eine äußerst gefährliche, narzisstische und zudem unsterbliche Hexe gegen sich aufbringt oder als die Nachtschwester des „Lost and Found Departements“ alles daran setzt, die beiden Geisterdetektive wieder ihrem angedachten Platz im Jenseits zuzuführen. Da kann es definitiv nicht schaden, Freund*innen an der Seite zu haben, die wortwörtlich für dich durch die Hölle gehen würden. (Und dafür sogar ihren toxischen Exfreund um Hilfe bitten – auch wenn das prinzipiell keine so gute Idee ist.)
Die ganze Geschichte spielt sich übrigens im „Sandman“-Universum ab (Allan Heinberg, 2022), Gastauftritte von Death und Desperation inklusive – und basiert ebenfalls auf Comics von Neil Gaiman. Wie für den „Coraline“- und „American Gods“-Autor üblich sind auch hier viele kleine entdeckungsreiche Geschichten in eine größere Erzählung eingebettet. Unter anderem eine kurze Begegnung mit einem Mann, der offenbar als Einziger in dieser Serie kein Trauma mit sich herumträgt, sondern ganz mit sich selbst im Reinen ist – und das, obwohl er seit Ewigkeiten im Magen eines riesigen Fisches eingesperrt lebt.
Marius Hanke
Dead Boy Detectives - USA 2024, Regie: Lee Toland Krieger, Glen Winter, Cheryl Dunye, Andi Armaganian, Amanda Tapping, Richard Speight Jr., Pete Chatmon, Homevideostart: 15.05.2024, FSK: ab 16, Empfehlung: ab 16 Jahren, Laufzeit: 52 bis 57 Min. pro Folge, nach den Comics von Neil Gaiman, Musik: Blake Neely, Murat Selçuk, Produktion: Neil Gaiman, David Madden, Lee Toland Krieger, Jeremy Carver, Schwartz, Yockey, Sarah Schechter, Greg Berlanti, Leigh London Redman, Joanie Woehler, Carl Ogawa, Chris Pavoni, Kristy Lowrey, Joshua Conkel, Verleih: Netflix, Besetzung: George Rexstrew (Edwin), Jayden Revri (Charles), Kassius Nelson (Crystal), Yuyu Kitamura (Niko), Jenn Lyon (Esther Finch) u. a.
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