Winterfliegen
Entdeckt in Chemnitz: Zwei Jugendliche, die keine Anerkennung erfahren, treten eine Reise ins Ungewisse an. Trist und doch auch nicht ohne Hoffnung.
Fliegen in der Wohnung mitten im Winter können selbst für ausgewiesene Tierschützer mitunter zur Plage werden. Das Internet ist daher voll mit Ratschlägen, wie man die lästigen Quälgeister möglichst schnell wieder los wird. Wie sich hingegen eine leblose Fliege, die bereits alle Beine von sich streckt, mit Hilfe von Zigarettenasche wieder zum Leben erwecken lässt, erfährt man von dem 14-jährigen Protagonisten Mára (Marek) nur im Jugenddrama „Winterfliegen“. Es ist der dritte Spielfilm des in Slowenien geborenen und an der Prager Filmhochschule ausgebildeten Regisseurs und Comiczeichners Olmo Omerzu. Der Wiederbelebungsversuch hat natürlich seine symbolische Bedeutung. Denn der rebellische Außenseiter Mára glaubt genauso wie sein zwei Jahre jüngerer Freund Heduš, dass die Gesellschaft sie für überflüssig und sogar lästig wie Winterfliegen hält. Und so ganz genau wissen sie selbst nicht, ob daran etwas Wahres sein könnte. Mára jedenfalls will in einem gestohlenen alten Audi nichts wie weg und da sich sein pummeliger Freund nicht abschütteln lässt, machen sich beide unter dem Motto „Du und ich gegen den Rest der Welt“ mitten im unwirtlich kalten Winter auf den Weg nach Nirgendwo, um genau dort Abenteuer zu erleben.
Mára, der mit seinem geschorenen Kopf eher wie ein Hooligan aussieht, würde gerne ans Meer fahren und auf dem Weg dorthin seinen geliebten Großvater besuchen, der ihm als ehemaliger Kriegsheld zum Vorbild wurde. Heduš, allein schon in seinem Outfit auf Kampf und Selbstverteidigung geeicht, aber ansonsten mehr Kind als junger Mann, träumt von der französischen Fremdenlegion. Unterwegs retten sie einen Hund, den sein Besitzer im See ertränken wollte, weil er ihm zur Last fiel, und gabeln die schon etwas ältere Ausreißerin und Tramperin Bára auf, von der sie sich erste sexuelle Erfahrungen erhoffen. Natürlich kommt alles ganz anders und am Ende der Reise – nicht der Geschichte – wird Mára von der Polizei festgenommen und von einer Polizistin ausführlich verhört. Sie glaubt nicht daran, dass er alleine unterwegs war, und möchte etwas über den Verbleib der anderen Mitreisenden erfahren.
Das Verhör bildet das Handlungsgerüst, mit dem die Reise der Jugendlichen Stück für Stück rekonstruiert wird, wobei Mára sich nicht besonders kooperationsbereit zeigt. Es bedarf einiger Tricks und Erpressungen seitens der Polizei, um ihm die gewünschten Informationen zu entlocken, die „Winterfliegen“ dann in Parallelmontage aus der Perspektive der beiden Freunde in Bilder fasst. In einer Mischung aus Roadmovie und Coming-of-Age-Geschichte begleitet der Film seine jungen Protagonist*innen auf einer Reise durch ein Land, das wenig einladend wirkt und ihnen keine Zukunftsperspektiven aufzeigt, zumindest nicht in einem funktionierenden Lebensumfeld. Trotzdem endet der Film mit seinem offen Schluss nicht ohne Hoffnung, zumal die beiden Freunde sich offenbar aufeinander verlassen können. Und sie haben auch gelernt, was es bedeutet, Verantwortung für sich und für andere zu übernehmen.
Holger Twele
Všechno bude - Slowakei, Tschechische Republik, Slowenien, Polen 2018, Regie: Olmo Omerzu, Festivalstart: 07.10.2018, FSK: ab , Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 85 Min., Buch: Petr Pycha, Kamera: Lukáš Milota, Schnitt: Jana Vlčková, Musik: Šimon Holy, Monika Midriaková, Pawel Szamburski, Produktion: Jiri Konecny, Rok Bicek, Natalia Grzegorzek, Besetzung: Tomáš Mrvík (Marek), Jan František Uher (Heduš), Eliška Křenková (Bára), Zdenĕk Mucha, Lenka Vlasáková u. a.
Altersempfehlung 14-18 Jahre
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