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Junge Herzen

Entdeckt bei der Berlinale Kplus: Ein Blickwechsel, eine kleine Geste - und Elias' Gefühle fahren Achterbahn.

Inbrünstig und von sich selbst überzeugt trällert Luk Montero, der Vater des 14-jährigen Elias, bei einem Bühnenauftritt seinen Schlager über den Zauber der ersten Liebe. Er ist ein bekannter Entertainer und hat in seinem jüngeren Sohn und dessen Freundin Valerie seine größten Bewunderer. Und natürlich steht für den Vater längst fest, dass Elias und Valerie einmal ein Paar werden.

Es kommt jedoch ganz anders. Eines morgens blickt Elias aus dem Fenster und ein Junge in seinem Alter winkt ihm aus dem Nachbarhaus zu. Alexander heißt er, kommt aus Brüssel und ist mit seinem Vater und der kleinen Schwester Zoe zugezogen. Der Blickwechsel macht etwas mit Elias. Alexander geht in seine Klasse. Schnell freunden sich die beiden Jungen an. Über ihre künstlerischen Begabungen kommen sie sich näher. Elias kann zeichnen, Alexander beherrscht das Klavierspielen. Bei einem ersten gemeinsamen Ausflug an einen Fluss erwähnt Alexander, sich an Luks Song erinnernd, dass er schon einmal verliebt gewesen ist – in einen Jungen.

Für Elias ist diese Vorstellung irritierend. Auf dem Bauernhof von Elias' Großvater Fred lernt Alexander eine ihm bisher unbekannte neue äußere Welt kennen. Elias macht durch Alexander auch Neuentdeckungen. Immer stärker werden bei ihm Gefühle, mit denen er nicht gut umgehen kann. Bei einem gemeinsamen Badeausflug kommt es zu einem ersten Kuss. Elias' Gefühlschaos wächst und und er kann mit niemandem offen darüber reden. Er verhält sich plötzlich seltsam, wird sogar aggressiv. Hinzu kommt, dass Valerie mitbekommen hat, wie die beiden Jungen zärtlich miteinander umgehen. Da ist ein kleiner Tapetenwechsel angesagt. In Brüssel verbringen Elias und Alexander eine harmonische und glückliche Zeit miteinander. Kaum zurück in der Schule, verleugnet Elias allerdings seine Gefühle. Verzweifelt flieht er zu seinem Großvater, dem er sich schließlich anvertraut und der nachvollziehen kann, was in Elias vorgeht.
Auf einer gemeinsamen Wanderung in den Ardennen sprechen sich die beiden aus. Elias soll seinem Herzen folgen. Aber da müsste er erst über seinen Schatten springen. Ohnehin ist er fest davon überzeugt, dass alle böse auf ihn sind und seine Liebe zu Alexander nie akzeptieren würden … .

Der in der 2024er Berlinale-Sektion „Generation Kplus“ von der Kinderjury mit einer Lobenden Erwähnung bedachte Film beginnt wie eine leichte beschwingte Sommerkomödie, flott montiert und voller Humor. Überwiegend mit Handkamera gefilmt, bleibt diese in vielen Großaufnahmen und raschen Einstellungswechseln immer dicht an den Figuren.

Ganz aus Elias‘ Perspektive erzählt, gelingt die Visualisierung seiner widerstreitenden Gefühle, wobei auch mit Symbolen, Metaphern und sexuellen Anspielungen, die einem jungen Publikum vielleicht noch verschlossen bleiben, nicht gespart wird. Beide Jungen sind in ihren Rollen sehr gut besetzt, wobei Alexander sich im Unterschied zu Elias kaum entwickeln muss. Der weitaus schwierigere Part liegt bei Lou Goossens in der Rolle von Elias. Anfangs noch ganz seiner kindlichen Vorstellungswelt verhaftet, trifft ihn die Erfahrung der ersten Liebe besonders heftig. Er wird dabei zunehmend erwachsener und lernt, Verantwortung für sich und seine Gefühle zu übernehmen. Er beginnt auch, seinem völlig auf sich fixierten Vater endlich Paroli zu bieten, statt seinen Wünschen blindlings zu folgen und ihn weiter vorbehaltlos zu bewundern.

Ein insgesamt gelungener Coming-of-Age-Film über die Suche nach sexueller Identität, der im Unterschied zu vielen anderen Coming out-Geschichten relativ früh in der Pubertät einsetzt. Dass hier den Gefühlen und der wahrhaftigen Liebe – gerade im Bewusstsein teils noch vorhandener homophober Ressentiments - eine bedingungslose Priorität eingeräumt wird, ist absolut konsequent und bestärkend.

In seinem Langspielfilmdebüt nach einigen Kurzfilmen und Jugenddrama-Serien für das Fernsehen blickt der belgische Regisseur Anthony Schatteman auf seine eigene Biografie und seine einstige Unsicherheit über seine Sexualität zurück. Die biografischen Elemente sind außergewöhnlich dicht. Der fiktionale Film, dem man diese fast schon selbstquälerische Betroffenheit zum Glück nicht ansieht, spielt in seinem Heimatort, gedreht wurde an der Schule, in der Wohnung seiner Eltern, in der Straße, in der er einst wohnte und am gleichen Fluss, in dem er einst schwimmen ging. Und auch sein Vater arbeitete tatsächlich als Musiker und Entertainer. In diesem Bemühen um Authentizität, verbürgt durch detailreiche biografische Bezüge, zeigt sich die Dringlichkeit des Themas für den Autor und Regisseur. Schatteman bekundet, dass er glücklich gewesen wäre, hätte es in seiner Jugend bereits einen Film wie diesen gegeben. Seine offensichtliche Mission mit diesem Werk, die Fragen und Zweifel aus seiner eigenen Jugend wenigstens für andere junge Menschen in der heutigen Zeit zu beantworten, ist mehr als ehrenhaft. Sie vermag auch voll zu überzeugen, zumal es den universellen Charakter romantischer Liebe unterstreicht, der sich nicht auf die Liebe zwischen Mann und Frau reduzieren lässt. Lediglich das für ein junges Publikum besonders wichtige Happy-End des Films wirkt etwas aufgesetzt und allzu geschönt. Vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen setzt Schattemans auf diese Weise jedoch mit dem ausgiebigen Einsatz von Zeitlupenaufnahmen zum Ende ein Mut machendes Ausrufungszeichen.

Holger Twele

© Thomas Nolf
11+
Spielfilm

Young Hearts - Belgien, Niederlande 2024, Regie: Anthony Schatteman, Festivalstart: 19.02.2024, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 11 Jahren, Laufzeit: 97 Min., Buch: Anthony Schatteman, Kamera: Pieter Van Campe, Schnitt: Emiel Nuninga, Musik: Ruben De Gheselle, Produktion: Polar Bear, Verleih: Salzgeber, Besetzung: Lou Goossens (Elias), Marius De Saeger (Alexander), Geert Van Rampelberg (Vater Luk), Emilie De Roo (Mutter Nathalie), Dirk Van Dijck (Großvater Fred), Saar Rogiers (Natalie) u. a.

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