Wednesday
Auf Netflix: Eine morbide und skurrile Serie, die sich ganz auf die jugendliche Tochter aus der Addams Family konzentriert.
Sie ist anders. So viel steht schon nach wenigen Augenblicken fest. Wednesday Addams sticht in der Auftaktfolge mit ihren dunklen Klamotten aus der bunten Highschool-Welt heraus und zieht, wenn nötig, ganz schön krasse Saiten auf. Etwa, wenn ihr kleiner Bruder Pugsley mal wieder zur Zielscheibe der Jungs aus dem Schwimmteam wird. Ohne mit der Wimper zu zucken schmeißt die große Schwester den Bullys eine Ladung Piranhas ins Becken und beobachtet zufrieden, wie sich das Wasser blutrot einfärbt.
Prägnant führen Alfred Gough und Miles Millar, die Showrunner der Serie „Wednesday“, im Zusammenspiel mit Regisseur Tim Burton ihre ursprünglich aus dem Universum des Cartoonisten Charles Addams stammende Titelantiheldin ein. Seit ihrem ersten Auftauchen in den 1930er-Jahren hat es die betont skurrile, dem Morbiden und Abseitigen zugeneigte Addams Family schon mehrmals auf die große Leinwand oder den kleinen Bildschirm verschlagen. Zuletzt tauchte die Sippe in zwei Animationsfilmen auf, denen jedoch Biss und erzählerische Raffinesse fehlen.
Bekommen in diesen beiden Kinowerken alle zentralen Addams-Mitglieder ihren Raum, konzentriert sich „Wednesday“ voll und ganz auf die Teenagertochter, die ihrer Umwelt offen angewidert entgegentritt und irgendwie über den Dingen zu schweben scheint. Likes in den sozialen Netzwerken? Kein Interesse! Emotionen? Bloß Zeichen von Schwäche! Und feste Bindungen? Einfach nur anstrengend! All das, was andere junge Menschen umtreibt, ist Wednesday herzlich egal. In der Rolle der Einzelgängerin fühlt sie sich wohl, erfreut sich lediglich an schaurig-schrecklichen Umständen.
Ihre Ihr-könnt-mich-alle-mal-Haltung legt die Jugendliche auch dann nicht ab, als sie nach ihrer Piranha-Attacke von der Schule fliegt und von ihren Eltern Morticia und Gomez auf die altehrwürdige Nevermore Academy geschickt wird. Ein Internat für Außenseiter*innen, in dem sich unter anderem Werwölfe und Sirenen in Menschengestalt tummeln. Während Mama und Papa, die sich an eben diesem Ort kennen und lieben lernten, mit der Wahl neue Hoffnungen verknüpfen, plant Wednesday bereits kurz nach der Ankunft ihre Flucht. Eine mysteriöse Mordserie rund um die neue Schule und eine unheilvolle Prophezeiung durchkreuzen allerdings ihre Pläne. Was genau vor sich geht, möchte die vom Gruseligen faszinierte junge Frau dann doch herausfinden.
Keine Frage, wir haben es hier mit einer eigenwilligen, erfrischend widerspenstigen Hauptfigur zu tun. Wednesdays Kommentare sind beißend. Spott und Verachtung klingen in fast jeder Bemerkung an. Die Teenagerin ist selbstbewusst, kritisiert mehrfach die patriarchale Ordnung und macht in diesem Zusammenhang auch Morticia Vorwürfe, die sich brav und artig in die Rolle einer Ehefrau und Mutter begeben habe. Unsere Protagonistin hat eine seltsam anziehende Ausstrahlung. Auch und vor allem dank Jenna Ortega, die ihrer Darbietung genau die richtige Portion Arroganz beimischt. Ihre Blicke sind herrlich böse-abschätzend. Und auch das Timing in Wortduellen sitzt. Ebenso überzeugend transportiert die Schauspielerin Wednesdays menschliche Seite, die tief unter ihrer dunklen Seele – natürlich – irgendwo vorhanden ist. Nicht umsonst hilft die schlagfertige Einzelgängerin anderen Outcasts wie ihrem sensiblen Bruder Pugsley oder dem verspotteten Nevermore-Schüler Eugene, zu dem sie sogar eine Art Freundschaft aufbaut.
So faszinierend die Antiheldin in ihrem Auftreten auch sein mag – ab und an hätte ihre Souveränität durchaus ein paar Risse vertragen können. Zweifel blitzen gelegentlich auf. Meistens gewinnt Wednesday aber wieder sehr schnell die Kontrolle über die Situation und fertigt ihr Gegenüber mit Worten oder Taten ab.
Der zentrale Krimiplot, der mit Fantasy-, Mystery- und Horrorelementen angereichert ist, dreht sich um die Angst vor dem Unbekannten, den Hass auf Außenseiter*innen, die Unterdrückung von Frauen und die brutalen Anfänge der weißen Besiedlung Nordamerikas. Allesamt reizvolle Aspekte! Bis zur Hälfte erzeugt die achtteilige Serie allerdings keine überdurchschnittliche Spannung oder besonders ausgeprägte Gruselatmosphäre – trotz eines vorherrschenden Düsterlooks. Überhaupt fällt auf: Obwohl schräge und morbide Details im Kostüm- und Szenenbild auftauchen, erreicht „Wednesday“ nicht den verspielt-ausgefallenen Charme anderer Schauerwerke, an denen der hier für die ersten vier Episoden verantwortliche Tim Burton federführend beteiligt war. Als, zumindest kleine, Stimmungskiller erweisen sich ein eher comichaft-lächerlich aussehendes Monster und die plump inszenierten Visionen Wednesdays, die ihr bei der Lösung des Mordrätsels helfen. Ab der fünften Folge wird es aufregender und dramatischer. Zu einer echten Offenbarung reicht es am Ende jedoch nicht, da manche Enthüllungen nur mäßig überraschend sind. Allein wegen der unkonventionellen Hauptfigur und Ortegas starker Performance lohnt sich dennoch ein Blick. Was die Schwächen betrifft: Eine auf der Zielgeraden angeteaserte (bislang noch nicht bestätigte) zweite Staffel böte die Chance, an einigen Stellschrauben zu drehen.
Christopher Diekhaus
Wednesday - USA 2022, Regie: Tim Burton, Gandja Monteiro, James Marshall, Homevideostart: 24.11.2022, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 15 Jahren, Laufzeit: 46-57 Min. Buch: Alfred Gough, Miles Millar (Showrunner) nach den Figuren von Charles Addams. Kamera: Stephan Pehrsson, David Lanzenberg. Musik: Chris Bacon, Danny Elfman. Schnitt: Ana Yavari, Jay Prychidny, Paul G. Day. Produktion: Carmen Pepelea. Anbieter: Netflix. Darsteller*innen: Jenna Ortega (Wednesday Addams), Hunter Doohan (Tyler Galpin), Percy Hynes White (Xavier Thorpe), Emma Myers (Enid Sinclair), Joy Sunday (Bianca Barclay) u. a.
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