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Animal

Entdeckt bei „Lucas‟ und Young Audience Award 2022: Der Umweltdokumentarfilm übergibt zwei jugendlichen Klimaschützer*innen das Mikrofon.

2020 brachte die junge Kanadierin Slater Jewell-Kemker ihren Dokumentarfilm „Youth Unstoppable“ über die globale Jugend-Klimabewegung heraus. Da hatte sie sich vor und hinter der Kamera schon zwölf Jahre lang für den Klimaschutz engagiert. In ihrem Film zeigt sie, dass junge Menschen überall auf der Welt bereits in den 1990er-Jahren für ihre Zukunft und die der Erde kämpften. Ihr Film endet kurz nach dem Pariser Klimaabkommen und stellt zum Schluss eine nachwachsende Generation junger Klimaaktivist*innen dar, die in Greta Thunberg eine Ikone fand und in die Bewegung „Fridays for Future“ mündete. In dieser Zeit, die von der zweiten Generation junger Umweltschützer*innen geprägt wurde, entstanden zahlreiche Filme zum Thema, darunter auch der Dokumentarfilm „I Am Greta‟ (Nathan Grossman, 2020) über Greta Thunberg selbst und ihre Motivation für ihr Engagement. Der Film „Animal“ des Schriftstellers und ökologischen Aktivisten Cyril Dion, der mit Mélanie Laurent schon 2015 den Film „Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen“ gedreht hatte, stellt nun mit Bella aus London und Vipulan aus Paris mit familiären Wurzeln in Sri Lanka die dritte Generation dieser jungen Aktivist*innen in den Mittelpunkt, die mitunter auch als Generation Z bezeichnet wird. Beide sind 16 Jahre alt, wirken rein optisch fast noch ein bisschen jünger, haben sich aber schon intensiv aktiv mit Umwelt- und Artenschutz auseinandergesetzt.

Der Filmemacher begleitet sie auf einer langen Reise durch die Welt von Kalifornien über Mumbai in Indien bis nach Kenia und an verschiedene Orte in Frankreich. Auf dieser Reise begegnen sie zahlreichen Wissenschaftler*innen und Persönlichkeiten, darunter dem Biologieprofessor Anthony D. Barnosky von der US-Universität Stanford, dem Anwalt Afroz Shah aus Indien, der berühmten Ethnologin Jane Goodall, der auf internationales Recht spezialisierten Juristin Valérie Cabanes oder Carlos Alvarado, dem Präsidenten von Costa Rica. Aber sie reden auch mit Viehzüchter*innen und Farmer*innen. Die beiden Jugendlichen sehen wie viele andere ihrer Generation die Zukunft in Gefahr und wollen die Zusammenhänge zwischen Umweltschutz und Artensterben besser verstehen, um auf diese Weise besser handeln zu können. Denn durch den vom Menschen verursachten Klimawandel steht die Erde kurz vor dem sechsten Massensterben aller Arten, den Menschen eingeschlossen, und einen Planet B gibt es bekanntlich nicht. Die gesammelten Erkenntnisse möchten sie ihrem Publikum vermitteln, wobei sie sich selbstkritisch bewusst sind, dass sie mit ihren Flugreisen selbst einen Teil zur Umweltverschmutzung beitragen. Bella und Vipulan werden von den Interviewten ausnahmslos ernst und als gleichberechtigte Gesprächspartner*innen wahrgenommen, was sich sehr wohltuend etwa von den arroganten Reaktionen eines Abgeordneten und Lobbyisten des Europäischen Parlaments abhebt, der beide brutal abblitzen lässt.

Dem Biologen Anthony Barnosky zufolge, den die Jugendlichen als erstes befragen, erfolgt das dramatische Artensterben im Wesentlichen aus fünf Gründen. Neben dem Klimawandel sind das die Verbreitung von Krankheiten durch den internationalen Reiseverkehr, die Umweltverschmutzung, die übermäßige Ausbeutung der Tierbestände etwa durch Überfischung und die Zerstörung des natürlichen Lebensumfelds der Tiere. Bella und Vipulan konzentrieren sich bei ihren Recherchen auf die drei letzten Punkte. Sie sind nach einer kurzen Bestandsaufnahme der desolaten Lage in allen diesen Bereichen aber vor allem an Lösungsansätzen interessiert, wie sich das ökologische Gleichgewicht doch wieder herstellen lässt. Das geschieht regional durch Aufklärungsarbeit und Aktionen wie das Einsammeln von Plastikmüll an den Stränden oder durch alternative Landwirtschaft, sowie durch internationale Bemühungen, Politiker*innen stärker in die Pflicht zu nehmen, dem Lobbyismus aus Profitgier einen Riegel vorzuschieben und Tieren ein Leben in freier Wildbahn zu ermöglichen. Vor allem jedoch ist ein Umdenken beim Menschen erforderlich, den der Film als ein Tier unter vielen anderen begreift, was der Titel des Films unterstreicht. Wenn sich der Mensch nicht mehr als Teil der Natur sieht, in der alles miteinander zusammenhängt und ein Überleben nur durch größtmögliche Diversität möglich ist, werden die Arten weiterhin sterben und auch die Gesundheit des Menschen in hohem Maß gefährden. Bella und Vipulan kommen daher zu dem Schluss, dass der Mensch dringend lernen muss, mit anderen Tieren zusammenzuleben und zu kooperieren.

Dass diese Botschaft gerade bei jungen Menschen, die zudem als besonders tierlieb und empathisch gelten, gut ankommt, versteht sich von selbst. So ist der Film 2022 auch mit dem Young Audience Award der Europäischen Filmakademie ausgezeichnet worden. Die beiden rundum sympathischen Protagonist*innen schaffen einen hohen Identifikationswert, der dank ansprechender musikalischer Untermalung und durch die direkte Einbindung des Publikums in ihre Reaktionen und ihre Erlebniswelt noch erhöht wird. Für kleine Überraschungen sorgen die Auswahl einiger Handlungsorte. Natürlich wird auch hier die Bedeutung der Bienen für Bestäubung und menschliche Ernährung erwähnt, die hinter der Leistung etwa von Ameisen nicht zurücksteht, aber es sind in diesem Fall nicht die aus anderen Dokumentarfilmen bekannten Bilder, sondern unmittelbare Riech-Erfahrungen der beiden Jugendlichen zum Aroma der weiblichen Tiere, die einen emotionalen Zugang erleichtern. Und bei der industriellen Massentierhaltung geht es einmal nicht um Schweinezucht oder Hühner-Legebatterien, sondern um einen Kaninchenzuchtbetrieb. All das mildert die möglichen Schockelemente erheblich, wie auch der Film stets darum bemüht ist, Mut zu machen und positive Entwicklungen in den Vordergrund zu stellen. Natürlich birgt das die Gefahr der Verharmlosung und Vereinfachung, etwa bei den paradiesisch wirkenden Bildern einer Landwirtschaft im Einklang mit der Natur. Wie schwer ein solches Vorhaben in Wirklichkeit sein kann, zeigte beispielsweise John Chester in seiner biografischen Dokumentation „Unsere große kleine Farm“ (2018). Als Einstieg für ein junges Publikum ist „Animal“ dennoch bestens geeignet, denn er regt zum Nachdenken über die Natur des Menschen und sein Verhältnis zur Natur an und das mit einer gelungenen Mischung aus Interview-Szenen, Informationen und beeindruckenden Naturaufnahmen, wobei die Bilder und die Musik auch für sich selbst stehen und Momente der Ruhe und Entspannung schaffen.

Holger Twele

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© CAPA Studio, Bright Bright Bright, UGC Images, Orange Studio, France 2 Cinema 2021
13+
Dokumentarfilm

Animal - Frankreich 2021, Regie: Cyril Dion, Festivalstart: 10.10.2022, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 13 Jahren, Laufzeit: 105 Min. Buch: Walter Bouvais, Cyril Dion. Kamera: Alexandre Léglise. Musik: Sébastien Hoog, Yavier Polycarpe. Schnitt: Sandie Bompar. Produktion: Capa Studio, Bright Bright Bright, UCG; Orange Studio, France 2 Cinéma. Verleih: offen. Mitwirkende: Bella Lack, Vipulan Puvaneswaran u. a.