Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot
Ein Geschwisterpaar philosophiert an einem heißen Sommertag. Bald haben die Gespräche existenzielle Folgen.
Die Kamera richtet ihren Blick auf eine Wasseroberfläche. Man hört, wie sich ein Orchester einstimmt. Auf der träge schwappenden Masse tanzen nur wenige Lichtpünktchen, und ihre glänzende Oberfläche gleicht einer dehnbaren Folie. Doch wie einfach lässt sich das Gleichgewicht dieser Kräfte sprengen, die den einen tragen, den anderen in die Tiefe ziehen?
Philip Gröning führt das in den folgenden drei Stunden drastisch vor Augen. Dazu hat er seine beiden Hauptfiguren in der Natur auf einer kleinen Fläche für zwei Tage zusammengesperrt und sie mit Motiven und Symbolen versehen, die allesamt für persönliche Entgrenzung und ästhetische Grenzüberschreitung stehen: Der Film handelt von der kreativen Lebensphase der Adoleszenz, vom Zwillingspaar, vom Geschwisterinzest, von der Kindfrau und von dem philosophisch abgeleiteten revolutionären, gewalttätigen Befreiungsakt.
In einem malerischen Kleefeld sitzen Robert und Elena, um Elenas Abiturprüfung im Fach Philosophie vorzubereiten. Doch es ist heiß, und die gleißende Sonne stört die Konzentration. So gehen sie ab und zu hinüber zu der Tankstelle, sprechen mit den Angestellten und holen sich Getränke. Oder sie spazieren durch den Wald oder baden zur Abkühlung in einem nahegelegenen See. Dabei beschäftigen die beiden insbesondere Martin Heideggers Theorien. Sie philosophieren über das Sein, das ohne Zeit nicht zu denken sei, und versuchen das Wesen der Zeit zu bestimmen. Zuweilen mischen sich in ihre Gespräche aber auch profanere, alterstypische Themen. Bevor Elena ihre Reifeprüfung ablegt, will sie sexuell erwachsen werden. Darüber schließt sie mit ihrem Bruder eine Wette ab. Sie wird die Wette gewinnen. Aber der Verführte wird den Geschlechtsakt mit ihr nicht überleben.
Mit „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ ist Philip Gröning einerseits ein im besten Sinne philosophischer Film geglückt. Er bringt Unruhe ins „Dasein“ und wirft Fragen über das Wesen des Menschen auf. Dafür findet der Regisseur ausdrucksstarke Bilder. Doch zugleich resultiert aus diesem Konzept auch eine gewisse Schwäche. Denn das Geschwisterpaar bleibt seltsam blutleer, fungiert lediglich zu Illustration der diskutierten Ideen. Robert und Elena werden im Status des Kindseins gehalten, müssen sich der Autorität des ideengeschichtlich orientierten Drehbuchs beugen, obgleich sie ja zugleich als junge Menschen gezeichnet sind, die eigentlich das Potenzial besäßen, neue Gedanken und Ideen einzubringen. Stattdessen müssen sie Tradiertem folgen. Sie haben eben keine Freiheit der Wahl.
Heidi Strobel
Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot - Deutschland, Frankreich, Schweiz 2018, Regie: Philip Gröning, Kinostart: 22.11.2018, FSK: ab 16, Empfehlung: ab 18 Jahren, Laufzeit: 172 Min., Buch: Philip Gröning, Sabine Timoteo, Kamera: Philip Gröning, Schnitt: Philip Gröning, Hannes Bruun, Produktion: Matthias Esche, Philipp Kreuzer, Emmanuel Schlumberger, Philip Gröning, Verleih: W-film, Besetzung: Julia Zange (Elena), Josef Mattes (Robert), Urs Jucker (Erich), Stefan Konarske (Adolf)
Altersempfehlung 14-18 Jahre
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