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Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (2021)

Auf Amazon: Eine Serie adaptiert den bekannten Tatsachenbericht aus dem Jahr 1978 neu.

Eigentlich ist es ermüdend, immer wieder darauf hinzuweisen. Die Praxis in der Film- und Fernsehindustrie lässt einem aber keine andere Wahl: Neuauflagen alter Geschichten und bekannter Marken hat es früher schon gegeben. Seit ein paar Jahren scheinen sich die Produzent*innen und Filmemacher*innen damit jedoch regelrecht zu überbieten. Inzwischen vergeht kein Monat mehr ohne die Ankündigung irgendeines Remakes – wobei zunehmend selbst mittelprächtige Werke neu aufgegossen werden.

An einer Auffrischung eines aufsehenerregenden Stoffes aus dem wahren Leben, der bereits einmal für die große Leinwand adaptiert wurde, hat sich nun auch die Drehbuchschreiberin Annette Hess versucht. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ lautet der Titel eines 1978 erschienen Tatsachenberichts, in dem die damals minderjährige Christiane Felscherinow ihre Zeit im Drogen- und Prostitutionsmilieu rund um den West-Berliner Bahnhof Zoo schildert. Auf Basis des millionenfach verkauften, kontrovers diskutierten Buches entstand der Kinofilm „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (Uli Edel, 1981), dessen ungeschönte Bilder für nicht minder gespaltene Reaktionen sorgten. In einem sogenannten Writer’s Room entwickelte Hess als Showrunnerin mit einem Team von Autor*innen, beruhend auf den realen Erlebnissen, eine achtteilige Serie, die sich einige künstlerische Freiheiten nimmt. Manche Personen und Ereignisse – so der Hinweis vor jeder Folge – sind fiktionalisiert oder frei erfunden.

Wer Buch und Film kennt, wird sich nicht nur über ein paar abgeänderte Namen wundern. Markant und überraschend ist auch die Entscheidung, die Geschichte zeitlich nicht eindeutig zu verorten, sondern ihr einen universalen Anstrich zu verpassen. Bestimmte Merkmale – etwa die Frisuren und die Kleidung – lassen auf die 1970er Jahre schließen. Jene Zeit, in der die echte Christiane in die Drogenszene abrutschte. Andere Elemente – zum Beispiel in die Handlung integrierte Musikstücke – stammen allerdings aus späteren Dekaden. Die vage Darstellung ist eine spannende Herangehensweise. Zugleich drängt sich aber auch die Frage auf, ob es den Bezug zu den realen Geschehnissen dann überhaupt gebraucht hätte.

Neue Wege im Vergleich mit Uli Edels Film beschreiten Hess und ihre Mitstreiter*innen zudem in der Art und Weise, wie sie die Geschichte auffächern. Konzentriert sich die Leinwandarbeit fast ausschließlich auf Christianes Perspektive, geraten in der Serie auch unterschiedliche Personen aus ihrem Umfeld regelmäßig in den Fokus. Christiane lernen wir zunächst als eine Teenagerin kennen, die in der Schule Anschluss sucht. Erst als sie auf ihre kecke Klassenkameradin Stella zugeht, ändert sich ihr Alltag, der vor allem von den Streitereien ihrer Eltern bestimmt wird. Plötzlich verkehrt sie immer häufiger im angesagten Nachtclub „Sound“ und kommt langsam mit immer härteren Drogen in Kontakt. Zusammen mit ihrer neuen Clique, zu der auch Babsi, Benno, Axel und Michi gehören, lässt sie sich rauschhaft treiben. Irgendwann nimmt die Heroinsucht der Jugendlichen jedoch zerstörerische Formen an.

Zu den großen Stärken von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ zählen zweifellos die mitreißenden und nuancierten Darbietungen der sechs Hauptdarsteller*innen. Die Sehnsucht nach einer besseren Zukunft vermitteln sie ebenso glaubwürdig wie die tiefsitzenden Ängste und Enttäuschungen der jungen Menschen, die zum Teil aus zerrütteten Verhältnissen kommen. Anhand der einzelnen Hintergründe – Axel und Michi bleiben leider etwas farblos – deutet die Serie an, wie man in den Teufelskreis der Drogenabhängigkeit hineinrutschen kann. Den Wunsch, clean zu werden, äußern die Teenager*innen mehrfach. Das Verlangen nach dem nächsten Trip, nach dem Vergessen aller Probleme, ist aber oft so groß, dass sie es immer wieder stillen müssen. Um Geld für Heroin zu beschaffen, verkaufen sie sogar ihren Körper und setzen sich dabei größten Risiken aus.

„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ hat einige erschütternde, unter die Haut gehende Passagen zu bieten, in denen das Dilemma der Protagonist*innen schmerzhaft deutlich zu Tage tritt. Nach Sichtung aller acht Episoden muss man allerdings festhalten, dass manches dennoch beschönigend gezeichnet wird. Sicher ist es legitim, die Rauschmomente mit visueller Kraft aufzuladen. Regisseur Philipp Kadelbach gelingen einige starke surreale Bilder, die das euphorische Erleben der Hauptfiguren einfallsreich greifbar machen. Gelegentlich kommen die Aufnahmen einer Verklärung aber gefährlich nahe. Dieser Eindruck verschwindet auch deshalb nicht, weil Christiane und die anderen trotz aller Abstürze stets noch viel zu gut aussehen. Um massenkompatibel genug zu bleiben, umschifft die Serie die wirklich hässlichen Seiten des Drogenkonsums zumeist recht konsequent.

Christopher Diekhaus

© Amazon Prime
16+
Spielfilm

Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (2021) - Deutschland 2021, Regie: Philipp Kadelbach, Homevideostart: 19.02.2021, FSK: ab 16, Empfehlung: ab 16 Jahren, Laufzeit Folgen: 46-57 Min. Buch: Annette Hess, Johannes Rothe, Florian Vey, Lisa Rüffer, Linda Brieda. Kamera: Jakub Bejnarowicz. Musik: Michael Kadelbach, Robot Koch. Schnitt: Bernd Schlegel. Produktion: Sophie von Uslar, Oliver Berben. Anbieter: Amazon Prime Video. Darsteller*innen: Jana McKinnon (Christiane), Lena Urzendowsky (Stella), Lea Drinda (Babsi), Michelangelo Fortuzzi (Benno), Jeremias Meyer (Axel) u.a.

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