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Jugend

Auf MUBI: Französische Langzeitdokumentation über zwei Freundinnen und ihre Konflikte auf dem Weg zum Erwachsenwerden

Der französische Regisseur und Drehbuchautor Sébastien Lifshitz hat sich vor allem durch Dokumentarfilme wie „Die Unsichtbaren“ (2012) oder „Petite Fille“ („Ein Mädchen“, 2020) international einen Namen gemacht. Seine Arbeiten liefen auf zahlreichen Festivals auf der ganzen Welt und wurden mehrfach ausgezeichnet. 2019 beendete er seine Langzeitdokumentation „Adolescentes“ („Jugend“). Fünf Jahre lang hat Sébastien Lifshitz dafür seine beiden Protagonistinnen Emma und Anaïs begleitet – von deren 13. bis zum 18. Lebensjahr.

Die beiden Freundinnen wachsen in der mittelgroßen Stadt Brive-la-Gaillarde im Südwesten Frankreichs auf und besuchen zusammen die Mittelschule. Ansonsten könnten sie unterschiedlicher nicht sein, schon allein vom Äußeren: Anaïs ist blond und übergewichtig, Emma zart, schlank und dunkelhaarig. Und während Anaïs aus einfachen Familienverhältnissen stammt und zusammen mit ihren beiden jüngeren Brüdern aufwächst, ist Emma ein Einzelkind und als Tochter einer Beamtin und eines Verkaufsleiters häuslichen Komfort gewöhnt. Doch ihre Konflikte und ihr Umgang mit den Wirren der Pubertät ähneln sich. Es geht hier nicht um – wie oftmals in Coming-of-Age-Spielfilmen dargestellte – große „Dramen“ und Abstürze, hier dokumentiert Sébastien Lifshitz die gewöhnlichen, aber nicht minder bedeutungsvollen Konflikte von Jugendlichen. Diese allerdings mit einer selten zu erlebenden Offenheit und Tiefe, die einen unglaublichen Sog auslösen.

So haben beide Mädchen schwerwiegende Probleme mit ihren Müttern auszutragen. Während Anaïs ständig die Probleme ihrer psychisch und gesundheitlich labilen Mutter übergeholfen werden und sie selbst im Gegenzug von den Eltern nicht gesehen wird, hat Emma mit einer ehrgeizigen und scheinbar mit sich unzufriedenen Mutter zu kämpfen, die in einer Art Ersatzhandlung nur an ihrer Tochter herumnörgelt und Leistungsdruck ausübt. Erstaunlich ist, wie selbstbewusst sich die Mädchen mit ihren Eltern auseinandersetzen, ihnen Kontra geben. Gleichwohl hinterlassen diese immerwährenden Streitereien, die nur schwer auszuhalten sind, tiefe Verletzungen bei Emma und Anaïs.

Die Wege der Freundinnen trennen sich, als Anaïs auf eine Berufsschule und Emma auf ein Konservatorium kommt. Doch noch leben die beiden in einer Stadt, verbringen ihre Freizeit zusammen, verlieben sich das erste Mal. Die Kamera ist immer dabei, ganz dicht. Hier macht sich bezahlt, dass Sébastien Lifshitz über fünf Jahre regelmäßig einmal im Monat die Mädchen gefilmt hat, bei ihnen war und so ein sehr intimes, freundschaftliches Verhältnis aufbauen konnte. Nicht nur, dass er für seinen Film aus 500 Stunden Material schöpfen konnte, seine Protagonistinnen haben sich ihm geöffnet, wie sie es wahrscheinlich ihren Eltern gegenüber noch nie getan haben. Das ist die eine Stärke dieser Langzeitdokumentation. Die andere ist die Breite und Gewichtigkeit der Themen. So haben die Mädchen nicht nur mit der Abnabelung von den Eltern zu tun, mit der Liebe und „dem ersten Mal“, sie müssen mit Leistungsdruck und Schulstress fertigwerden, über eine berufliche Perspektive nachdenken und sie müssen nicht zuletzt herausfinden, wer sie sind und was sie vom Leben erwarten. Der Film, der übrigens die persönliche Geschichte der Mädchen immer auch in der politischen Situation des Landes verortet, endet mit Emmas Weggang zum Studium nach Paris.

„Jugend ist die Lebensphase der Veränderung“, meint Sébastien Lifshitz in einem Interview, „eine Art des Sich-Häutens, das Abstreifen seines Kokons“. Mit diesem Respekt und der daraus resultierenden Ernsthaftigkeit begegnet der Filmemacher dieser wichtigen Phase im Leben seiner Protagonistinnen, wie im Leben eines jeden Menschen. Das macht diesen Film so sehenswert!

Barbara Felsmann

© MUBI
14+
Dokumentarfilm

Adolescentes - Frankreich 2019, Regie: Sébastien Lifshitz, Homevideostart: 04.02.2021, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 135 Min. Buch: Sébastien Lifshitz. Kamera: Paul Guilhaume, Antoine Parouty. Musik: Tindersticks. Schnitt: Tina Baz. Produktion: Muriel Meynard, Olivier Père. Verleih: MUBI

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