Platzspitzbaby – Meine Mutter, ihre Drogen und ich
Im Kino: Die Geschichte einer Drogensucht, erzählt aus der Sicht der elfjährigen Mia, die um ihre schwerstabhängige Mutter kämpft.
Was bedeutet es, als Kind drogensüchtiger Eltern aufzuwachsen? Während die Gefährlichkeit von Sucht und die ungemeine Anstrengung, von dieser loszukommen, in Filmen oder Literatur immer wieder geschildert werden, wird der Blick selten auf das Schicksal derjenigen geworfen, die abhängig von einer abhängigen Person sind.
Zürich, 1995: Mit entschlossenem Gesicht, den Walkman mit Musik der Beach Boys auf den Ohren, stapft die elfjährige Mia durch den bevölkerten Platzspitz-Park, sieht ihre Mutter Sandrine mit ihrem Vater streiten und wird schließlich in einem Auto mitgenommen. Menschen liegen teils bewegungslos auf dem Boden, der Ort ist bis dato Anziehungspunkt der Drogenszene, die sich hier frei bewegen kann. 1995 wird die offene Drogenszene aufgelöst, die Süchtigen werden in ihre Heimatgemeinden zurückgeschickt. Damit wird das Problem jedoch nicht gelöst, nur verlagert, denn die Sozialarbeiter*innen vor Ort sind nicht immer geübt im Umgang mit ihren Klienten. Sandrine bekommt mit Mia eine Wohnung in einer Kleinstadt im Zürcher Oberland zugewiesen. Sie hat einen Entzug hinter sich, ihr Mann hat sich von ihr getrennt. Stolz markiert Mia die durchgehaltenen Tage mit Magnetzahlen an der Kühlschranktür. In der neuen Schule Anschluss zu finden, ist unterdessen nicht leicht für Mia. Die beliebten Mädchen der Klasse sticheln über das „Drogenkind“. Ernsthaft schwierig wird es für Mia aber, als ihre Mutter alte Bekannte aus der Szene trifft und wieder rückfällig wird. Immer verzweifelter hält das Mädchen daran fest, dass noch alles gut werden kann, verweigert Hilfe und setzt ihre neu entstandene Freundschaft zu der gleichaltrigen Lola aufs Spiel. Doch sie muss merken, dass die Drogensucht der Mutter unaufhaltsam ihre Liebe zu zerstören droht.
2017 hat bereits der österreichische Filmemacher Adrian Goiginger in „Die beste aller Welten“ von seiner Erfahrung erzählt, als Kind einer drogenabhängigen Mutter aufzuwachsen – bei aller Härte mit durchaus versöhnlicher Note. „Platzspitzbaby“ ist schonungsloser. Der auf der Autobiografie von Michelle Halbheer basierende Film erzählt konsequent aus der Perspektive der elfjährigen Mia, die versucht, ihr gemeinsames Leben mit ihrer Mutter zu meistern. So sehr man Mia wünscht, dass ihre Mutter die Sucht überwindet, bekommt man bald die Befürchtung, dass sie einen aussichtslosen Kampf kämpft. Es gibt leichte, unbeschwerte Momente zwischen Mutter und Tochter, doch sie werden weniger und weniger. Gleichwohl will Mia Sandrine nicht allein lassen. Sie hofft auf einen Rubellosgewinn, um mit der Mutter ein sorgloses Leben auf den Malediven zu leben, und schließt den besorgten Vater aus, der eh nur einmal im Monat seine Tochter sehen darf.
Es nimmt einen beim Zuschauen sehr mit, Mias verzweifelte unbedingte Liebe zu erleben und ihre Enttäuschung zu spüren, wenn die Mutter wieder rückfällig wird oder von Zuneigung zu Zurückweisung wechselt, sobald ihr der Stoff ausgeht. Denn nicht nur Mia ist abhängig von Sandrine, sondern diese genauso von ihr. Das wird besonders drastisch deutlich, wenn Sandrine Mia zwingt, mit ihr nach Zürich zu fahren und für sie Drogennachschub zu besorgen. Regisseur Pierre Monnard sucht eindrucksvolle, aufwühlende Bilder, setzt aber auch immer wieder Momente der Leichtigkeit dagegen, wenn Mia sich eine zarte, wenn auch zerbrechliche Freundschaft zu anderen Gleichaltrigen erkämpft und mit der ebenfalls aus einem schwierigen Elternhaus stammenden Lola ein kleines Aufatmen erlebt.
Seine klare Botschaft hat der Film stets im Auge. „Platzspitzbaby“ nimmt deutlich Partei für die der Situation ausgelieferte Tochter und ist eine ebenso klare Warnung vor Drogenkonsum. Nebenfiguren wie der nette, aber wenig aktive Lehrer, sowie die naive Sozialarbeiterin sind eher eindimensional gezeichnet. Doch Luna Mwezi als Mia und Sarah Spale als Sandrine schaffen es, durch ihr vielschichtes Spiel in ihrem Aneinanderfesthalten so berührend wie verstehbar zu werden. Beim Schweizer Kinopublikum war der Film ein großer Erfolg.
Kirsten Loose
Platzspitzbaby - Schweiz 2020, Regie: Pierre Monnard, Kinostart: 18.11.2021, FSK: ab , Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 100 Min. Buch: André Küttel, nach der Autobiografie von Michelle Halbheer. Kamera: Darran Bragg. Musik: Matteo Pagamici. Schnitt: Sophie Blöchlinger. Produktion: C-Films. Verleih: Alpenrepublik. Darsteller*innen: Luna Mwezi (Mia), Sarah Spale (Sandrine), Jerry Hoffmann (André), Delio Malär (Buddy), Anouk Petri (Lola), Emilio Marchisella (Kieran) u. a.
Altersempfehlung 14-18 Jahre
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