Niemals Selten Manchmal Immer
Die 17-jährige Autumn ist schwanger und will das Kind nicht. Ein starkes Drama über dass Recht auf Selbstbestimmung.
Die 17-jährige Autumn hat, wie sie selbst sagt, „ein Mädchenproblem“. Sie ist schwanger. Und sie ist allein damit. Ihre Mutter versorgt die vielköpfige Familie, flechtet am Frühstückstisch Zöpfe und hält Autumns latent aggressiven Stiefvater bei Laune. Vom wem Autumn das Kind hat, ist und bleibt ein Geheimnis. Bei der Ultraschalluntersuchung im Schwangerschaftszentrum sieht sie das Baby in ihrem Bauch, hört seine Herztöne und dreht ihren Kopf weg. Die freundliche Ärztin rät zur Mutterschaft und Adoption, aber Autumn fühlt sich noch nicht bereit, Mutter zu werden. Bevor sie die Praxis verlässt, muss sie sich einen „Aufklärungsfilm“ über Abtreibungen anschauen. Zuhause boxt sie auf ihren Bauch ein, bis er mit blauen Flecken übersät ist, und vertraut sich schließlich ihrer Cousine Skylar an. Mit der Adresse einer Planned-Parenthood-Klinik im Gepäck reisen die jungen Frauen nach New York. Doch der geplante Tagestrip entwickelt sich zu einer Odyssee durch die fremde Großstadt und der schwere Koffer, den die Mädchen mit sich schleppen, wird zu einem Sinnbild für all die Ungewissheiten und Ängste, die auf ihnen lasten.
Es ist eine im realen Alltag verankerte Geschichte, die die US-amerikanische Regisseurin und Drehbuchautorin Eliza Hittman in „Niemals Selten Manchmal Immer“ erzählt. Unzählige Mädchen und Frauen kennen sie aus eigener Erfahrung und erleben dabei, dass sie durch Paragrafen und Gesetze – in Deutschland § 218 StGB – eingeschränkt, kriminalisiert und von Mitmenschen moralisch verurteilt werden. Die gesellschaftliche und rechtliche Debatte schwingt im Film jederzeit mit, ohne jedoch in den Vordergrund zu rücken. Denn Hittman nähert sich dem Thema, indem sie konsequent und vorurteilsfrei Autumns Perspektive vermittelt und die junge Frau in ihrem Wunsch ernstnimmt. Damit gesteht sie Autumn gleichsam jenes Selbstbestimmungsrecht zu, das das Gesetz massiv beschneidet: In Pennsylvania, wo der Film spielt, benötigen Minderjährige für einen Schwangerschaftsabbruch das Einverständnis der Eltern – aber genau das will Autumn nicht einholen.
„Niemals Selten Manchmal Immer“ ist ein zurückhaltender Film. Es gibt nur wenige Dialoge und keine Gefühlsausbrüche. Aber man ist sofort ganz bei der jungen Hauptfigur – und das, obwohl Autumn, stark und nuanciert von der Debütantin Sidney Flanigan verkörpert, in ihrer Unnahbarkeit niemand ist, dem spontan die Herzen zufliegen. Man spürt, hier hat jemand eine echte Geschichte, und das hat neben der darstellerischen Leistung auch etwas mit der durchdachten Dramaturgie, der punktgenauen Inszenierung und der empathischen Bildsprache zu tun. Schon in ihrem nervös-flimmernden Coming-of-Age-Film „Beach Rats“ (USA 2017) hat Hittman mit der Kamerafrau Hélène Louvart zusammengearbeitet. Doch nun wirken deren Bilder nüchtern, geradezu dokumentarisch, während sie in Großaufnahmen und mit Schärfenverlagerungen immer wieder eine poetisch anmutende Nähe zu Autumn und Skylar findet. Es lohnt sich bei „Niemals Selten Manchmal Immer“ genau hinzusehen, wird doch vieles nebenbei erzählt, mit kleinen Gesten und beiläufigen Blicken. Sei es dieses ungläubige Zögern, mit dem Autumn bei einem Schulkonzert eine zugerufene Beleidigung wegsteckt; oder die Art, wie Skylar registriert, dass ihr Sitznachbar im Bus sie während eines Gesprächs am Arm tätschelt. Eine Grenzüberschreitung, eine von vielen. Ein nettes Wort von Skylar, die wie Autumn als Kassiererin jobbt, wird von einem Kunden als Anmache interpretiert, eine Anzüglichkeit als harmloser Witz abgetan. Autumn und Skylar werden von Männern begutachtet, angefasst, sexualisiert. Auch das ist für viele junge Frauen eine Alltagserfahrung.
Emotionales Herzstück des Films ist ein Beratungsgespräch in der New Yorker Klinik, in dem Autumn zu ihrem Sexualleben, zu Beziehungen und Gewalterfahrungen befragt wird. Das Gegenüber von Hauptdarstellerin Sidney Flanigan ist dabei keine Schauspielerin, sondern eine echte Sozialarbeiterin, die derartige Befragungen auch in der Realität führt. Minutenlang hält die Kamera Autumns Gesicht fest, während sie auf die intimen Fragen mit den titelgebenden Kategorien – niemals, selten, manchmal, immer – antwortet. In dieser Sequenz vermittelt der Film, in dem vieles unausgesprochen bleibt, eine Ahnung davon, welchen Schmerz die junge Hauptfigur bereits erfahren hat. Autumn steht für all die Mädchen und Frauen, die über ihr Leben und ihren Körper selbst bestimmen wollen und dieses Recht hart erkämpfen müssen.
Kirsten Taylor
Never Rarely Sometimes Always - USA 2019, Regie: Eliza Hittmann, Kinostart: 01.10.2020, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 101 Min. Buch: Eliza Hittman. Kamera: Hélène Louvart. Musik: Julia Holter. Schnitt: Scott Cummings. Produktion: Adele Romanski, Sara Murphy. Verleih: Universal. Darsteller*innen: Sidney Flanigan (Autumn), Talia Ryder (Skylar), Théodore Pellerin (Jasper), Sharon Van Etten (Autumns Mutter), Ryan Eggold (Autumns Stiefvater) u. a.
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