Children Of The Sea
Unterwasserabenteuer fürs Heimkino: Der Anime verheddert sich zwar inhaltlich, beeindruckt aber durch seine grandiosen experimentellen Sequenzen.
Es gibt Animes, die versteht man einfach nicht. Man könnte sogar behaupten, dass sich ein ganzes Paket an Animes schnüren ließe, die sich alle in ihren eigenen Universen bewegen und sich überhaupt nicht bemühen, ihre Geschichten nachvollziehbar zu erzählen – angeführt von prominenten Vertretern wie „Ghost in the Shell‟ (Mamoru Oshii, 1995) oder „The Place Promised in Our Early Days‟ (Makoto Shinkai, 2004). Das vielleicht Bemerkenswerteste daran ist aber, dass all diese Filme trotz ihrer konfusen Erzählweise nicht scheitern, sondern dass es ihnen gelingt, gegen ihre verworrenen Geschichten zu arbeiten und Momente zu schaffen, die berühren und faszinieren und auf eine ganz eigene Art erzählen. Auch „Children of the Sea‟ ist so ein Anime.
Die Handlung setzt dabei im Alltag einer Teenagerin ein. Nachdem Ruka bei einem Handballspiel von einer Mitspielerin gefoult wird, revanchiert sie sich mit einer ebenso unfairen Geste und übertreibt es damit. Die Mitspielerin muss ins Krankenhaus – und Ruka fliegt aus der Mannschaft. Gelangweilt streift sie durch das Aquarium, in dem ihr Vater als Meeresbiologe arbeitet, und trifft dort auf den wundersamen Umi, einen Jungen, der wie ein Fisch durch das Wasser gleitet und kein normaler Mensch ist. Gemeinsam mit seinem Bruder Sora wurde er von Dugongs aufgezogen, den Sehkühen. Ruka ist fasziniert von der Welt, die sich ihr plötzlich durch Umi eröffnet. Schon seit ihrer Kindheit fühlt sie sich zum Meer hingezogen. Und nun erzählen ihr Umi und Sora unglaubliche Geschichten: von einem Meterorit, der ins Meer stürzen wird, und von einer großen Versammlung von Meereslebewesen, die bald stattfinden wird.
Bei Umi – und ein wenig auch bei dem eher abweisenden Sora – fühlt Ruka sich plötzlich verstanden, mehr noch als bei ihren Eltern oder anderen Gleichaltrigen. Zuhause hatte sie oft das Gefühl, nicht gehört zu werden. Nun steht sie in diesem einen besonderen Sommer auf einmal im Mittelpunkt unerklärlicher Ereignisse und begibt sich ohne Rückhalt von Erwachsenen in eine unbekannte neue Welt. Es stecken vielen Themen klassischer Coming-of-Age-Filme in diesem Anime, die immer wieder Brücken zur Figur von Ruka bauen. Aber zugleich verliert sich die Geschichte in dem Strom philosophisch hingehauchter Sätze über den Ursprung des Lebens oder Erinnerungen, die sich schwer einordnen lassen. Gerne würde man da manchmal mahnend eine Zeile aus dem Text des Abspannlied zitieren: „Die wichtigsten Dinge kann man nicht in Worte fassen.‟
Wettgemacht allerdings wird dies durch den stimmungsvollen Score, für den Joe Hisaishi, bekannt durch seine Arbeit für viele Ghibli-Filme, verantwortlich zeichnet, sowie durch die großartigen Bilder. „Children of the Sea‟ stammt aus dem Studio 4°C, das sich in der Vergangenheit durch vergleichsweise raue, aber stets bildgewaltige und nicht selten experimentelle und ungewöhnliche Animes wie „Mind Game‟ (Masaaki Yuasa, 2004), „Tekkonkinkreet‟ (Michael Arias, 2006) oder die beiden Kurzfilmkompilationen „Genius Party‟ (2007) und „Genius Party Beyond‟ (2007) einen Namen gemacht hat. Auch Ayumu Watanabe setzt auf eine Mischung traditioneller und moderner Animationstechniken – wobei sich die CG-Effekte stimmig in die handgezeichneten Elemente des Films einfügen, ohne den zweidimensionalen, flächigen Look zu stören.
Der Höhepunkt des Films aber ist eine fast fünfzehnminütige, psychedelisch anmutende Sequenz, die mit einer berauschenden Freude einen Fluss der Bewegungen und Transformationen zeigt und ein wenig an Terrence Malicks wagemutige Urzeit-Rückblende aus „Tree of Life‟ (2011) erinnert. Es ist schade, dass diese Bilder nun nur im Heimkino auf zumeist viel zu kleinen Bildschirmen zu sehen sind und die große Leinwand der ausgiebigen Festivaltournee vorbehalten war. Aber auch so lohnt sich die Entdeckung. „Children Of The Sea‟ schlägt einen ganz eigenen Weg ein und führt eindrucksvoll vor, wie vielfältig, lebendig und kreativ die japanische Animationsszene ist.
Stefan Stiletto
Kaijû no kodomo - Japan 2019, Regie: Ayumu Watanabe, Homevideostart: 27.03.2020, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 15 Jahren, Laufzeit: 111 Min. Buch: Hanasaki Kino, nach dem Comic „Kaijû no kodomo‟ von Daisuke Igarashi. Musik: Joe Hisaishi. Produktion: Eiko Tanaka. Anbieter: Polyband.
Altersempfehlung 14-18 Jahre
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