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Eighth Grade

Auf Netflix: Ein eindrucksvoll gespielter, wahrhaftiger Coming-of-Age-Film.

Selbstverständlich lässt sich das amerikanische Middle School- und High School-System nicht unmittelbar mit dem deutschen Schulsystem vergleichen. Genauso wenig wie die Beurteilungskriterien der Altersfreigaben, die in den USA dazu geführt haben, dass dieser von der Kritik nach seiner Premiere auf dem Sundance-Festival 2018 hochgejubelte Debütspielfilm über die Sorgen und Nöte einer 14-Jährigen erst im Alter von 17 Jahren gesehen werden darf – wegen der vielen F*-Wörter. Dabei sind diese eigentlich ein erstes Indiz für den inneren Wahrheitsgehalt dieser fiktiven Geschichte. Keine großen Unterschiede zwischen den USA und Deutschland dürfte es freilich in der Stimmungslage vieler Jugendlicher in diesem Alter geben, mitten in der Pubertät mit seinen hormonellen, physischen und psychischen Begleiterscheinungen, mitten in der Ablösung vom Elternhaus und der Suche nach wahren Freund*innen, nach Liebe und nach Orientierung in der Welt der Heranwachsenden und der Erwachsenen. Auch die Bedeutung der Social Media für Jugendliche dürfte sich allenfalls tendenziell unterscheiden. Mit ihren illustren Heilsversprechen sind sie ein Fluchtpunkt für viele Jugendliche, die sich Rat und Hilfe erhoffen, und enthalten nahezu für alle wichtigen Lebensbereiche einschließlich der Sexualität Ratschläge dazu, was „in“ oder „out“ ist und wie man sich zu verhalten hat, um gesellschaftskonform zu sein.

Kayla Day befindet sich genau in diesem Alter kurz vor dem Übertritt in die High School. Die Achtklässlerin lebt bei ihrem alleinerziehenden Vater, der sich um seine Tochter bemüht, aber nicht weiß, wie er ihr helfen kann. Von ihrem Jahrgang in der Schule als „most quiet“ bezeichnet, fällt sie anderen kaum auf, ist schweigsam und unauffällig, fühlt sich äußerst unsicher und lässt sogar Anzeichen einer sozialen Phobie erkennen. Dem in den Medien und in vielen anspruchsvollen Coming-of-Age-Filmen verbreiteten äußeren Erscheinungsbild eines selbstbewussten, aufgeklärten, schlagfertigen und obendrein noch perfekt geschminkten Teenagers entspricht sie in keiner Weise. In nahezu jeder Großaufnahme springen ihre vielen Hautunreinheiten unübersehbar ins Bild, freilich ohne dass dies diskriminierend oder abwertend wirkt, ganz im Gegenteil. Die Sympathie des Publikums bei ihren mitunter tragikomischen und verzweifelten Anstrengungen, das Leben zu meistern, ist ihr gewiss – sicher auch wegen der überragenden Elsie Fisher als Kayla, die in ihrer Rolle genau die Warmherzigkeit und Verletzbarkeit ausstrahlt, die erforderlich ist, um eine Außenseiterin zur (fast) einzigen halbwegs „normal“ wirkenden Person werden zu lassen.

Auf YouTube veröffentlicht Kayla regelmäßig Vlogs über alles, was sie persönlich beschäftigt, wie man beispielsweise mehr Selbstvertrauen gewinnt oder wie man sich am vorteilhaftesten schminkt. Mit ihren Ratschlägen, die den äußeren Rahmen des Films markieren, hat sie allerdings nur wenige Follower und kaum ein Feedback, das ihr weiterhelfen könnte. Sie reflektiert sich auch selbstkritisch, woran das liegen mag, wenn sie nicht einmal selbst in der Lage ist, ihre eigenen Tipps in die Realität umzusetzen. Trotz zahlreicher Enttäuschungen mit vermeintlichen Freundinnen und Bekannten, einiger zunächst vielversprechender Jungenbekanntschaften und etlichen Missverständnissen und Kommunikationsproblemen gerade auch im Umgang mit der Sexualität verliert Kayla niemals ganz ihre Hoffnung, dass sie diese äußerst schwierige Zeit auf jeden Fall überstehen wird.

Damit ist „Eighth Grade“ einer der besten Coming-of-Age-Filme der letzten Jahre, fast so authentisch wie ein Dokumentarfilm, unwahrscheinlich eindringlich gespielt und emotional sehr bewegend. Bleibt nur noch zu hoffen, dass der Film seine Zielgruppe hierzulande erreicht als kleines Trostpflaster für all das, was die meisten Achtklässler*innen gerne nicht selbst erleben würden, was aber oft genug zum Leben dazu gehört. Nicht zuletzt macht der Film es auch Eltern und Erziehungsberechtigten leichter, ihre Kinder besser zu verstehen.

Holger Twele

Die Kritik erschien erstmals im Rahmen der Berichterstattung über das Filmfest München 2019.

© A24films
14+
Spielfilm

Eighth Grade - USA 2018, Regie: Bo Burnham, Festivalstart: 29.06.2019, Homevideostart: 05.02.2021, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 93 Min. Buch: Bo Burnham. Kamera: Andrew Wehde. Musik: Anna Meredith. Schnitt: Jennifer Lilly. Produktion: Scott Rudin, Eli Bush, Lila Yacoub, Christopher Storer. Verleih: offen. Vertrieb: A24films. Darsteller*innen: Elsie Fisher (Kayla Day), Josh Hamilton (Mark Day, Kaylas Vater), Emily Robinson (Olivia), Jake Ryan (Gabe), Daniel Zolghadri (Riley), Fred Hechinger (Trevor) u. a.

Altersempfehlung 14-18 Jahre

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