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Water Lilies

Zwischen Erwartungen und eigenen Wünschen: Der starke Debütfilm über junge Frauen von Céline Sciamma.

Wer sieht mich, versteht mich, begehrt mich? Mit wem erlebe ich mein erstes Mal? Wen will ich zur Freundin? Darf ich meine bisherige beste Freundin verraten, wenn ich jemand Neues, Verheißungsvolles kennenlerne? Wäre „Water Lilies“ ein amerikanischer Mainstream-Film, würde er wohl als juicy Teeniedrama voller Eifersucht, hochkochender Emotionen und bitchiger Mädchen erzählt werden. Ein Glück, dass der Debütfilm der inzwischen namhaften französischen Filmemacherin Céline Sciamma genau nicht diesen Weg geht, sondern ganz auf das Dreieck seiner Protagonistinnen Marie, Anne und Floriane vertraut. „Water Lilies“ begegnet ihrer Gefühlswelt auf Augenhöhe und bildet damit die Themen, Sehnsüchte und Sorgen von Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsensein so treffend ab, dass der Film von 2007 auch heute noch absolut zeitgemäß ist.

Marie ist 15 und begleitet ihre Freundin Anne zu einem Synchronschwimmwettbewerb. Der Sport fasziniert sie genauso wie die selbstbewusste Kapitänin der Gruppe, Floriane. Marie will mitmachen. Doch die nächsten Anfängerkurse beginnen erst im Herbst. Auf einer Party, zu der Anne sie mitnimmt, hat Marie die Chance, mit Floriane zu sprechen. Zu gern würde sie deren Gruppe beim Training zuschauen. Dafür ist Marie bereit, Floriane einen Gefallen zu tun. Die willigt ein. Sie kann eine Freundin gebrauchen, mit der sie sich angeblich vor ihren Eltern verabredet, um sich stattdessen heimlich mit einem Jungen zu treffen.

Dieser Junge ist François. Der Wasserballspieler ist ausgerechnet der Schwarm von Anne, die hofft, mit ihm ihr erstes Mal zu erleben. Marie hat ein schlechtes Gewissen vor der Freundin, dass sie Floriane dabei hilft, François zu sehen. Und eigentlich hätte sie selbst gerne Florianes Aufmerksamkeit. Dass andere Mädchen Marie vor Floriane warnen und sie für eine Schlampe halten, stört sie nicht. Dafür hat sie immer weniger Lust auf die Freundschaft mit Anne, die ihr kindisch vorkommt. Vor Floriane zieht Marie ebenfalls eine Grenze: Nicht länger will sie nur Erfüllungsgehilfin für deren Treffen mit François sein. Tatsächlich bringt sie das Floriane unerwartet näher. Denn deren Ruf ist größer als ihre tatsächliche Erfahrung mit Jungs. Floriane ist einsam und Marie offenbar die erste, der sie sich mit ihren Ängsten und Gefühlen öffnen kann.

Synchronschwimmen ist ein eigenwilliger Sport. Während die Bewegungen der (meist) weiblichen Sportlerinnen über der Wasseroberfläche so anmutig wie leichtfüßig im Gleichtakt wirken, wird darunter mit viel Kraft gestrampelt, um diesen mühelosen Eindruck herzustellen. Ein Mädchen zu sein scheint oftmals genauso: Man soll gefallen und wie alle anderen sein, nicht anecken und sich die Mühe, die das macht, am besten nicht anmerken lassen. Was man selbst eigentlich wirklich will und ob man es schafft, dazu zu stehen, ist dabei noch einmal eine ganz andere Frage.

Wie Marie, Anne und Floriane zwischen dem Erfüllen von Erwartungen und dem Ausleben eigener Wünsche jeweils hin- und hergerissen sind, porträtiert Céline Sciamma auf berührende Weise. Angenehm klischeefrei und aufrichtig erzählt sie davon, wie Marie ihre Gefühle für Floriane entdeckt und Anne zwischen kindlicher Vergnügtheit und wachsener Lust pendelt und dabei immer wieder damit konfrontiert wird, ob ihr Körper nur besonders weiblich oder nicht schlank genug ist. So schmerzhaft wie treffend sind die Unterhaltungen der Mädchen besonders dann, wenn es um den Umgang mit sexueller Übergriffigkeit von Männern oder fehlenden weiblichen Rückhalt geht. Wenn Floriane von dem Masseur der Mannschaft bedrängt wird, scheint sie in den Augen anderer Mädchen selbst schuld. Schließlich hat sie einen „Ruf“. Und sie selbst weiß kaum, wie sie Grenzen zieht und versucht es herunterzuspielen. „Ich dachte, er hört auf, wenn ich ihn küsse“, wird sie sagen. Auch scheint ihr wichtiger, dass ein Junge sie nicht für unerfahren hält, als einfach dazu zu stehen, dass dies vollkommen okay ist.

Mit „Water Lilies“ machte Céline Sciamma ihren Abschluss an der Filmhochschule und wurde gleich nach Cannes eingeladen. Ihr großes Talent, weiblichen (beziehungsweise nicht-cis-hetero-männlichen) Figuren eine Bühne zu geben und so emotional wie genau von ihnen zu erzählen, das sie in Filmen wie „Tomboy“ (2011) oder „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ (2019) weiter entfaltete, zeigt ihr Debütfilm bereits deutlich. Ebenso arbeitet Sciamma hier schon mit Frauen zusammen, die ihre langjährigen Mitstreiterinnen werden, wie die Produzentin Bénédicte Couvreur, Kamerafrau Crystel Fournier und Schauspielerin Adèle Haenel.

Fans der Serie „Druck“ mag „Water Lilies“ gefallen, denn auch hier spielen Erwachsene keine Rolle, sondern die Konzentration liegt ganz auf den Jugendlichen. Das Zeitgemäße des Films mag aber – leider – auch daran liegen, dass Sexismus und Bodyshaming eben nach wie vor im Alltag junger Frauen eine große Rolle spielen. Adèle Haenel, die Floriane spielt, machte im Übrigen nach „Water Lilies“ zwar eine beachtliche Filmkarriere, zog sich aber inzwischen aufgrund von #MeToo-Erfahrungen und dem fehlenden Vertrauen, das die Branche sich ändert, aus dem Filmgeschäft zurück. „Water Lilies“ verharmlost nicht, zeigt aber auch, wie Marie und Anne es schaffen, sich zu empowern und gibt ihnen ein starkes Mittel an die Seite: ihre Freundschaft.

Kirsten Loose

 

© ProFun
14+
Spielfilm

Naissance des pieuvres - Frankreich 2007, Regie: Céline Sciamma, Homevideostart: 04.08.2023, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 85 Min. Buch: Céline Sciamma. Kamera: Crystel Fournier. Musik: Jean-Baptiste de Laubier/Para One. Schnitt: Julien Lacheray. Produktion: Lilies Film. Anbieter: ProFun. Darsteller*innen: Pauline Acquart (Marie), Louise Blachère (Anne), Adèle Haenel (Floriane), Warren Jacquin (François) u. a.

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