Skater Girl
Auf Netflix: Durch das Skateboardfahren fordert ein indisches Mädchen die starren patriarchalischen Strukturen heraus.
Prerna lebt mit ihrem jüngeren Bruder und den Eltern im nordindischen Dorf Khempur. Die Familie ist arm, der Vater erlaubt jedoch nicht, dass seine Frau dazuverdient, weil das seinem Ansehen schaden würde. Also verkauft Prerna Erdnüsse, statt zur Schule zu gehen. Ohnehin fehlt das Geld für Schulbücher, ist die Ehe ihre einzige Perspektive. Mit ihren dreizehn oder vierzehn Jahren, so genau weiß sie das nicht, ist sie bereits im heiratsfähigen Alter. Da kommt mit Jessica, einer Touristin aus London, das Skateboarden nach Khempur. Prerna und alle Kinder sind sofort Feuer und Flamme für diesen bis dato unbekannten Sport, der buchstäblich alles ins Rollen bringt.
Für das Drehbuch zu ihrem Debütfilm ließen sich Regisseurin Manjari Makijany und ihre Schwester Vinati Makijany von einer wahren Geschichte inspirieren: 2015 initiierte die Deutsche Ulrike Reinhard, die nun auch zur Beraterin des Filmteams wurde, einen Skateboardpark in Janwaar im zentralindischen Bundesstaat Madhya Pradesh. Vorbild für die Figur Prerna dürfte die junge Asha Gond aus Janwaar gewesen sein, die mittlerweile sogar an der Skater-Weltmeisterschaft in China teilgenommen hat.
Es liegt auf der Hand, was der Film sein will: Die Emanzipationsgeschichte eines indischen Mädchens, dem in den engen Grenzen von Armut, Kastensystem und patriarchalischer Gesellschaft weder eigene Bedürfnisse noch Wünsche, geschweige denn die Option einer selbstgewählten Zukunft zugestanden werden. Für ihren neu gefundenen Traum von Freiheit und Selbstbestimmung wird Prerna erfolgreich gegen alle Konventionen und Widerstände kämpfen und dabei Selbstvertrauen und Persönlichkeit entwickeln. Man denke an den herausragenden saudi-arabischen Film „Das Mädchen Wadjda“ (Haifaa Al Mansour, 2012) oder auch an „Village Rockstars“ aus Indien (Rima Das, 2017): Coming-of-Age-Filme, deren junge Protagonistinnen ihr Ziel – das für Mädchen verbotene Fahrrad, die unerschwingliche Gitarre – hartnäckig, mit Mut und Leidenschaft verfolgen.
Aber Prerna ist keine Rebellin à la Wadjda. Sie ist unsicher und ängstlich, gibt schnell auf. Auf dem Skateboard bringen andere Kids deutlich mehr Talent mit, ihr kleiner Bruder etwa, aber auch Mädchen. Warum ist ausgerechnet Prerna das „Skater Girl“? Stocksteif steht sie auf dem rollenden Brett. Dass dieser winzige Schritt für sie ein Erfolg ist, davon zeugt ihr strahlendes Lächeln, immer wieder – wer das dennoch nicht verstanden hat, dem hilft die Erklärmusik auf die Sprünge, mit deutsch untertitelten Textzeilen wie „alles ist möglich, ich habe keine Angst, ich bin frei“. Prernas Reifeprozess wird mehr behauptet als gezeigt. Sogar noch im Finale nimmt man ihr nicht ab, was da als neu errungenes Selbstbewusstsein inszeniert wird. Noch unglaubwürdiger ist nur, dass Prernas Aktion ohne Konsequenzen bleibt, nachdem man ihren strengen Vater auf weitaus leichteren Ungehorsam hat reagieren sehen. Prernas Vater scheint übrigens als einziger seiner Tochter das Skaten zu verbieten. Alle anderen Mädchen und Jungen skaten munter weiter.
Vor allem aber erzählt der Film eigentlich nicht die Geschichte von Prerna, die in entscheidenden Szenen fehlt und von der – trotz ihres Namens, der „Inspiration‟ bedeutet – keine Initiative ausgeht. Besser hätte man von vornherein den Fokus auf Jessica gerichtet, deren Vision die Handlung in Gang bringt und am Laufen hält. Was ihr wiederum allzu leicht gelingt: Die alte Maharani (Bollywood-Filmgröße Waheeda Reman) stellt ein Grundstück für den Skatepark zur Verfügung, und Jessicas Bekannter Erick hat praktischerweise ein Team für den Bau parat.
Der „Desert Dolphin Skate Park“ wurde für den Film binnen 45 Tagen gebaut. Er ist der erste und bisher einzige öffentliche Skatepark im Bundesstaat Rajasthan. Jetzt steht er, genau wie sein Vorbild in Madhya Pradesh, Mädchen und Jungen aus den umliegenden Dörfern zur Verfügung, mit kostenlosem Skate-Training und gleichberechtigt für Zugehörige aller Kasten. Das ist vielleicht das Bemerkenswerteste, was sich über den Film sagen lässt.
Ulrike Seyffarth
Skater Girl - Indien, USA 2021, Regie: Manjari Makijany, Homevideostart: 11.06.2021, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 9 Jahren, Laufzeit: 107 Min. Buch: Manjari Makijany, Vinati Makijany. Kamera: Manjari Makijany, G. Monic Kumar, Alan Poon. Musik: Salim-Sulaiman. Schnitt: Deepa Bhatia. Anbieter: Netflix. Darsteller*innen: Rachel Sanchita Gupta (Prerna), Shafin Patel (Ankush), Amy Maghera (Jessica), Jonathan Readwin (Erick) u. a.
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