The Water Man
Auf Netflix: Ein Junge muss sich in diesem Drama von David Oyelowo mit der schweren Krankheit seiner Mutter auseinandersetzen.
Vielen Erwachsenen fällt es schwer, mit Krankheit und Tod klarzukommen. Wie aber muss es erst Kindern und Jugendlichen gehen, denen solche Themen noch unheimlicher erscheinen dürften? Diese ebenso komplexe wie spannende Frage umkreist die feinfühlig inszenierte und stark gespielte Romanadaption „Sieben Minuten nach Mitternacht“ (Juan Antonio Bayona, 2016). Im Gewand eines bildgewaltigen Fantasy-Abenteuers setzt sich der Film mit der Angst, der Verunsicherung und den Schutzmechanismen des zwölfjährigen Protagonisten auseinander, dessen Mutter sterben wird. Einige Parallelen zu dieser tiefbewegenden Geschichte tun sich nun in „The Water Man“ auf, dem Regiedebüt des britischen Schauspielers David Oyelowo.
Mit Gunner Boone steht auch hier ein Junge im Mittelpunkt, der sich den Kopf zerbricht, weil seine Mutter Mary an Leukämie erkrankt ist. Und ähnlich wie in der Literaturverfilmung tut sich vor ihm plötzlich eine fantastische Welt auf, in der er Hilfe zu finden hofft. Als der fleißig an einer eigenen Graphic Novel schreibende, lesebegeisterte Gunner durch Zufall von einer Sagengestalt hört, die sich in den Wäldern seines neuen Wohnortes herumtreiben soll, ist es um ihn geschehen. Der sogenannte Water Man, der angeblich einst nach einem verheerenden Dammbruch von den Toten wiederauferstand, könnte Mary vielleicht heilen. Gemeinsam mit der etwas älteren Jo Riley, die dem mythischen Rückkehrer schon einmal begegnet sein will, bricht Gunner schließlich heimlich in die Wildnis auf.
Neben „Sieben Minuten nach Mitternacht“ scheinen auch andere Werke das von Emma Needell verfasste Drehbuch und Oyelowos Inszenierung beeinflusst zu haben. In seiner leicht knisternden Stimmung erinnert Gunners und Jos Ausflug in die Wälder an den Jugendfilmklassiker „Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers“ (Rob Reiner, 1986), der ein paar Freunde auf die Suche nach einer Leiche schickt. Der Duft des Nervenkitzels, des Ungewissen weht immer wieder durch „The Water Man“ und wird gepaart mit kleinen Gruseleinlagen, die – natürlich in abgeschwächter Form – aus dem Horrorstreifen „Blair Witch Project“ (Daniel Myrick, Eduardo Sánchez, 1999) stammen könnten. Ein Hauch von Magie liegt in der Luft, wenn Gunner und seine Begleiterin durch die Wälder stapfen und sich besser kennenlernen. Die märchenhafte, unwirkliche Atmosphäre hätten die Macher*innen allerdings ruhig noch etwas mehr unterfüttern dürfen. Überaus gelungen sind die animierten Einschübe, in denen die entstehende Graphic Novel der Hauptfigur zum Leben erwacht.
Inhaltlich nimmt sich der Film für seine doch begrenzte Laufzeit von gerade einmal 90 Minuten etwas zu viel vor und schafft es nicht, seine Ideen richtig auszumalen. Am eindringlichsten ist noch Gunners Sorge um seine Mutter, die ihn zum Handeln antreibt. Die belastete Beziehung zu seinem häufig abwesenden Vater Amos, verkörpert vom Regisseur persönlich, bekommt hingegen zu wenig Aufmerksamkeit, um emotionale Kraft zu entfalten. Gleiches gilt für Jos bedrückende Hintergrundgeschichte. Ein schwerwiegendes Thema wie Kindesmissbrauch handelt „The Water Man“ leider arg überhastet ab. Auch wenn am Ende eine schöne Offenbarung steht, wirkt der Mix aus Coming-of-Age-Story, Familiendrama und Fantasy-Märchen etwas unfertig und holprig.
Christopher Diekhaus
The Water Man - USA 2020, Regie: David Oyelowo, Homevideostart: 09.07.2021, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 12 Jahren, Laufzeit: 92 Min. Buch: Emma Needell. Kamera: Matthew J. Lloyd. Musik: Peter Baert. Schnitt: Blu Murray. Produktion: Carla Gardini, Monica Levinson, Shivani Rawat, David Oyelowo. Anbieter: Netflix. Darsteller*innen: Lonnie Chavis (Gunner Boone), Amiah Miller (Jo Riley), Rosario Dawson (Mary Boone), David Oyelowo (Amos Boone), Alfred Molina (Jim Bussey) u. a.
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