Königreich der Bären
Auf DVD: Eine kluge und nachdenkliche animierte Tierfabel voller verrückter Abenteuer.
Schon wieder eine Bären-Geschichte! Ob Paddington, Winnie Puuh, Bamse, Goldbär oder einfach nur „kleiner Bär“: Kaum ein anderes Tier ist in Kinderbüchern und -filmen ähnlich beliebt als Nachtgeselle, Mutmacher, Weltentdecker, naiver Philosoph, Tröster und, vor allem, als allerbester Freund. Darüber hinaus sind Bären faszinierende „Helden“ vieler Naturdokumentationen, putzig in ihrer Kindheit, mächtig als ausgewachsene Wesen der Wildnis. Mit einem solchen naturnahen Bild hat „Königreich der Bären“ auf den ersten Blick einiges gemein, aber eben nur auf den ersten Blick. Denn das Bärenvolk in den Bergen Siziliens lebt zwar frei und ungebunden, folgt seinen Instinkten und meidet den Kontakt zu Menschen, zugleich aber können die Bären sprechen und folgen einem weisen König. Womit die Geschichte auch schon den Boden der Wirklichkeit verlässt und sich zu einer prächtigen Bärenlegende voller kluger Einsichten entwickelt.
Als sein geliebter Sohn Tonio von unbekannten Jägern entführt wird, versinkt der Bärenkönig Leonzio in tiefer Trauer. Verzweifelt blickt er ins Tal, kümmert sich weder um sein Volk noch um die Widrigkeiten des bitterkalten Winters, bis er eine Entscheidung trifft: Mit all seinen Untertanen zieht er in die Ebene der Menschen, um dort den Bärenprinzen zu suchen. Die Menschen aber befürchten eine feindliche Invasion, der tyrannische und arrogante Großherzog schickt ihnen sogar sein Heer entgegen. Es kommt zu Kämpfen und Missverständnissen, Hinterhalten, Gefahren und Intrigen, und doch dringen die Bären Schritt für Schritt in die Stadt vor, wo sie unter dramatischen Umständen Tonio in einem Zirkus finden. Danach beschließen sie, fortan bei den Menschen zu leben, friedfertig und in respektvollem Miteinander.
So könnte die Geschichte enden, doch sie tut es noch lange nicht. Denn genauso wichtig wie das, was erzählt wird, ist die unbändige Freude am Geschichtenerzählen selbst. Bislang hat dies der alte Gaukler Gedeone getan, doch er und das Mädchen Almerina sind längst selbst ein Teil der Geschichte: Sie ziehen von Stadt zu Stadt und erwecken die Bärenlegende mit Bildertafeln, Gesängen, Gedichten und Tänzen zum Leben. Doch an diesem Abend haben sie nur einen alten Bären als Zuhörer, in dessen Höhle sie Schutz vor der kalten Nacht suchen. Als sie enden, erzählt der greise Bär weiter, und Gedeone ist begeistert: Legenden, Abenteuer und ein neues Rätsel, das sei die wahre Kunst des Geschichtenerzählens! Doch die Erzählung nimmt nicht nur neue, spannende Wendungen, sie wird auch nachdenklicher. In der Stadt werden die Bären „zivilisiert“, bequem, selbstgefällig, sogar machtgierig. Auch Tonio verliert seinen Bäreninstinkt und wird Opfer eines Ränkespiels, das einen Keil zwischen ihn und seinen Vater treibt. Der hinterhältige königliche Berater verführt Tonio zur Prunk- und Spielsucht, und weder der mitfühlende Zauberer Théophile, der mitleidig seine letzten magischen Sprüche opfert, noch die tapfere Almerina, die sehr aktiv ins Geschehen eingreift, können das Geschehen noch beeinflussen.
Diese ereignisreiche Geschichte veröffentlichte der italienische Schriftsteller Dino Buzzati (1906-1972) 1945 in seinem Märchenbuch „Wie die Bären einst Sizilien eroberten“. Darin erinnerte er sich an seine Kindheit sowie seine geliebte sizilianische Heimat, woraus er seine hintergründige und nachdenkliche Bärenfabel webte, geschmückt mit seinen eigenen Zeichnungen. Nicht nur die Handlung, auch die Illustrationen greift der Film auf fantastische Weise auf und zaubert seinerseits grandiose, oft atemberaubende Bilderlandschaften. Die hohen Schneeberge, die weiten Ebenen, die tiefen Wälder, die kultivierte Menschenstadt und der überbordende Prunk von Festungsanlagen und Palästen erzählen ihre eigenen Geschichten aus Farben, Formen und Flächen, mal sind die Bilder streng nach Mustern und Symmetrien geordnet, mal wuchern sie ungestüm und farbenprächtig. Die Zirkusszene, während der Tonio gefunden und gerettet wird, sowie die Szene im geheimnisvollen Zauberschloss, in dem Tonio vom machtgierigen Königsberater betrogen wird, werden dabei zu bildgewaltigen Höhepunkten.
Bei aller Fabulierlust bleibt die Fabel nachdenklich: Skeptisch blickt sie auf die Schwächen und Verfehlungen von Menschen und Bären und verzichtet dabei auf eine klare Figur, mit der man sich leicht und vorschnell identifizieren kann. Allenfalls die mutige und geradlinige Almerina nimmt einen ein Stück weit an die Hand und begleitet durch die Geschichte bis zu ihrem melancholischen Ende. Aber endet die Geschichte denn überhaupt? Zum Schluss sind Bären und Menschen wieder getrennt, und es bleibt ein offenes Geheimnis. Aber womöglich enden Geschichten nie, solange man sie erzählt und man ihnen zuhört.
Horst Peter Koll
La fameuse invasion des ours en Sicile - Frankreich, Italien 2019, Regie: Lorenzo Mattotti, Homevideostart: 26.03.2021, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 8 Jahren, Laufzeit: 82 Min. Buch: Jean-Luc Fromental, Thomas Bidegain, Lorenzo Mattotti, nach dem Kinderbuch „Wie die Bären einst Sizilien eroberten“ von Dino Buzzati. Musik: René Aubry. Schnitt: Nassim Gordji Tehrani, Sophie Reine. Produktion: Prima Linea/Pathé/France 3 Cinéma/Indigo/RAI Cinema. Anbieter: Weltkino
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