Pinocchio
Fast ohne lange Nase: Eine bildgewaltige und schaurige Neuverfilmung des Romans von Carlo Collodi.
Die Disney-Version hat sich eingebrannt. Im Kino ist der Name Pinocchio ganz eng verbunden mit der Zeichentrickadaption von Hamilton Luske und Ben Sharpsteen aus dem Jahr 1940, die sich durch ihr großes Herz, die Gesangsstücke und die technische Perfektion ihren Platz in der Filmgeschichte gesichert hat. Während Guillermo del Toro derzeit an einer eigenen düsteren Stop-Motion-Variante des Stoffs arbeitet, hat in Italien Matteo Garrone seine Variante inszeniert, die sich eng an der Vorlage von Carlo Collodi orientiert und das prächtige Disney-Technicolor durch dunkel-erdige Farbtöne ersetzt.
Ungemein sympathisch spielt Robert Benigni den alten Tischler Gepetto, der von der Hand in den Mund lebt und nur mit liebenswerten Tricks seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Als ihm eines Tages ein großes Stück Holz verkauft wird, aus dem er eine Holzpuppe schnitzt, ist nichts mehr wie zuvor. Kaum vollendet, beginnt der Hampelmann zu sprechen. Gepetto ist überglücklich. Bislang war er allein, nun ist er zum Vater geworden! Sofort schickt er seinen Sohn, den er auf den Namen Pinocchio tauft, in die Schule. Doch die Holzpuppe hat eigene Pläne. Sie treibt es fort von der Schulbank, wo alle Kinder von dem sadistischen Lehrer gedemütigt werden, und hin zu dem Schausteller, der Stücke mit kostbaren Marionetten aufführt. Anstatt zu Gepetto zurückzukehren und ein braver Junge zu sein, beginnt für Pinocchio eine Odyssee, die ihn unter anderem mit einem räuberischen Duo aus Kater und Fuchs bekannt macht, mit einem Händler, der Kinder wie der Rattenfänger von Hameln entführt und in Esel verwandelt, und ihn bis hinein in den Bauch eines Wals führt – und immer wieder zur guten Fee, die über ihn wacht und versucht, ihn wieder auf den rechten Weg zu bringen.
Wie in „Nur ein Tag‟ (Martin Baltscheit, 2017) werden auch hier sämtliche Tierwesen von Menschen gespielt, wobei diese jedoch aufwändig verkleidet auftreten und ihre menschlichen Körper bisweilen kaum mehr zu erkennen sind. Ein interessanter Verfremdungseffekt, der Figuren wie die Schnecke, die als Haushälterin für die Fee arbeitet, oder einen Schimpansen, der hinter einem Richterpult sitzt, umso schauriger wirken lässt. Auf den ebenso ikonischen wie komischen Effekt der stets länger werdenden Nase, wenn Pinocchio lügt, verzichtet Garrone weitgehend. In dieser Fassung ist „Pinnochio‟ ein düsteres Märchen geworden, das sein Publikum mit allerlei dubiosen Figuren konfrontiert und damit durchaus für Irritationen sorgen kann. Aber trotz der bildgewaltigen schwelgerischen Inszenierung, die dem Film einen ganz besonderen Look und eine ganz besondere Atmosphäre verleiht, bleibt dieser „Pinocchio‟ doch auch sehr kalt. Die Menschlichkeit hinter der hölzernen Maske der kleinen Puppe, in der irgendwann der große Traum reift, einmal ein echter Junge zu werden, ist zu wenig sichtbar. Pinocchio fehlt ausgerechnet das Herz, das ihn auszeichnen soll. Das macht es schwerer, sich mit ihm zu identifizieren. Die Geschichte eines Kindes, das damit hadert, wer es sein will und wie es den richtigen Weg finden soll, wurde in Kinderfilmen wie „Wo die Wilden Kerle wohnen‟ (Spike Jonze, 2009) schon weitaus dringlicher erzählt. Anstelle der Psychologie stehen bei Matteo Garrone die Schauwerte im Vordergrund – die es aber zweifelsohne auch in sich haben.
Stefan Stiletto
Die Mediabook-Ausgabe des Films enthält ein 60-seitiges Booklet mit zahlreichen Illustrationen, Design- und Konzeptentwürfen, das ohne Erklärtexte einen guten visuellen Eindruck der Produktionsvorbereitung des Films vermittelt.
Pinocchio - Italien 2019, Regie: Matteo Garrone, Homevideostart: 16.10.2020, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 9 Jahren, Laufzeit: 124 Min. Buch: Matteo Garrone, Massimo Ceccherini, nach dem Roman von Carlo Collodi . Kamera: Nicolai Brüel. Musik: Dario Marianelli. Schnitt: Marco Spoletini. Produktion: Paolo Del Brocco, Matteo Garrone, Anne-Laure Labadie, Jean Labadie, Jeremy Thomas. Anbieter: Capelight. Darsteller*innen: Federico Ielapi (Pinocchio), Roberto Benigni (Gepetto), Rocco Papaleo (Kater), Massimo Ceccherini (Fuchs), Marine Vacth (Fee), Gigi Proietti (Mangiafuoco) u. a.
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