Mein etwas anderer Florida Sommer
Ein Teenager und seine Mutter in der Krise in einer Comicadaption mit viel Bild- und Wortwitz.
„Musik ist meine Religion‟, erwidert der Teenager mit den langen, fettigen schwarzen Haaren und dem Metallica-Shirt trotzig, als er von seiner Mutter mal wieder freundlich ermahnt wird. Ob er sich so für den Ferienjob beworben habe? Daniel versteht das Problem nicht. Warum sollte er sich deshalb andere Klamotten anziehen? Warum sollte er sich verstellen? Auch wenn er noch nicht weiß, wo er hin will und viel zu schüchtern ist, hat er eine eigene Vorstellung davon, wie er sich kleiden, was er hören und wie er leben will. Und die sieht nun einmal vollkommen anders aus als die seiner Mutter Sue. Aber mit Sue muss er die nächsten sechs Wochen in seiner beschaulichen englischen Heimatstadt verbringen, nachdem sein geplanter Sommerferien-Urlaub bei seinem Vater in Florida kurzfristig abgesagt wurde. Weil die neue Frau seines Vaters ein Baby erwartet, ist Daniel dort unerwünscht. Eine Katastrophe für Daniel – und das gleich in mehrfacher Hinsicht.
Mit einer großen Enttäuschung beginnt der erste Langfilm von Simon Bird, der auf dem Independent-Comic „Days of the Bagnold Summer‟ von Joff Winterhart beruht. Während manche Passagen fast wortwörtlich übernommen wurden, hat Bird die groben Zeichnungen der Vorlage in durchdacht gestaltete Bilder mit viel Witz übersetzt. Da kann ein Blick auf zwei Wäscheleinen, auf denen säuberlich getrennt die bunte Kleidung der Mutter und die schwarzen Klamotten des Sohnes hängen, mehr über die Beziehung der beiden aussagen als ein Dialog. Doch auch in teils aberwitzigen Gesprächen wird deutlich, dass die Kluft zwischen den beiden manchmal kaum größer sein könnte. Daniel und Sue sind gerade in einer schwierigen Phase: Sie sind sich fremd geworden.
„Mein etwas anderer Florida Sommer‟ erzählt beide Geschichten. Die des 15-jährigen Daniel, der lernt, wo er wirklich hingehört und auf wen er sich verlassen kann. Und die seiner 52-jährigen Mutter, die ebenfalls mit einer Enttäuschung umgehen muss und ein neues Ziel im Leben sucht. Dennoch spielt der Film sie nicht platt gegeneinander aus, sondern zeigt mit einer unglaublichen Sympathie, dass sie trotz aller Unterschiede ein Team und füreinander da sind. Ganz unaufgeregt kommt diese liebenswerte doppelte Coming-of-Age-Geschichte daher, die von ihren beiden Hauptdarsteller*innen Earl Cave und Monica Dolan als Mutter und Sohn getragen wird. So cartoonig Daniel und Sue zunächst wirken, so echt wirken sie am Ende. Mit großer Sensibilität und zugleich sehr humorvoll beobachtet der Film die Vertrautheit zwischen ihnen und wie sie sich mit kleinen Schritten wieder näher kommen. Eine schönere Liebeserklärung an eine Zwei-Personen-Familie gibt er derzeit nicht.
Stefan Stiletto
Days of the Bagnold Summer - Großbritannien 2019, Regie: Simon Bird, Homevideostart: 08.10.2020, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 85 Min. Buch: Lisa Owens, nach dem Comic „Days of the Bagnold Summer‟ von Joff Winterhart. Kamera: Simon Tindall. Musik: Belle & Sebastian. Schnitt: Ash White. Produktion: Matthew James Wilkinson, Isabelle Georgeaux. Anbieter: Ascot Elite. Darsteller*innen: Earl Cave (Daniel), Monica Dolan (Sue), Rob Brydon (Douglas), Elliot Speller-Gillott (Ky), Tamsin Greig (Astrid) u. a.
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